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taz FUTURZWEI

Meinungskampf und Parteienproganda Keine Alternative zur AfD

Am Beginn der Regierungszeit von Union und SPD spricht einiges dafür, dass die Türen zur Macht für die AfD offenstehen. Unter anderem das Versagen der Medienöffentlichkeit.

Gesenktes Haupt: Mit diesen drei Herren regiert die Angst vor der AfD Foto: picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka

taz FUTURZWEI | Es braucht jede Woche eine neue, medial aufgeblasene Ungeheuerlichkeit, welche die sich erschöpfende Erregung aus der letzten Ungeheuerlichkeit auf einem konstant hohen Niveau hält.

Im Dauerfeuer aufgeblasener und tatsächlich bedrohlicher Nachrichten verliert das Argumentieren, die reflektierende Auseinandersetzung mit den tatsächlich schwierigen Zeitfragen an Gewicht. Die Chancen zu aufgeklärtem Begreifen, zu zivilisierter Auseinandersetzung um den richtigen Umgang mit den Ungeheuerlichkeiten und Zumutungen der Wirklichkeit werden bestenfalls im Diskurs elitärer Zirkel in einigen Feuilletons großer Tageszeitungen genutzt.

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Eine politische Öffentlichkeit, in der politische Positionen sich aus dem reflektierenden Abwägen richtiger und falscher Argumente herausbilden, sich zu politischem Handeln verdichten, sich für den politischen Kampf um die Macht organisieren, also zivilisierten demokratischen Meinungskampf, gibt es nicht.

Vereinfachung und Parteien-Propaganda

Stattdessen bestimmen den Diskurs die zur Perfektion weiterentwickelten Methoden der vereinfachenden Parteien-Propaganda, die aus selbst erzeugten Stimmungen abgeleiteten autoritären Forderungen und auf der anderen Seite die in ihren Blasen festgezurrten „Haben wir schon immer gesagt“-Besserwisser.

Folge: Die Verachtung der Partei-Eliten nimmt zu, das Gewicht populistischer Versprechen findet im Aufstieg rechtsradikaler Rattenfänger seinen Ausdruck. Die herrschende Politik nimmt diesen Aufstieg allerdings nicht als das Menetekel an der Wand für ihren eigenen Untergang wahr.

So glaubt die CDU/CSU, dass sie durch die Übernahme der populistischen Lügen der AfD den Wirkungsraum entziehen könnte. Das Gegenteil ist der Fall.

Nachdem nun die neue Regierung im Amt ist, könnte man annehmen, dass es Raum für einen Neuanfang gäbe, ein Ende der aufwiegelnden Populismen und der ritualisierten Antworten der linken Kritiker.

Bild: privat
Udo Knapp

Udo Knapp ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für unser Magazin taz FUTURZWEI.

Die neue Regierung konstruktiv zu kritisieren, politische Alternativen jenseits der eigenen Lagerwahrheiten und ohne Besserwisserei zu formulieren – das böte sich an.

Stattdessen geht das alte Spiel munter weiter, als wäre die AfD nicht die stärkste Opposition im Parteiengefüge geworden, mit guten Chancen, an der CDU vorbei zur stärksten Partei zu werden, als wären die Grünen nicht kopf-, führungs- und sprachlos im Abseits gelandet.

Populismus pur

Der neue Innenminister Alexander Dobrindt schafft mal eben „par ordre de mufti“ das Asylrecht und die europäischen Asylregeln für den Schengenraum im deutschen Rechtsraum ab.

Populismus pur, weder national rechtsstaatlich noch europarechtlich abgesichert. Die Wirtschaft ist wegen der kostentreibenden Folgen der Grenzkontrollen entsetzt, Polen, Österreich und die anderen Nachbarn müssen zur Kenntnis nehmen, dass jetzt „Deutschland first“ gilt.

Grüne, Linke und linke SPDler raunen, sie hätten immer gewusst, dass die CDUler die wahren AfDler seien und diese nicht bekämpfen wollten, sondern mit ihnen regieren.

Die neue Regierungspolitik wirkt bis hinein in mein Berliner Fitness-Studio. Zwei mittelalte Fitnesshelden klatschen sich mit der Bemerkung ab: „Da siehst Du's mal, mit einem einfachen Dekret hält der Dobrindt uns die Ausländer jetzt vom Hals. Zehn Jahre haben Grüne und Sozis unsere Sicherheit aus Spiel gesetzt, damit ist jetzt Schluss. Wir haben endlich wieder Grenzen.“

Auf meine vorsichtigen Einwände hin folgt die Drohung, wenn ich nicht die Fresse hielte, würden sie mich aus dem Fitness-Studio „entfernen“. Beigesprungen ist mir niemand.

Bei der Kanzler-Wahl habe ich gehofft, dass die mutigen Abweichler standhaft bleiben und Merz den Einzug ins Kanzleramt verweigern würden.

Seine wütenden Aussetzer über seine ganze politische Karriere hin, seine Eitelkeit, sein schnarrendes Ego disqualifizieren ihn in meinen Augen für die Aufgabe, uns alle durch die laufenden Jahrhundertkrisen zu führen.

Ob er der CDU Perspektiven als sich konservativ erneuernde Kraft verschaffen kann, scheint zweifelhaft. Ich träume weiter von Robert Habeck als Kanzler, wegen seiner über das politische Geschäft hinausreichenden Klugheit und seiner regierungsstarken Persönlichkeit.

Es war bezeichnend, dass ihn seine Mitarbeiter im Ministerium letzte Woche mit minutenlangem Beifall verabschiedet haben.

Angst vor der AfD

Im Nachgang wird auch deutlich werden, dass Kanzler Scholz und seine Ampel mehr erreicht haben, als die skandalisierungsgeeichte Medienwelt zur Kenntnis nehmen wollte. Dass der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil, der für das selbstverschuldete 16 Prozent-Debakel verantwortlich ist, nun Vizekanzler und Finanzminister geworden sind, zeigt nur, wie wenig auch die führenden Sozis von individueller politischer Verantwortung für Versagen halten.

Übrigens erstaunt die Begründung der anderen Parteien, warum sie ohne Not den Weg für einen direkten, zweiten Wahlgang der Kanzlerwahl frei gemacht haben.

Die Grünen und die Linken sonnten sich, Staatsverantwortung vorschiebend, in der Rolle, gebraucht zu werden, obwohl sie wissen mussten, dass sich dieses Verhalten für sie im zukünftigen politischen Alltag nicht auszahlen wird.

„Dass Demokratien sich selbst abschaffen, dass es für sie keine Ewigkeitsgarantie gibt, ist keine neue historische Erfahrung.“

Alle Parteien, die die Merz-Wahl ermöglicht haben, sind aus Angst vor der AfD eingeknickt. Ihre angeblichen Sorgen wegen Neuwahlen zeigen nur, wie wenig sie sich selbst zutrauen.

Versagen des grün-linken Spektrums

Dass die Linke in einem auf jung getrimmten Retrolook den Kampf gegen den Kapitalismus wieder aufnehmen will, ist nicht mehr als leere Geschichtsvergessenheit.

Was die Grünen als Alternative zur Gschaftlhuberei der neuen Regierung aufbieten wollen, wie ein ökologisch runderneuerter Kapitalismus, ein dauerhaft stabilisierter Sozialstaat und eine der ökologischen Krise angepasste, demokratische Gesellschaft aussehen sollen, ist bisher nicht erkennbar.

Deshalb spricht im Moment viel dafür, dass die Türen zur Macht für die AfD offenstehen. Dass Demokratien sich selbst abschaffen, dass es für sie keine Ewigkeitsgarantie gibt, ist keine neue historische Erfahrung. Am Beginn der Regierung von Union und SPD ist ein solcher Niedergang nicht mehr auszuschließen.