Medienkrise in Thüringen: Print first
In Thüringen beherrscht die Funke-Mediengruppe die Printbranche. Seit Kürzungen bekannt wurden, spricht das Land über den Wert des Journalismus.
Thomas Oettler arbeitet im Druckzentrum. „Einige Kollegen würden die Pressen sehr vermissen, wenn sie weg wären“, sagt er. Das Problem ist aber nicht, dass die Maschinen verschwinden. Das Problem ist, dass sie immer noch da sind.
Die Maschinen in der Erfurter Druckerei sind veraltet. Seit 1993 laufen sie, knapp 250.000 Exemplare von Tageszeitungen drucken sie pro Nacht: Thüringer Allgemeine (TA), Thüringische Landeszeitung (TLZ) und die Ostthüringer Zeitung (OTZ). Es sind die drei größten Zeitungen des Landes.
Aber die Oldtimer werden träge. Etwa 15-mal schon ist allein in diesem Jahr eine der Maschinen ausgefallen. Die anderen müssen dann einspringen, die Redakteure ihre Zeitung schneller fertigstellen. Die Druckerei bräuchte dringend neue Maschinen. Aber ob es die Thüringer Zeitungen, die gedruckten, noch lange geben wird, dafür gibt es keine Garantie. „Kein Verleger kann die geben“, sagt Michael Tallai, der Geschäftsführer der Mediengruppe.
Die Funke-Gruppe ist einer der größten deutschen Verlage für Regionalzeitungen. 12 Tageszeitungen gibt sie heraus. Der Hauptsitz ist Essen, das Hauptverbreitungsgebiet Nordrhein-Westfalen.
Das Geschäft von Funke besteht noch immer zu einem erheblichen Teil aus Tageszeitungen. 2017 erwirtschaftete Funke mit ihnen rund 553 Millionen Euro, das sind 44 Prozent des Gesamtumsatzes von 1,26 Milliarden Euro.
In Thüringen vertreibt Funke die drei größten Zeitungen Thüringer Allgemeine, Thüringische Landeszeitung und Ostthüringer Zeitung, insgesamt 240.000 Exemplare. Funke ist damit Monopolist.
Thüringen ohne gedruckte Zeitung
Anfang des Jahres kündigte Funke ein Sparprogramm für all seine Zeitungen und Druckereien in Deutschland an. Über die in Thüringen stand darin nur ein Satz: „Für die Thüringer Titel werden Szenarien erarbeitet, wie eine Versorgung der Leserinnen und Leser in ländlichen Gebieten mit digitalen Angeboten gewährleistet werden kann.“ Für Leser, Politiker und Journalisten klang das, als wolle der Verlag die gedruckten Zeitungen abschaffen.
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Und damit fiele nicht bloß irgendein Provinzblättchen weg. Funke beherrscht in Thüringen den Markt. 220.000 Exemplare von TA, TLZ und OTZ werden täglich verkauft, das ist in etwa so viel wie die Frankfurter Allgemeine bundesweit loswird – und das in einem Bundesland mit 2,2 Millionen Einwohnern.
In Südthüringen gibt es noch kleinere Zeitungen, die aber nicht flächendeckend ausgeliefert werden. Sollte Funke den Druck der drei großen Zeitungen einstellen, dann wäre Thüringen das erste Bundesland ohne Tageszeitung auf Papier.
Die Kosten haben sich verdreifacht
Das kleine Bundesland ist aufgeschreckt. Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) lud den Geschäftsführer Michael Tallai zur Aussprache in den Landtag ein, die Umweltministerin Anja Siegesmund (Grüne) forderte von Funke in einem offenen Brief, sich zur Zeitung zu bekennen.
Funke ruderte zurück, Michael Tallai bezeichnet das Gerücht um die Print-Abschaffung gegenüber der taz und Zapp, dem Medienmagazin des NDR, heute als „Falschmeldung“. Man habe nicht vor, von heute auf morgen komplett auf digital umzusteigen. Tallai und Kollegen reisen jetzt durch das Land und besänftigen die Leser.
Aber das Problem ist ja da: Funke kämpft wie alle Verlage mit schrumpfenden Auflagen und Anzeigenerlösen. Online verdient der Verlag nicht genug, um die Verluste beim Papier aufzufangen. Vor allem die Lokalzeitungen trifft das hart, in den vergangenen Jahren wurden viele verkleinert, zusammengelegt oder eingestampft.
In Thüringen komme erschwerend hinzu, sagt Tallai, dass das Bundesland so ländlich sei. Die Wege zwischen den Dörfern sind weit, die Zeitungen von Briefkasten zu Briefkasten zu tragen, ist teurer als in den Ballungsgebieten von Nordrhein-Westfalen, Funkes Stammland. Besonders teuer sei das geworden, seit auch die Zeitungszusteller den gesetzlichen Mindestlohn bekommen. Der war bis Anfang 2018 ausgesetzt – ein Zugeständnis der Großen Koalition an die Verlage, um die steigenden Vertriebskosten abzufangen.
Seit der Mindestlohn gelte, sagt Tallai, hätten sich die Kosten für seinen Verlag verdreifacht. „Das ist in Kombination mit den Umsatzrückgängen eine sehr schwierige Situation.“
Keine Internetverbindung
Eine Lösung könnte sein: den Druck einstellen und die Zeitung nur noch als E-Paper versenden. Dann gäbe es keine Zusteller mehr und auch keine teuren Druckerpressen. Auf die Idee ist nicht nur Funke gekommen, Auch die taz bereitet sich auf ein Ende von Print vor, und DuMont, Funkes – ebenfalls kriselnder – Konkurrent auf dem Regionalzeitungsmarkt, will künftig mehr auf Digitalabos setzen.
Das Problem ist nur: Momentan sieht es nicht danach aus, als könnte das Digitalgeschäft bald das gedruckte ablösen. Nur gut drei Prozent der Abos der drei Thüringer Zeitungen sind digitale. Im Durchschnitt aller deutschen Tageszeitungen sind es zehn Prozent.
Auch die Grüne Umweltministerin in Thüringen, Anja Siegesmund, die Funke den offenen Brief geschrieben hat, zweifelt an den Plänen. Thüringen fehle die digitale Infrastruktur. „Ich will nicht, dass die 80-jährige ältere Dame auf dem Dorf auf ihre Zeitung verzichten muss, weil sie erstens nicht die Internetverbindung hat, um die Zeitung täglich herunterzuladen, und weil sie zweitens vielleicht gar keine Lust hat, mit dem iPad auf dem Sofa zu sitzen.“
Siegesmund erwartet von Funke, dass sich der Verlag klar zum Nebeneinander von Print und Digital bekennt. Darauf will sich Michael Tallai nicht festlegen. „Es geht mir doch nicht um die Frage, ob ich drucke oder nicht. Es geht mir darum, dass ich vernünftigen Journalismus anbiete, für den die Menschen bereit sind zu bezahlen – egal ob gedruckt oder digital.“ Damit die Thüringer Zeitungen bald im ganzen Bundesland digital verbreitet werden können, berät Funke derzeit mit der Thüringer Landesregierung und Telekommunikationsunternehmen über den Breitbandausbau.
Mehr sparen geht nicht
Die Funke Mediengruppe erwirtschaftete zuletzt rund 44 Prozent ihres Umsatzes mit Tageszeitungen. Aber der Verlag spart massiv. In Nordrhein-Westfalen hat Funke schon vor Jahren begonnen, Zeitungen zu verkleinern, zusammenzulegen und gar ganze Redaktionen zu entlassen. 2016 war Thüringen an der Reihe. Rund ein Drittel der Belegschaft musste gehen, Fotografen wurden zu schreibenden Redakteuren umfunktioniert.
Um die 30 Sekretärsstellen wurden gestrichen, diese Arbeit erledigen jetzt einige wenige von der Erfurter Zentrale aus für das ganze Bundesland. TA, TLZ und OTZ wurden weitgehend zusammengelegt, die überregionalen Inhalte kommen seitdem aus der Zentralredaktion in Berlin, die Lokalredaktionen vor Ort produzieren ihre Inhalte zum Teil für die anderen Zeitungen mit. Das führt dazu, dass beispielsweise in der Erfurter Ausgabe der TA genau dieselben Texte und Bilder stehen wie in der TLZ. Nur ist das Logo der einen Zeitung grün und das der anderen blau.
Mehr Sparen geht nicht, sagen Redakteure. Auch Anja Siegesmund, die Umweltministerin, hat bemerkt, wie ausgedünnt die Zeitungen sind – nicht nur an den fertigen Ausgaben, sondern auch an der Präsenz von Journalisten im Alltag. Früher, sagt sie, seien zu ihren Pressekonferenzen drei Funke-Reporter erschienen. „Heute kommt, wenn überhaupt, einer für drei Zeitungen – manchmal auch keiner.“ Siegesmund sorgt sich um die Demokratie in Thüringen. „Die vielfältige Presselandschaft ist mit der friedlichen Revolution hart erkämpft worden und Grundlage dafür, dass Menschen politische Entscheidungen treffen können.“ Das sei im Jubiläumsjahr des Mauerfalls und kurz vor einer Landtagswahl wichtiger denn je.
Gefahr der Nachrichtenwüste
Wenn die Funke-Zeitungen wegfallen oder zumindest viel weniger gelesen werden, weil sie nur noch digital zu haben sind, dann entsteht in weiten Teilen des Bundeslandes das, was sie in den USA „Nachrichtenwüste“ nennen. Und das in dem Bundesland, wo der NSU seine Wurzeln hat. Wo die Höcke-AfD drei Monate vor der Landtagswahl in Umfragen mit gut 20 Prozent drittstärkste Partei ist. Wo Sozialforscher seit Jahren ein Verfestigen rassistischer Tendenzen bei rund der Hälfte der Bevölkerung beobachten. Die Verantwortung sei ihm bewusst, sagt Michael Tallai – aber es sei eben eine Gratwanderung. „Unser Geschäft muss sich trotzdem lohnen.“
Sergej Lochthofen bezweifelt, dass sich das Geschäft in Thüringen nicht lohnt. Zwanzig Jahre war er Chefredakteur der Thüringer Allgemeine. 2009 verließ er das Blatt, weil er, wie er sagt, das Sparen nicht mehr mittragen wollte. „Die Thüringer Allgemeine hat Jahrzehnte Aufbau West betrieben. Aus Erfurt wurden hohe Millionenbeträge nach Essen überwiesen. Statt das Geld in die Zeitungen zu investieren, wurde es verfrühstückt.“
Als er die Redaktion verlassen habe, seien mehrere Funke-Zeitungen im Westen in die roten Zahlen gerutscht, während die Thüringer Allgemeine noch „fette schwarze Zahlen“ schrieb. 15 Prozent Rendite und mehr galten damals für die WAZ-Gruppe – heute Funke – als normal, sagt Lochthofen. „Sicher sind solche Renditen in den Verlagen heute nicht mehr üblich. Aber ich denke, da wird noch immer gut verdient. Sonst wären die Zeitungen längst dicht. Mit Mitgefühl braucht da niemand zu rechnen.“
Michael Tallai widerspricht: Funke habe in Thüringen investiert, und zwar „deutliche Millionenbeträge, vergleichbar mit dem, was wir dort verdient haben.“ Konkrete Zahlen nennt Tallai jedoch nicht. Die öffentlich einsehbaren Bilanzen des Verlags reichen soweit nicht zurück.
Tallais Idee: Subventionen
Michael Tallai sieht die Verantwortung für seine Zeitungen daher auch bei der Politik. Denn wenn im ländlichen Raum der letzte Laden schließe, es keinen Arzt, keine Tankstelle und irgendwann auch keine Tageszeitung mehr gebe, dann habe auch die Politik ein Problem. Tallais Idee: Subventionen für Zeitungsverlage. Die sind im deutschen Pressewesen bisher noch absolut tabu. Viele Verleger lehnen sie ab, weil sie um ihre Unabhängigkeit fürchten. In anderen europäischen Ländern subventioniert der Staat hingegen längst Technik und Vertrieb der Presse.
Die Landesregierung sei für solche Modelle offen, sagt Umweltministerin Anja Siegesmund: „Aber es kann eigentlich nicht sein, dass wir eine Mediengruppe subventionieren, die noch 2013 für eine knappe Milliarde vom Springer Verlag ein dickes Paket Zeitungen und Zeitschriften gekauft hat. Wenn Funke jetzt Subventionen fordert, heißt das für mich, dass das Geschäftsmodell des Verlags nicht trägt.“
Bleibt noch die Frage nach der neuen Druckerpresse in Erfurt. Rund zehn Millionen Euro würde eine solche kosten – viel Geld für einen Verlag, der mit der gedruckten Zeitung immer weniger verdient. Aber die Frage nach dem Druck ist eben auch die entscheidende, wenn es um die Zukunft der Zeitung geht.
Von den fünf alten Maschinen, die in Erfurt stehen, funktionieren noch vier. Die fünfte dient als Ersatzteillager. Das alles dürfte noch eine Weile gut gehen. Wie lange, weiß niemand.
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