Journalistik-Professor über Zeitungen: „Nicht nur vom Sterben sprechen“

Man müsse über staatliche Förderung sprechen, meint Journalistik-Professor Klaus Meier. Weil Journalismus auch eine Infrastruktur der Demokratie ist.

Blick in eine Zeitungsdruckerei

Da bewegt sich ganz gewaltig was in einer Zeitungsdruckerei Foto: Miguel Ferraz Araujo

taz am Wochenende: Herr Meier, kann es sein, dass wir seit Jahrzehnten davon reden, wie wichtig Lokaljournalismus theoretisch ist und ihm praktisch dann doch beim Sterben zusehen?

Klaus Meier: Nun ja, die Debatte ist sehr fokussiert auf diesen Begriff des Sterbens und den Niedergang, obwohl wir eigentlich ein breites Spektrum in Sachen Lokaljournalismus haben. Natürlich gibt es das: Regionen, wo man kaum noch eine Lokalredaktion findet, wo Lokalredaktionen mindestens zusammengelegt, wenn nicht sogar eingestampft worden sind, wo einzelne Orte kaum noch vorkommen. Das ist aber nur das eine Ende des Spektrums. Und dann haben wir ganz viel Mittelmaß und am anderen Ende des Spektrums hochwertigen Lokaljournalismus, der oft preiswürdig ist, wie er sich zum Beispiel beim Wächterpreis oder dem Lokaljournalismuspreis der Konrad-Adenauer-Stiftung zeigt. Insofern sollte man nicht immer nur pauschal vom Sterben und Niedergang sprechen, sondern auch von Erfolg und Exzellenz.

Sie haben jetzt aber auch die schon lange zu beobachtenden Konzentrationsprozesse angesprochen. Glauben Sie denn, dass da jetzt irgendwann einmal das Ende der Fahnenstange erreicht ist?

Das ist schwer zu sagen. Ich denke, auch da muss man differenzieren. Im Einzelfall kann es sogar gut sein, zumindest aus Lesersicht. Wenn ein kleiner Verlag nicht mehr überlebensfähig ist und ein größerer ihn aufkauft, kann es auch einen Schub in Sachen Qualität geben, zumindest was den überregionalen und regionalen Teil angeht. Natürlich geht da auch ein Stück Zeitungsvielfalt verloren, wenn ein einzelner Großverlag die überregionalen Teile von x Titeln bestückt, wie es beispielsweise das Redaktionsnetzwerk Deutschland der Madsackgruppe in Norddeutschland tut. Aber in der nationalen Berichterstattung gibt es schon noch eine sehr große Vielfalt im Journalismus. Wie sich die Lokalredaktionen bei solchen Aufkäufen entwickeln, hängt davon ab, welche Bedeutung man ihnen für das Geschäftsmodell und die Leserbindung zuschreibt.

Jahrgang 1968, lehrt Journalistik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.

Müssten man also eigentlich trennen zwischen der Debatte darum, wie sich das Geschäftsmodell der Verlage entwickelt, und dem, was Lokaljournalismus eigentlich – gesellschaftspolitisch und demokratietheoretisch – leisten soll?

Das ist halt die Schwierigkeit: Einerseits hängt natürlich beides eng zusammen, denn Lokaljournalismus kann seine Funktion nur erfüllen, wenn die Redaktion genug Ressourcen bekommt. Auf der anderen Seite sind grundsätzliche Fragen ungeklärt: Wie lange lohnt es überhaupt noch, gedruckte Zeitungen auszuliefern? Gibt es digitale Erlösmodelle, die Printverluste kompensieren können?

Es gab in den letzten Jahren immer mal wieder Hypes um Blogs, Crowdfunding-finanzierte Plattformen und Ähnliches, die den Versuch unternommen haben, alternative Geschäftsmodelle zu entwickeln, letztlich aber anscheinend nur mit Selbstausbeutung funktionieren. Sehen Sie da irgendwo Zukunftsträchtiges?

Es gibt wirklich sehr lobenswerte Ini­tiativen, die man sich auch wieder im Detail differenziert anschauen muss. Im Großen und Ganzen scheinen sie in Deutschland aber eher sehr gute Ergänzungen zur bestehenden Infrastruktur zu sein. Es gibt dann eben Start-ups, Blogs oder Initiativen von Journalisten, die merken, in der Region gibt es eine Lücke – sei es, weil der lokale Monopolist Themen oder Orte nicht abdeckt oder weil eine Lokalredaktion sich gegenüber der Politik zu wenig traut. Aber wenn die Zeitung komplett wegbrechen würde, könnten diese Nischenangebote das auch nicht auffangen.

Also sollte man einfach sagen: Na ja, gut, wenn es der Markt halt nicht hergibt, dann gibt es der Markt nicht her?

Journalismus ist ja nicht ein Markt, sondern eine Infrastruktur der Demokratie. Deshalb müssen wir darüber diskutieren, wie wir Journalismus als Gesellschaft unterstützen können. Und das bedeutet auch, dass wir über staatliche Förderung sprechen müssen. Natürlich immer unter der Bedingung, dass es keine politische Einflussnahme gibt. Und natürlich mit der Maßgabe, nicht bloß Verkaufsförderung zu betreiben. Das war unglücklich an der gescheiterten Initiative der letzten Bundesregierung, die ja überwiegend an die Print­auflage gekoppelt war. Auch das jetzige Ziel des Koalitionsvertrags, eine „flächendeckende Versorgung mit periodischen Presseerzeugnissen“ zu gewährleisten, sehe ich skeptisch. Auch digitale Initiativen müsste man einbeziehen und vor allem auf die Qualität und die Funktionalität der Angebote schauen. Also zum Beispiel, dass Regio­nen, die durch ein marktwirtschaftliches Angebot nicht abgedeckt werden, besonders gefördert werden und nicht automatisch Großverlage mit hohen Auflagen profitieren.

Gibt es aus Ihrer Sicht denn Modelle, die beispielhaft sind?

Man könnte sich bei der Verteilung der Mittel an den Erfahrungen orientieren, die man mit der Regulierung des privaten Rundfunks über die Landesmedienanstalten gesammelt hat. Oder mit den Gremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. International lohnt sich ein Blick in skandinavische Länder, die staatliche Journalismusförderung betreiben – ohne inhaltlich Einfluss zu nehmen. Schweden und Norwegen haben lange Erfahrung mit gezielter Förderung der lokalen Medien. Anders herum gibt es auch abschreckende Beispiele: Österreich etwa. Die Inseraten­affäre, über die Kurz gestolpert ist, hatte ja etwas mit dieser speziel­len österreichischen Art der Presseunterstützung zu tun. Auch die geplante Medienförderung, die gerade in der Schweiz in einer Volksabstimmung gescheitert ist, hatte das Problem, dass vor allem bestehende Großverlage finanziell unterstützt werden sollten.

Aber die großen Player und vor allem die Auflage kann man wahrscheinlich auch nicht ganz außer Acht lassen?

Die Reichweite im Verbreitungsgebiet ist natürlich ein wichtiges Kriterium, sonst unterstützt man am Ende Produkte, die kein Mensch liest. Man muss das Publikum eben schon ins Boot holen, und zwar auch so, dass es bereit ist, für gute journalistische Inhalte zu bezahlen – auch im Internet.

Was geht denn verloren, wenn man das nicht tut?

Das kann man momentan sehr gut in den USA beobachten. In 200 Countys – vergleichbar mit den deutschen Landkreisen – gibt es keine Lokalzeitung mehr. Und mehr als die Hälfte der Countys haben nur eine Lokalzeitung, die überwiegend nur wöchentlich erscheint. Man spricht von „News Deserts“. Da gibt es eine Reihe von Studien, die belegen, dass in Regionen, wo es keinen Lokaljournalismus mehr gibt, die Kosten der öffentlichen Verwaltung steigen oder auch mehr Wirtschaftskriminalität stattfindet. Es gab auch eine Studie in der Schweiz, die belegt, dass die Wahlbeteiligung dort zurückgeht, wo der Lokaljournalismus auf dem Rückzug ist. In den USA kann man noch etwas anderes beobachten: Wo Lokaljournalismus mit seinem professionellen Anspruch an Unabhängigkeit und Neutralität verschwindet, öffnet sich das Feld für Aktivisten. Das trägt wiederum zur Polarisierung der Gesellschaft bei. Das ist natürlich auch eine Schwierigkeit, das bei einer staatlichen Förderung sauber zu unterscheiden: Was ist tatsächlich ein professionelles journalistisches Angebot und was ist Aktivismus mit einer ganz eigenen Agenda?

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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