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Massenkundgebung in IstanbulErdoğan, der Palästinenser-Beschützer

Der türkische Präsident ruft zur Gewalt gegen Israel auf und beklagt die Zurückhaltung der muslimischen Welt. Kritik kommt von der Opposition.

Erdogan ruft zur Solidarität mit den PalästinenserInnen – und zur Gewalt gegen Israel – auf Foto: ap

Vor mehreren Hunderttausend Anhängern hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan am Freitagnachmittag mehr oder weniger offen zu Gewalt gegen Israel aufgerufen. Die Versammlung in Reaktion auf die Erschießung von etwa 60 palästinensischen Demonstranten an der Grenze des Gaza­strei­fens durch die israelische Armee am vergangenen Montag fand unter dem Motto „Die Tyrannei verdammen, Jerusalem unterstützen“ statt. Während für jeden Teilnehmer klar war, dass Israel der Tyrann ist, rief Erdoğan in die Menge: „Der Tyrann kennt kein Recht, der Tyrann kennt keinen Dialog. Die einzige Sprache, die der Tyrann versteht, ist die Gewalt“.

Erdoğan beklagte vor allem die bisherige Zurückhaltung der muslimischen Welt. „Die islamische Welt hat die Prüfung Jerusalem bisher nicht bestanden“, sagte er. „Lasst uns vereint gegen die Tyrannei auftreten. Wenn alle Muslime sich auflehnen, könnten die Tyrannen mit ihrer Unterdrückung nicht weitermachen“. Erdoğan sagte, die Welt könne nicht mehr in Frieden leben, wenn Israel seine Politik fortsetze.

Die Veranstaltung auf dem größten Versammlungsplatz Istanbuls war der bisherige Höhepunkt der Proteste, die Erdoğan seit der US-Botschaftsverlegung nach Jerusalem am Montag und dem parallel dazu geschehenen Gaza-Blutbad mit Staatstrauer und Veranstaltungen vorangetrieben hat. Auf Initiative Erdoğans fand gestern Abend noch ein Sondergipfel der „Organisation für die Kooperation islamischer Staaten“ (OIC) statt, auf dem Maßnahmen zur Unterstützung der Palästinenser diskutiert werden sollten. Die OIC ist allerdings geschwächt, da Saudi-Arabien und die Golfstaaten den Kurs Erdoğans nicht mitmachen.

Führungsanspruch innerhalb der muslimischen Welt

Mit der Großkundgebung in Istanbul machte Erdoğan, wie zuvor schon bei anderen Gelegenheiten, seinen Führungsanspruch innerhalb der muslimischen Welt geltend. Deshalb wurden bereits die türkischen Botschafter aus Israel und den USA abgezogen und der israelische Vertreter in Ankara vorübergehend des Landes verwiesen. Israels Premier Benjamin Netanjahu wies den Vorwurf eines „Massakers“ an den Palästinensern zurück und erinnerte an das Vorgehen der türkischen Armee gegen Kurden.

Die türkische Opposition kritisierte die Veranstaltung und den Sondergipfel der OIC als reine Showveranstaltung, die vor allem dem Wahlkampf für die Präsidentschaftswahl am 24. Juni dienen solle. Im Parlament hatte die oppositionelle CHP einen Antrag eingebracht, die Wirtschaftsverträge der Türkei mit Israel zu kündigen, was Erdoğans AKP allerdings ablehnte.

taz am wochenende

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Erdoğan nutzte mit seinem Auftritt gestern die in der Türkei weit verbreite Empörung über Israels Vorgehen gegen die Palästinenser weidlich aus. Er ließ sich vom Konferenzort zusammen mit anderen Staatschefs vom Kongressort mit dem Hubschrauber zu der vorher versammelten Menge einfliegen. Praktisch wird weder die Großveranstaltung noch der IOC-Sondergipfel irgendwelche anderen Konsequenzen haben als eine scharf formulierte Resolution.

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38 Kommentare

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  • "„Der Tyrann kennt kein Recht, der Tyrann kennt keinen Dialog. Die einzige Sprache, die der Tyrann versteht, ist die Gewalt“"

     

    Sagte er und endete mit "und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute".

     

    Ich würde mir inzwischen fast wünschen, dass er seine Drohungen wahr machen will.

    Dann würde der Kerl aber mal ganz schnell an seinen Platz gestellt.

  • Özil und Gündogan werden mitgejubelt haben. Unsere lieben Vorzeige- Türken.

    • @Chutriella:

      Und im Sommer werden dann Mio Deutsche und Türken gemeinsam jubeln, egal was Erdoğan mit den Israelis oder den Kurden macht.

  • Not my President

     

    !!!

  • Wer ein Feuer mit Benzin zu bekämpfen vorgibt, der kommt ins Gefängnis oder in eine Klappse; nur in der Politik sieht das anders aus: da läßt sich eine breite Mehrheit von den skandierenden Aggresivos der Tyrannen einschüchtern...

  • Ich kann nur eins sagen, das wird Erdogan nicht so gut bekommen wenn er zur Gewalt gegen Israel aufruft. Es könnte auch zurück schallen, lauter als es Erdogan lieb ist.

    • @Alfredo Vargas:

      Was meinen Sie?

      Dass Israel in die Türkei einmaschiert? Dass der Mossad ihn umbringt?

      • @rero:

        Nein, das wäre ein feindlicher Akt gegen einen Nato Staat. Aber die YPG könnte z.B. auf Kisten mit Spike PALR stoßen die jemand vergessen hat und dann nützt den Türken auch die verbesserte Leopanzerung nichts....

      • @rero:

        Irrtum, das meine ich nicht, aber sie wahrscheinlich. Das braucht Israel und der Massad nicht zu machen wie sie es schildern. Ich meinte damit dass Erdogan seines Gleichen in der eigenen türkischen Opossition findet.

        • @Alfredo Vargas:

          Tut mir leid, ich meinte gar nichts.

           

          Ich habe einfach "Zurückschallen" nicht verstanden War mir zu nebulös.

  • Wenn es um wirklich wichtige Dinge geht, arbeiten die Türkei und Israel bestens zusammen.

     

    Bis zum Eingreifen der Russen hat Erdogans Sohn Bilal den Export des vom IS gestohlenen irakischen und syrischen Erdöls nach Israel organisiert. Das Land konnte so für einige Zeit 75% seines Ölbedarfs zum halben Marktpreis decken. https://www.alaraby.co.uk/english/features/2015/11/26/raqqas-rockefellers-how-islamic-state-oil-flows-to-israel/

  • 8G
    88181 (Profil gelöscht)

    Wo bleiben denn die ganzen Israelkritiker, die müssten doch eigentlich das Hohelied auf Erdogan singen.

     

    Schlimmer als die Hamas ist er ja auch nicht.

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @88181 (Profil gelöscht):

      Vive la difference!

    • 8G
      81622 (Profil gelöscht)
      @88181 (Profil gelöscht):

      Stellen Sie sich mal vor, Kritiker der israelischen Politik können gleichfalls gegen Erdogans Diktatur sein...aber eine derart einfache und klare Haltung zu Menschenrechten ist Ihnen anscheinend fremd.

      • @81622 (Profil gelöscht):

        Erdogan hat eine Haltung zu den Menschenrechten? Gelten die für Kurden auch?

        • 8G
          81622 (Profil gelöscht)
          @Nicky Arnstein:

          Sie missverstehen wirklich viele Dinge...wenn ich vom Diktator Erdogan spreche kann ich ja wohl nicht meinen , dass er die Menschenrechte respektiert.

      • 8G
        88181 (Profil gelöscht)
        @81622 (Profil gelöscht):

        Nein, ist es nicht. Es ist ja erfreulich, wenn jemand so differenziert auf die Sache schaut.

         

        Meistens erlebe ich anderes. Israel wird in dem Konflikt alles nur erdenklich Schlechte zugeschrieben, bis zu skurilen Anwürfen wie dem "pink washing".

         

        Die Palästinenser sind hingegen immer reinsten Wassers. Die Hamas, die immerhin die Regierung stellt, wird in der Regel nicht erwähnt. Menschenrechtsverletzungen werden totgeschwiegen:

        https://www.amnesty.de/jahresbericht/2017/palaestina#section-24735

         

        Die Unterstützung durch den Iran: egal. Der wird eh durch die rosarote Reformerbrille gesehen.

         

        Die klare Haltung zu Menschrechten ist für viele Kritiker nur interessant, wenn sie von Israel verletzt werden.

         

        Was Palästinenser Palästinensern antun, ist ihnen unangenehm gleichgültig.

      • @81622 (Profil gelöscht):

        wie wahr, aber das verstehen einige nicht.

      • @81622 (Profil gelöscht):

        Erdogan stellt sich immerhin einer Wahl, bei der nicht 100% sicher ist, ob er wirklich gewählt wird.

         

        Wie oft stellte sich die Hamas in Gaza nochmal zur Wahl?

         

        Wo ist da die einfache und klare Haltung?

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Ist Erdogan unter die Humoristen gegangen oder ist sein Auftritt eine verkannte Selbstkritik? Mit Tyrannen kennt er sich aus. Schließlich ist er selbst einer.

  • Und was macht er mit den Kurden? Wieviel tote Kurden gehen auf sein Konto?

    • 8G
      81622 (Profil gelöscht)
      @Nicky Arnstein:

      Sie setzen also mit Ihrer Frage die Menschebrechtsverbrechen des Diktators Erdogan mit denen Israels gleich? Gut zu lesen, da Kriegsverbrechen, von wem auch immer begangen, angeklagt werden müssen.

      • @81622 (Profil gelöscht):

        Die Gleichstellung entspringt Ihrer blühenden Phantasie. Ich wüsste nicht, dass Israel die Pressefreiheit unterdrückt und die Rechte der Bevölkerung beschneidet. Man merkt an Ihnen, dass Sie einer von vielen Israel-Bashing-Trittbrettfahrern wären. Als ob Sie sich mit dem Nahostkonflik und der Lage in der Region auskennen würden.

  • "„Der Tyrann kennt kein Recht, der Tyrann kennt keinen Dialog. Die einzige Sprache, die der Tyrann versteht, ist die Gewalt“.

    In der Psychologie nennen wir das Projektion. Eigene (unbewußte) unliebsame Eigenschaften werden auf den Gegenüber projeziert. Viele Menschen entlarven sich dadurch. Trifft auf Erdogan zu , trifft auch auf die Antifa zu. Letzteres kostet mir evtl. die Veröffentlichung in der TAZ. Oder?

  • Erdoğan sagte, die Welt könne nicht mehr in Frieden leben, wenn Israel seine Politik fortsetze....

     

    Man mag seine Motive hinterfragen, falsch ist der Satz aber nicht.

    • @danny schneider:

      Ja, vor der Staatsgründung Israels herrschte auf der Welt himmlischer Frieden.

       

      So friedlich und schön wie von 39 bis 45 werden es die Deutschen nie wieder haben.

      Und das liegt alles an Israel.

    • 8G
      88181 (Profil gelöscht)
      @danny schneider:

      Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, legt erst Israel die Waffen nieder, dann erst werden die Menschen auf der ganzen Welt in Frieden leben können.

       

      Von der Ukraine bis Somalia, von den Philipinen bis nach Libyen, von Afghanistan bis Mexico vom Jemen bis nach Syrien, vom Sudan bis nach Pakistan, von Nordkorea bis Südkorea.

       

      Auf der ganzen Welt werden die Menschen verstehen und sagen: Jetzt können wir in Frieden leben.

      • @88181 (Profil gelöscht):

        warum so sarkastisch? Israel ist einseitig in besetztem britischem Gebiet ausgerufen worden. Das Land ist palästinensisch. War es immer, wird es immer sein. Und Israel bezeichnet sich als Staat der Juden. Die gibt es aber nicht. Nicht als Volksgruppe. Es sind Palistinenser jüdischen Glaubens die aus Ihrer Religion den Anspruch ableiten ein Volk zu sein.

         

        Würden die Ihre Verwanten um Vergebung bitten für Hochmut und das zugefügte Leid, das gestohlene Land zurückgeben, um Aufnahme in der Heimat der Väter bitten - ich bin mir sicher es würde gewährt und im Mittleren Osten wäre Frieden (sobald Schiiten und Sunniten sich nicht mehr bekämpfen).

    • 7G
      75026 (Profil gelöscht)
      @danny schneider:

      Der Satz ist nicht nur falsch, sondern lupenrein antisemitisch.

      • @75026 (Profil gelöscht):

        Schon mal nachgeschlagen was Semiten sind? Eine Sprachfamilie! Immer schön nachplappern was Staatsräson ist.

         

        Erst mal sachkundig machen, dann s Maul aufreißen.

      • 8G
        81622 (Profil gelöscht)
        @75026 (Profil gelöscht):

        Sie setzen also wieder die Kritik an Israels Reguerungspolitik mit Antisemitismus gleich....das ist Netanyahus Mantra , wird dadurch aber nicht wahrer.

        • @81622 (Profil gelöscht):

          Wenn Deutsche die Schuld am Nahostkonflikt allein Israel geben und von einer Gefahr für den Weltfrieden sprechen, dann spricht Vieles für Antisemitismus. Ist ja nicht schlimm. Einfach dazu stehen.

          • 8G
            81622 (Profil gelöscht)
            @Nicky Arnstein:

            ich empfehle Ihnen mal einen Besuch der Jerusalem Ausstellung im jüdischen Museum in Berlin..da sehen Sie, wie Israel sein Gebiet auf Kosten der Palästinenser durch illegale Siedlungen vergrößert hat...so dass Ost-jerusalem fast nicht mehr vom Westjordangebiet zu erreichen ist.

        • @81622 (Profil gelöscht):

          Keine Angst, die friedliche Assad-Politik sorgt für den Ausgleich.

        • 4G
          44490 (Profil gelöscht)
          @81622 (Profil gelöscht):

          Israel hat eine besondere Geschichte. 6 Millionen Juden wurden ermordet, und seit der Staatsgründung ist Israel von Feinden umgeben. Man denke an den 6-Tages-Krieg, als Israel von allen Seiten angegriffen wurde. Das sollte man berücksichtigen, wenn man die Politik der israelischen Regierung bewertet.

           

          Wenn jemand israelische Regierungspolitik bei seiner Kritik mit „Israel“ gleichsetzt, klingt das antisemitisch.

           

          Die Süddeutsche Zeitung hat gezeigt, das der Geist des Stürmers in diesem Lande immer noch seinen Platz hat. Subtiler als früher, aber im Kern identisch.

        • 7G
          75026 (Profil gelöscht)
          @81622 (Profil gelöscht):

          Über eine Aussage wie die zitierte von Erdogan kann man nicht ernsthaft diskutieren, weil es tausend Konflikte auf der Welt gibt und der israelisch-palästinensische Konflikt bezogen auf die Anzahl der Involvierten und der Opfer ziemlich marginal ist.

           

          Ernsthaft diskutieren sollte man über das, was er wirklich gemeint hat, und das verrate ich Ihnen jetzt. Richtig muss der Satz nämlich heißen: "Der Antisemit kann nicht in Frieden leben, solange Israel existiert."

    • 8G
      81622 (Profil gelöscht)
      @danny schneider:

      Da haben Sie recht.

      • @81622 (Profil gelöscht):

        "Israelkritiker" klopfen sich gegenseitig auf die Schulter.