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Massaker an den ArmeniernVölkermord durch die Hintertür

Union, SPD und die Bundeskanzlerin haben sich geeinigt: Sie wollen das Massaker an den Armeniern indirekt als Völkermord bezeichnen.

Die Genozid-Gedenkstätte in Eriwan, Armenien. Bild: dpa

BERLIN afp/reuters | Im Streit um die Einordnung des Massakers an den Armeniern vor hundert Jahren haben sich die Spitzen der Koalitionsfraktionen auf eine Formulierung geeinigt. In dem Antrag heißt es, das Schicksal der damals vertriebenen und getöteten Armenier „steht beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberungen, der Vertreibungen, ja der Völkermorde, von denen das 20. Jahrhundert auf so schreckliche Weise gezeichnet ist“. Weiter heißt es in dem Antrag, über den der Bundestag am Freitag beraten soll: „Dabei wissen wir um die Einzigartigkeit des Holocaust, für den Deutschland Schuld und Verantwortung trägt.“

Unionfraktionsvize Franz Josef Jung (CDU) und SPD-Fraktionsvize Rolf Mützenich erklärten am Montag, es sei zu einer Verständigung gekommen, „die die verschiedenen Standpunkte innerhalb der Fraktionen weitestgehend umfasst“. In dem bisherigen Entwurf des Koalitionsantrags war der Begriff Völkermord zunächst nur in der Begründung verwendet worden, nun rückte er in den Haupttext.

Armenien zufolge war der Tod von bis zu 1,5 Millionen Landsleuten während des Ersten Weltkriegs Ergebnis einer gezielten Vernichtungskampagne des Osmanischen Reiches. Die Türkei bestreitet, dass es sich um einen Völkermord handelte und spricht von einigen hunderttausend Toten durch Kämpfe und Hungersnöte während des Krieges.

Die Opposition aus Linken und Grünen im Bundestag hatte der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen vorgeworfen, aus falscher Rücksichtnahme auf die türkische Regierung den Begriff „Völkermord“ vermeiden zu wollen. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Bundesregierung machten sich die Gleichsetzung des Massakers an Armeniern mit einem Völkermord zueigen. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte am Montag in Berlin, die Bundesregierung stehe hinter einem Resolutionsentwurf der Koalitionsfraktionen.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier hatte den Begriff Völkermord noch am Sonntagnachmittag angesichts von Warnungen der türkischen Regierung umgangen. „Verantwortung heißt eben, Verantwortlichkeit nicht auf einen einzigen Begriff zu reduzieren“, hatte er in der ARD auf die Frage geantwortet, ob es sich bei den Massakern um Völkermord gehandelt habe.

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6 Kommentare

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  • Uuund die Griechen und Assyrer?

     

    Natürlich nennen die Deutschen das mit den Herero Völkermord. Jedenfalls im Geschichtsunterricht an der Schule.

     

    Warum loggt mich die taz eigentlich immer aus? Habe ich das schon mal gefragt?

  • Wenn ich so etwas lese, komme ich auf den (natürlich absurden) Gedanken, dass Frank-Walter Steinmeier ein Aussenministerdarsteller und ein Feigling sein könnte, der vor Erdowahn kuscht.

  • 1G
    1393 (Profil gelöscht)

    Natürlich war es ein Völkermord, was den Armeniern/Aramäern von den Jungtürken angetan wurde. Mag ja sein, dass die Türken damals im Vielfrontenexistenzkampf gestanden haben und ihnen ein ähnliches Schicksal gedroht hat, was die Worte des damaligen Präsidenten Katschasnounis nahe legen:

     

    http://www.taz.de/!156932/#bb_message_3248945

     

    Dennoch war die "Vertreibung", nichts anderes als Völkermord, so wie das, was die Belgier im Kongo getan haben, oder die Deutschen mit den Herrero. Natürlich nennen die Deutschen/Belgier ihren Völkerrmord an den Herrero/Kongolesen nicht Völkermord. Das Bedürfnis den eigenen Völkermord nicht Völkermord zu nennen, lässt sich auf weitere Bereiche übertragen. So nennt die Deutsche Regierung den "2+4" Vertrag auch nicht "Friedensvertrag", auch wenn es den Fakten nach einer ist. Was hat das denn nun damit zu tun? Nunja, wenn die Dt. Regierung nicht darauf bestehen bestehen würde, dass der Friedensvertrag einer ist, müsste Deutschland z.B. den Griechen für ihren "Völkermord" an Griechen Reparationen zahlen. Denn die 300.000-400.000 Griechen, die durch die Nazis einen Hunger-/Krankheitstod erleiden mussten, unterscheiden sich eigentlich nicht so sehr von den ca. 1-1,5 Millionen durch Hunger/Krannkheit gestorbenen Armeniern/Aramäern.

     

    Also, die Türken wollen ihren Völkermord nicht Völkermord nennen, weil sie keine Reparationen bezahlen wollen und zudem, im Gegensatz zu den anderen genannten Beispielen, tatsächlich Selbstverteidigung begründen können. Die Belgier und die Deutschen nennen ihre auf Aggression beruhenden Völkermorde (Kongo&Herrero) auch nicht Völkermord, um ebenfalls keine Reparationen zahlen zu müssen. Zudem nennen die Deutschen einen Freidensvertrag auch nicht Friedensvertrag, um ebenfalls Reparationen für Millionen an Ermordeten zu entgehen.

     

    Da ist der moralische Finger gegen die Türken schon sehr scheinheilig und nur billige Heuchelei!

  • Hmmm... war das etwa ein indirekter Völkermord?

  • Wie kann diese Regierung überhaupt darüber nachdenken sich über diesen Völkermord zu äußern. Kein Krieg mehr von deutschem Boden nach dem Genozid an Sinti, Roma, Homosexuellen, (wie viele davon gab es auch damals schon in hohen Positionen, gerade bei der hochhehren Waffen SS und SS?) und den Juden.

    Heute ist Deutschland wieder Waffenexporteur und an zweiter Stelle der Weltexporteure. Es ist unglaublich mit welcher Arroganz Merkel und Co glauben sich zu diesen Themen äußern zu müssen.

    Deutschland fehlt jedes Recht dazu, noch nicht mal ein Friedensvertrag und schon wieder Krieg spielen.

    • @Rita Dütsch:

      Glauben Sie wirklich, nur die, die nichts aber auch gar nichts mit den Untaten des 20. Jahrhunderts zu tun haben, hätten das Recht sich zu diesen Themen zu äußern? Ich meine, die qualifiziertesten Äusserungen können wir gerade von denen erhalten, die daran beteiligt waren und die in den quälenden Jahren von Einsicht und Reue durch ihr eigenes Fegefeuer gegangen sind (sh. Günter Grass), um zu der Erkenntnis zu gelangen, dass es Untaten gibt, die nicht wiedergutzumachen sind. Folglich sollte man diese besser nicht erst begehen. Ich finde, gerade diesen Menschen sollte, nein muss man zuhören! Dazu gehören in der folgenden Generation natürlich auch deutsche Politiker. (Die deutsche Doppelmoral unserer Waffenlieferungen gehört natürlich kritisch diskutiert und wird, wie Sie zu Recht anmerken, ein weiteres Feld öffnen!)

       

      Aber denjenigen nicht zuzuhören, die glaubwürdig geläutert wurden und bezeugen können, was es heisst, als unerfahrener junger Mensch bspw. durch Leute mit Vorbildwirkung in einen derart verheerenden Krieg hineingesogen zu werden, darauf dürfen wir im Zuge der Aufarbeitung unserer Geschichte gar nicht verzichten. Darauf sollten auch andere Länder mit ernstzunehmender Aufarbeitung ihrer Geschichte nicht vezichten.

       

      Wie wollten wir sonst aus der Geschichte nachthaltig lernen, wenn nicht durch Zeitzeugen von Opfer- und Täterseite? Und das nicht zur Rechtfertigung sondern um Wirkmechanismen zu erkennen und zu lernen.