Kommentar Völkermord Armenien: Eine Befreiung für alle
Beim Streit über die Anerkennung des Völkermords an den Armeniern geht es nicht um Reparationen. Es geht um Geschichte und nationale Identität.
Gedenken an den Völkermord an den Armeniern. Bild: dpa
Es kommt nicht auf die Zahl der Toten an, ob ein Verbrechen als Völkermord zu qualifizieren ist. Entscheidend ist die Absicht, eine ethnische, religiöse oder soziale Gruppe ganz oder teilweise auszulöschen.
Viele Historiker sehen hinter den Deportationen, Todesmärschen und Massakern an Armeniern in den Jahren 1915 und 1916 eine solche Intention. Die Türkei dagegen stellt die Verbrechen, die sie nicht völlig bestreitet, in den Kontext von Kriegswirren und feindseligen Handlungen der Armenier.
Der Streit ist bisher kein materieller Streit. Es geht nicht darum, dass Armenien Reparationen fordert und die Türkei den Belastungen entgehen will. Aus deutscher Sicht – aktuell konfrontiert mit griechischen Reparationsforderungen – scheint eine solche Sichtweise nahezuliegen, sie ist aber nicht einmal juristisch stichhaltig.
Es gibt keinen völkerrechtlichen Anspruch auf Reparationen für erlittenes Unrecht. Reparationen werden nach einem Krieg zwischen den beteiligten Staaten ausverhandelt, in der Regel in einem Friedensvertrag. In aller Regel muss der unterlegene Staat dem Siegerstaat einen Teil von dessen Kriegskosten erstatten.
Wenn es keinen derartigen Vertrag gibt, gibt es auch keinen Anspruch auf Reparationen. Sie können nirgends eingeklagt werden. Das ist auch das Dilemma der Griechen gegenüber Deutschland. Wenig besser sieht es mit individuellen Ansprüchen der Opfer von Kriegs- oder Völkermordverbrechen aus.
Den Armeniern geht es um die schlichte Anerkennung des erlittenen Unrechts. Und der Türkei scheint es darum zu gehen, ihr Bild in der Geschichte möglichst rein zu halten. Es geht also um Geschichtspoltik und nationale Identität. Deutschland aber weiß, dass ein klares Bekenntnis zur historischen Schuld für alle Beteiligten eine Befreiung ist, auch für die (einstige) Täternation.
Kommentar Völkermord Armenien: Eine Befreiung für alle
Beim Streit über die Anerkennung des Völkermords an den Armeniern geht es nicht um Reparationen. Es geht um Geschichte und nationale Identität.
Gedenken an den Völkermord an den Armeniern. Bild: dpa
Es kommt nicht auf die Zahl der Toten an, ob ein Verbrechen als Völkermord zu qualifizieren ist. Entscheidend ist die Absicht, eine ethnische, religiöse oder soziale Gruppe ganz oder teilweise auszulöschen.
Viele Historiker sehen hinter den Deportationen, Todesmärschen und Massakern an Armeniern in den Jahren 1915 und 1916 eine solche Intention. Die Türkei dagegen stellt die Verbrechen, die sie nicht völlig bestreitet, in den Kontext von Kriegswirren und feindseligen Handlungen der Armenier.
Der Streit ist bisher kein materieller Streit. Es geht nicht darum, dass Armenien Reparationen fordert und die Türkei den Belastungen entgehen will. Aus deutscher Sicht – aktuell konfrontiert mit griechischen Reparationsforderungen – scheint eine solche Sichtweise nahezuliegen, sie ist aber nicht einmal juristisch stichhaltig.
Es gibt keinen völkerrechtlichen Anspruch auf Reparationen für erlittenes Unrecht. Reparationen werden nach einem Krieg zwischen den beteiligten Staaten ausverhandelt, in der Regel in einem Friedensvertrag. In aller Regel muss der unterlegene Staat dem Siegerstaat einen Teil von dessen Kriegskosten erstatten.
Wenn es keinen derartigen Vertrag gibt, gibt es auch keinen Anspruch auf Reparationen. Sie können nirgends eingeklagt werden. Das ist auch das Dilemma der Griechen gegenüber Deutschland. Wenig besser sieht es mit individuellen Ansprüchen der Opfer von Kriegs- oder Völkermordverbrechen aus.
Den Armeniern geht es um die schlichte Anerkennung des erlittenen Unrechts. Und der Türkei scheint es darum zu gehen, ihr Bild in der Geschichte möglichst rein zu halten. Es geht also um Geschichtspoltik und nationale Identität. Deutschland aber weiß, dass ein klares Bekenntnis zur historischen Schuld für alle Beteiligten eine Befreiung ist, auch für die (einstige) Täternation.
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Schwerpunkt Türkei
Kommentar von
Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
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