Markus Söder im Wahlkampf: Der Würstchen-Populist
Markus Söder schürt Ängste und nimmt es mit Fakten nicht so genau. Stellt sich in Bayern im Herbst ein kleiner Trump zur Wiederwahl?
A m Ende wird es strahlende Gesichter geben auf dem Parkfest in Adldorf. Ein Mädchen wird zu ihren Freundinnen hüpfen, stolz das Selfie mit dem Ministerpräsidenten zeigen. Eine Frau mittleren Alters wird ihrem Mann um den Hals fallen und rufen: „Ich werde ihn wählen, ich bin so überzeugt von ihm.“ Und ein junger Mann wird resümieren: „War schee, hat passt.“ Dann wird Markus Söder aber auch schon in seinen 7er-BMW gestiegen und auf dem Weg zum nächsten Termin sein. Mission erfüllt.
Wenn man das Phänomen Markus Söder verstehen will, muss man nicht unbedingt ins niederbayerische Adldorf fahren. Aber schaden kann es nicht. Adldorf liegt an der Vils und hat wenige hundert Einwohner. Die Weiler in der Umgebung haben so schöne Namen wie Grimöd, Kuföd oder Weilöd. Eine Wiese weiter wird ein paar Tage später Howard Carpendale auftreten. Größte Sehenswürdigkeit des Ortes: das Schloss der gräflichen Familie Arco auf Valley, die hier noch immer den Ton angibt, die Brauerei betreibt und alljährlich das fünftägige Parkfest ausrichtet. Die Menschen bauen Gemüse an, arbeiten in der Brauerei oder bei BMW in Dingolfing.
Hier ist Niederbayern, wie es niederbayerischer nicht mehr wird. Stimmkreis Dingolfing, konservatives Kernland. Und doch: Wenn am 8. Oktober der neue Landtag gewählt wird, ist das hier längst kein Selbstläufer mehr für die CSU.
Früher holte die Partei in Dingolfing Ergebnisse von 47 Prozent und mehr. 2018 lag sie dann nur noch bei 37,9 Prozent; die Freien Wähler bekamen 19,4, die AfD 13,8 Prozent. Im Nachbarstimmkreis Deggendorf kamen die Rechtsextremen mit 15,6 Prozent sogar auf ihr bayernweites Rekordergebnis. Und nur ein bisschen weiter im Westen liegt Landshut, wo dem Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger diesmal gute Chancen auf ein Direktmandat eingeräumt werden.
Die Bierzeltperformance
Populisten hier, Populisten da. Und mittendrin: Markus Söder. Ein Politiker, dem allerdings nicht wenige bescheinigen, ebenfalls aus solchem Holz geschnitzt zu sein. Die Opposition in Bayern vergleicht ihn mitunter gar mit Donald Trump.
Es ist ein beschauliches Volksfest, wie man sie hier auf dem Land eben so feiert. Hendlbraterei, Kinderkarussell, Autoscooter, das Rote Kreuz verkauft Lose. Am vorletzten Abend gibt es immer eine CSU-Kundgebung im Bierzelt. Und da die Landtagswahl ansteht, hat sich der Ministerpräsident angekündigt. Vorne an der Landstraße warten schon seit zehn Minuten der Landrat, die örtlichen Landtags- und Bundestagsabgeordneten, die gräfliche Familie und der Brauereidirektor. Auch Bauminister Christian Bernreiter ist da, seit einigen Wochen ist er Chef der CSU Niederbayern. Es ist 17.10 Uhr, als Söder vorfährt. Jemand ruft: „Aufstellung!“ Die Musiker der Blaskapelle Führmann stellen schnell noch ihre Masskrüge weg, kurze Begrüßung, dann geht man gemeinsam rüber zum Bierzelt. Defiliermarsch, Einzug des Ministerpräsidenten.
Montagnachmittag – man könnte sich günstigere Termine für den Wahlkampf im Bierzelt vorstellen. Aber da die Gäste des Seniorennachmittags herzlich eingeladen wurden, noch ein wenig zu bleiben, ist das Zelt ordentlich besetzt: Zwischen 600 und 1.000 Zuschauer dürften es sein. Wenn das immer so läuft, kommt bei den rund 110 Bierzeltauftritten, die Söder in diesem Wahlsommer absolvieren will, schon was zusammen.
17.30 Uhr: Die Brotzeitbrettl sind gereicht, der stellvertretende Vorsitzende der bayerischen Wasserwacht ist begrüßt, Söder hat zwei-, dreimal am gräflichen Bier genippt. Dann steht er oben am Rednerpult in seinem beigefarbenen Trachtenjanker und legt los. Er freue sich, leitet Söder ein, mal wieder „vernünftige und anständige Menschen“ zu treffen. Schließlich habe jede bayerische Gemeinde mehr Verstand als die Regierungsparteien in Berlin. Das geht runter wie die kühle Mass bei den noch immer 30 Grad im Schatten.
Es folgt ein Parforceritt durch die Söder’sche Themenlandschaft: vom Heizungsgesetz über den Länderfinanzausgleich bis zur Erbschaftssteuer. Es geht um Biomasse, Holz und die Wichtigkeit des Warmduschens, natürlich auch ums Gendern, die Letzte Generation et cetera. Söders Stimme ist etwas mitgenommen, er muss immer wieder husten. Aber für eine solide Performance reicht die Konstitution des 56-Jährigen allemal.
Ein paar Häppchen sind speziell auf das Publikum zugeschnitten, auf die bayerischen Bauern, die „die halbe Welt“ ernährten und denen man Dank zollen müsse. Ansonsten liefert Söder sein Standardrepertoire: deftige Sprüche, seichte Witze, beispielsweise über das Aussehen von Karl Lauterbach, und viel bayerisches Selbstbewusstsein.
Auch in Bayern legt die AfD zu
Söder kann einigermaßen gelassen in diese Wahl gehen. Zuletzt stand die CSU in den Umfragen solide da, mal über 40 Prozent, mal etwas drunter. Dass CSU und Freie Wähler ihre Koalition werden fortsetzen können, das bezweifelt kaum jemand. Das beunruhigendste Ergebnis der Umfragen ist ein anderes. Auch in Bayern kann die AfD weiter zulegen, könnte drittstärkste Kraft im neuen Landtag werden. Wie also mit ihr umgehen? Söder steckt noch die Erfahrung von 2018 in den Knochen, als er ihr mit besonders markigen rechten Parolen – Stichwort Asyltourismus – den Wind aus den Segeln nehmen wollte. Er ruderte zurück.
Heute sagt Söder: „Wer anderen hinterherläuft, wird nie die Nummer eins.“ Aber wenn man einen Koalitionspartner hat, der offenbar mit dem einen oder anderen kopierten AfD-Spruch kein Problem, sondern sogar Erfolg hat, und in der Schwesterpartei einen Chef, der sich neuerdings öffentlich den Kopf über kommunale Bündnisse mit den Rechtsradikalen zerbricht – was dann? Es macht die Sache zumindest nicht einfacher. Und es gibt auch in der CSU Politiker, die intern beklagen: „Wir haben keine konzeptionelle Antwort auf die AfD.“
Ein Politiker müsse dem Volk aufs Maul schauen, ihm aber nicht nach dem Mund reden, hat schon CSU-Übervater Franz Josef Strauß vorgegeben. Aber ist die Trennlinie da immer so scharf?
Sticheleien gegen die Demokratie
Astrid Séville hat noch schnell einen Minztee gekocht. Jetzt sitzt die Politikwissenschaftlerin an dem kleinen Besprechungstisch in ihrem Büro. Es liegt in einem modernen Nebengebäude der Technischen Universität München, gleich hinter dem Lenbachhaus. Séville spricht über Markus Söder. Und über Populismus. Die naheliegende Frage: Gibt es da einen Zusammenhang?
Was ist das überhaupt, Populismus? Astrid Séville beschäftigt sich seit Jahren mit dem Phänomen. Kern des Populismus, sagt die 38-Jährige, sei die Gegenüberstellung des ehrlichen, schweigenden und übergangenen Volkes und einer in welcher Weise auch immer abgehobenen Elite, einem Establishment, das das Volk um sein Recht bringe. Er beinhalte daher immer die Behauptung, es herrsche aktuell keine richtige Demokratie, und den Aufruf, sich gegen „die da oben“ zu wehren.
Der klassische Populist wäre also demnach Söders Vize Hubert Aiwanger, man erinnert sich an seinen Auftritt bei einer Kundgebung in Erding, wo er forderte, „die schweigende große Mehrheit“ müsse sich „die Demokratie wieder zurückholen“. Séville nickt. „Da habe ich mir auch gedacht: Hat der Aiwanger gerade eine How-to-do-Populism-Anleitung gelesen?“
Ist Söder dagegen also harmlos? So ungeschoren will ihn die Professorin nicht davonkommen lassen. Dass auch Söder in Erding gewesen sei, sei ja kein Versehen gewesen. „Der wusste, auf welcher Bühne er da steht. Das sind so kleine Tabubrüche nach rechts, Testballons, wie weit man gehen kann.“ Sie wolle nicht sagen, dass Söder nicht fest auf dem Boden des Grundgesetzes stehe oder demokratische Institutionen infrage stelle. Aber: „Ich glaube tatsächlich, dass er einer derjenigen in der deutschen Politik ist, die das Spiel mit populistischer Agitation, mit populistischer Logik hervorragend beherrschen und es auch ganz gezielt einsetzen.“ Beispiel Atomkraft: Natürlich wisse Söder, dass sein Vorschlag, Atomkraftwerke in bayerischer Eigenregie weiterzuführen, jeglicher verfassungsrechtlicher Grundlage entbehre – trotzdem bringe er ihn an. „Das sind Sticheleien gegen Entscheidungen unserer demokratischen Institutionen. Das hat schon eine Tendenz zum Populismus.“
Astrid Séville, Politikwissenschaftlerin
Anders als Aiwanger versuche er dabei einen Spagat – „auf der einen Seite der Staatsmann, auf der anderen Seite einer aus dem normalen Volk, der der angeblich schweigenden Mehrheit eine Stimme verleiht – gegen die da oben.“
„Das schönste Bundesland der Welt“
Schlichte Botschaften sind auch so ein Wesensmerkmal des Populismus. Eine solche Botschaft lautet: Wir in Bayern sind die Besten, wir haben’s am schönsten, und schuld daran ist die CSU. „Bayern ist das schönste Bundesland der Welt“, ist einer von Söders schöneren Sätzen in Adldorf. Natürlich exerziert der CSU-Chef die Großartigkeit Bayerns auch gern im Detail durch. Auf die niedrigste Kriminalitätsrate verweist er dann und darauf, dass Bayern „Familienland Nummer eins“ und „mit dem Silicon Valley auf Augenhöhe“ sei. Er nennt Bayern aber auch das „menschlichste Land“, denn es habe mehr ukrainische Flüchtlinge aufgenommen als Frankreich. Gäbe es den Defiliermarsch nicht, zöge Söder wohl zu Tina Turners Zeile „Simply the best …“ ins Bierzelt ein.
Im Titel ihres Regierungsprogramms unternimmt die CSU noch nicht einmal den Versuch zu verheimlichen, wie dünn der Inhalt ist – „In Bayern lebt es sich einfach besser“, heißt der. Wenig hätte es verwundert, wenn die Partei noch ein achselzuckendes „Mei“ vorangestellt hätte.
Die tatsächliche Bilanz der CSU ist durchwachsen. Wirtschaftlich steht Bayern noch immer sehr gut da. Aber nicht überall ist der Freistaat an der Spitze. So tritt die Regierung in der Bekämpfung der in Bayern besonders heftigen Wohnungsmisere auf der Stelle. 10.000 bezahlbare Wohnungen hatte Söder bis 2025 versprochen, vor einigen Monaten wurden Zahlen bekannt, wonach er dieses Ziel um etwa 93 Prozent verfehlt. Auch bei der ÖPNV-Anbindung ist Bayern nach einer Analyse des Bundesinstituts für Bau, Stadt- und Raumforschung neben Mecklenburg-Vorpommern Schlusslicht. Und der Ausbau der Windkraft kommt allen Versprechungen zum Trotz kaum voran: Mit fünf neuen Anlagen kann Bayern sich im ersten Halbjahr gerade mal für 1 Prozent des deutschen Zubaus verantwortlich zeichnen.
Auch gibt es große Zweifel daran, dass die Regierung ihr ausgerufenes Ziel der Klimaneutralität bis 2040 erreicht. Aktuell steigen die Emissionen wieder, eine Besserung ist nicht in Sicht. Und erst vor wenigen Tagen schimpfte der Bund Naturschutz, dass die Staatsregierung auch in Sachen Flächenfraß weit von ihrem selbstgesteckten Ziel entfernt ist. Statt der angestrebten fünf würden weiterhin täglich weitere zehn Hektar Fläche verbraucht.
Söder ficht das freilich nicht an. Er sagt dann oft Sätze wie: „Wir sind nicht perfekt, aber wir sind näher dran als andere.“ Neben maximaler Selbstbeweihräucherung gibt es noch eine weitere Kernbotschaft in seinem Wahlkampf: den vermeintlichen Kulturkampf. Da geht es um die angeblichen Verbote, die Umerziehungsversuche der Ampel, allen voran der Grünen. „Dazu gehört dann auch, diese Pappfiguren aufzubauen, gegen die man schießen kann. Bei Söder ist das in ganz besonderem Maße diese Idee einer grünen Zwangsveganisierung“, erklärt Séville, „bei der dann mitschwingt, dass da oben diese Grünen sitzen, die autoritäre Entscheidungen gegen den eigentlichen Willen des Volkes treffen.“
Unser täglich Fleisch gib uns heute
Ja, das Fleisch! Söders liebstes Nahrungsmittel spielt eine zentrale Rolle in seiner Dauerwahlkampfsendung. Keine Rede, kein Talkshow-Auftritt kommt ohne aus. In den sogenannten Sozialen Medien hat Söder sogar einen eigenen Hashtag #söderisst eingeführt. Hier verbreitet er Fotos von so ziemlich allem, was sich auf seinem Teller findet: Schweinshaxn, saures Lüngerl, Weißwürste, Kalbskopf, selbstverständlich Nürnberger Bratwürste und, und, und … „Eigentlich müsste man bei Söder schon von Fleisch-Populismus sprechen“, sagt Astrid Séville.
Fleisch, das habe etwas mit bayerischer Alltagskultur zu tun, so die Wissenschaftlerin. Für viele stehe es für gesunden Menschenverstand, Normalität. Die einfachen Leute, so der Gedanke, äßen Fleisch. Für Söder hat das Thema noch einen besonderen Vorteil, denn in Wirklichkeit entspricht er ja so gar nicht dem bayerischen Bierzeltnormalo. Franke ist er, Protestant, Städter und Akademiker. Trinkt so gut wie keinen Alkohol, trägt vom Janker abgesehen keine Tracht, und bei den Schützen ist er auch nicht. Aber in puncto Fleischkonsum kann er sich authentisch als Mitglied des „normalen Volks“ präsentieren. Unser täglich Fleisch gib uns heute!
Und wenn dann die von den Grünen mitregierte Stadt München beschließt, in ihren Kitas keine Fleisch- und Fischgerichte mehr anzubieten, ist das natürlich ein gefundenes – pardon! – Fressen für den CSU-Chef. Da könnte man kleinlich sein und wie das Münchner Bildungsreferat einwenden, dass die Behauptung gar nicht stimmt und dass künftig lediglich mit Rücksicht auf die Überfischung der Meere auf die Verwendung von tiefgefrorenem Fisch verzichtet werde. Nur darf man die Wirkkraft von Fakten nicht überschätzen. Söder erreicht mit seiner Behauptung bei „Lanz“ ein Millionenpublikum, das Bildungsreferat mit seiner Richtigstellung dagegen … genau.
Die One-Man-Show eines Opportunisten
Séville erinnert an das Motto von Steve Bannon, dem früheren Trump-Berater: „Flood the zone with shit.“ Je mehr Desinformation man verbreite, desto mehr davon werde hängen bleiben. „Dann kann man natürlich auch mal den Leuten erzählen, dass ihnen gleich übermorgen jemand ihre alte Heizung ausbaut.“ Irgendwas bleibt zurück. Und Angst schüren geht immer. Da entwirft Söder auch mal drastische Armutsszenarien: „Einkaufen im Supermarkt muss wieder möglich sein“, forderte er jüngst bei einer CSU-Klausurtagung. „Natürlich ist auch das mit der Zwangsveganisierung totaler Quatsch“, sagt Séville. „Niemand in Deutschland will ja jemanden zwangsveganisieren.“
Dasselbe gilt natürlich fürs Zwangsgendern oder grüne Liederverbote. Dennoch ist es Söder beispielsweise zum Wiesn-Auftakt ein Anliegen, eine Lanze für den sexistischen Song „Layla“ zu brechen. À la: Das wird man wohl noch singen dürfen. Man darf vermuten, dass Söder kein inneres Bedürfnis verspürt, Ballermann-Schlager über geile Puffmütter in die Welt hinaus zu grölen. Aber solange es opportun ist, solange es hilft, das Bild des Freiheitsentzugs durch eine grüne Sittenpolizei zu zeichnen, macht sich der Ministerpräsident auch gern mal zum Anwalt der „Layla“-Sänger.
Ein Hang zum Opportunen wird Söder von jeher zugeschrieben. „Vielleicht sollte man ihn als Machiavellisten beschreiben“, überlegt Séville, also als einen, der sich den Gelegenheiten anpasst, sie erkennt und nutzt. Und das Ganze kann dann auch noch unter Staatsräson laufen, denn der Principe ist ja derjenige, der den Laden zusammenhält. Deshalb ist der Machterhalt quasi ein Wert für sich.“ Söder, ein populistischer Machiavellist?
Letztlich lässt sich das, womit der CSU-Chef den Wahlkampf bestreitet, in ein Wort fassen: Söder. Dabei ist es nicht nur das fortwährende Selbstlob, das auffällt – etwa die stete Behauptung, er habe in der Pandemie 130.000 Leben gerettet – oder die von der Staatskanzlei aus dirigierte One-Man-Show. Es ist auch die absolute Omnipräsenz des Ministerpräsidenten. Flood the zone with Söder!
Völlig einerlei, ob die MAN-Betriebsversammlung in Nürnberg, das Bezirksmusikfest des Allgäu-Schwäbischen Musikbundes in Unterroth, der Heimattag der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl oder das Internationale Samba-Festival in Coburg: Söder ist da. Oft sind es vier, fünf solcher Termine pro Tag. Zwischenrein zeichnet er die zehn besten Metzger Bayerns aus. Und wenn die Gemeinde Rohr meinen sollte, sie könnte den 675. Jahrestag der Verleihung des Marktrechts ohne den Ministerpräsidenten begehen, dann hat sie sich aber so was von geschnitten. Meint sie aber natürlich nicht.
Selbstverständlich geht Söder auch zu Lanz und Maischberger, und inzwischen hat er sogar seinen eigenen Podcast, in dem er sich mit Prominenten unterhält. Überhaupt – die Prominenten. An ihrer Seite zeigt er sich gern. Oder besser gesagt: Er zeigt sie gern an seiner Seite. In der Filmbranche erinnern sich noch manche nicht ohne eine Portion Fremdscham an die Verleihung des Bayerischen Filmpreises im vergangenen Jahr. An den Moment, als Söder bei der Übergabe des Ehrenpreises mit Fußball unterm Arm und im kompletten Fußballoutfit von 1954 auf die Bühne sprang. Der eigentliche Preisträger, der zum Statisten verdammte Sönke Wortmann, stand daneben und schaute mit versteinerter Miene zu. Auch das gehört zur großen Söder-Show. Dass ihm nichts, aber auch gar nichts peinlich ist.
Kann es einen Populismus der Mitte geben?
Es gibt jedoch Termine, um die selbst Söder einen Bogen macht. Zu Opernveranstaltungen schickt er in Vertretung gern seinen Kunstminister Markus Blume, zu Podiumsdiskussionen mit Spitzenkandidaten der anderen Parteien seinen Finanzminister Albert Füracker – und auch den Landtag meidet Söder. 2022 habe er von 30 Sitzungen 25 geschwänzt, rechnete die SPD vor; auf eine ähnlich niedrige Quote komme kein anderer Ministerpräsident. Dem politischen Nahkampf mit der Opposition, so die Süddeutsche Zeitung, weiche Söder konsequent aus.
Im Bierzelt in Adldorf hat er keinen Kampf zu befürchten. Nach knapp einer Stunde ist Söder am Ende seiner Rede angelangt; ein Mitarbeiter reicht ihm ein Handtuch. Passt schon, sagen die Leute. „Aber wenn der Aiwanger dagewesen wäre“, meint ein Besucher, „da hätte das Zelt getobt.“ Ein anderer klingt besorgter: „Die AfD ist im Anmarsch, dazu hätte er ein bisschen mehr sagen können.“ Ja, man wüsste zu gern, wie Söder es nun mit den ganz Rechten hält.
Eine Woche später, CSU-Vorstandssitzung. Markus Söder will die Migrationspolitik nun offenbar doch zum Wahlkampfthema zu machen, und kündigt an, bei abgelehnten Asylbewerbern wieder von Geld- zu Sachleistungen zurückzukehren. „Ist es Zufall“, fragt sogar die sehr CSU-freundliche Passauer Neue Presse, „dass das ausgerechnet jetzt passiert, wo die AfD gerade einen Lauf hat?“
Sieht so Söders Brandmauer nach rechts aus? Und was, sollte sie funktionieren? Kann es einen Populismus der sogenannten Mitte geben, der hilft, die Extremisten in Schach zu halten?
Es gebe Kollegen, für die Populismus ein Teil der Demokratie sei, sagt die Politikwissenschaftlerin Astrid Séville. „Dann gibt es aber auch die anderen, die in ihm gerade einen Angriff auf die Demokratie sehen. In der Diskussion um Populismus geht es bisweilen um die helle und die dunkle Seite der Demokratie.“ Eine Analogie, die dem „Star Wars“-Fan Markus Söder gefallen dürfte. „Söder ist beides gleichzeitig. Anakin Skywalker und Darth Vader.“ Astrid Séville macht eine kleine Pause und fügt hinzu: „Aber mit Würstchen in der Hand.“
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