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Marathon am WahlsonntagOlaf Scholz und seine Laufgruppe

Die neue Bundesregierung hat eine Langstrecke vor sich, auf der sie noch viel fluchen wird. Aber aufgeben ist nicht – wie bei unserem Autor.

Du packst das – Marathonläufer in Berlin Foto: Sebastian Wells/imago

A ls es ganz schlimm wird, ist der Olaf zur Stelle. Irgendwo bei Kilometer 36, als ich nach letzten Kraftresten in meinem Körper suche, taucht er rechts von mir zwei Meter hoch auf einem Wahlplakat auf. Und verspricht mir weder Mindestlohn noch Minimiete, sondern: „DU PACKST DAS“. Ich kann mir nicht helfen: Ich bin ihm dankbar.

Sie fanden: Die Wahl war eine Qual? Ha! Hätten Sie halt briefgewählt! Die echte Schinderei waren an diesem warmen Wahlmarathontag die berüchtigten 42 Kilometer durch Berlin. Da war ich glücklich über meinen Leidensgenossen, der weiß: Man kann monatelang hart trainieren, sich im Wettkampf komplett fokussieren, Freunde und Familie vernachlässigen und trotzdem immer denken: „Warum mache ich diesen Quatsch eigentlich?“

Olaf Vizekanzler jedenfalls ist ein Mann, der zäh an sich arbeiten kann, und, wenn es richtig ausschweifend wird, eine Flasche Mineralwasser aufmacht. Ein Langstreckler wie wir. Der nun, wie es aussieht, gleich sehr viele sehr lange Läufe und Märsche vor sich hat: Ausbau von Windanlagen voranbringen, Rente sichern, „Respekt“ auch für AfD-WählerInnen aufbringen, den CO2-Preis so erhöhen, dass es keiner merkt, Putin eingrenzen und trotzdem Nord Stream 2 zulassen und so weiter. Und das sind nur die ersten fünf Kilometer.

Schmerzhafte Realität

Mein Marathonlauf am Wahltag war leider weniger von Metaphern geprägt als von schmerzhafter Realität. Es fühlte sich eher so an wie bei Annalena Baerbock und Armin Laschet: Ein guter Start, ein leichtes Einlaufen – und dann zieht jemand nach einem Drittel der Strecke plötzlich den Stecker. Nichts geht mehr von selbst, der Spaß, die Kraft, die Zuversicht sind dahin. Letztens habe ich ein Buchkapitel „Der ganz lange Atem“ genannt und den Weg zur Klimaneutralität mit einem Marathonlauf verglichen. Keine gute Idee, knirsche ich seit Kilometer 15 mit den Zähnen. So fühlt sich ein treibhausgasneutrales Deutschland an? Dann will ich lieber noch eine zweite Meinung dazu.

Irgendwann rette ich mich ins Ziel. Nach sechs alkoholfreien Bieren kann ich mich beim Picknick im Park auch wieder für den anderen Marathon da draußen interessieren. Olaf Scholz hat immerhin vier Jahre Ruhe vor der nächsten Schinderei. Allerdings drohen seiner Laufgruppe jetzt überall Gefahren: Falsche Abzweigungen, blockierte Straßen, Psychodruck, schlechte Ernährung. Und immer mindestens einen gelben und einen grünen Mitläufer, die einem in die Hacken treten. Zumindest einen Vorteil hatte mein Lauf: Ich musste an keiner Ampel halten.

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Bernhard Pötter
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).
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1 Kommentar

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  • Und noch ein launig verpackte Kommentar gegen die Ampel.

    Ist ja auch klar: Die Farbe der taz ist längst nicht mehr grün oder rot oder auch gelb, sondern: schwarz.

    Ich hoffe, dieser Tendenz geht bald die Puste aus.