Mangelnde Transparenz: Meine Vermieterin, die Journalistin
Ein dubioser Wohnungsunternehmer machte Geschäfte mit einer „Spiegel“-Chefredakteurin. Im Magazin erschienen gefällige Artikel über seine Person.
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„Als Familienvater finde ich die Vorstellung, von heute auf morgen mit Kindern auf der Flucht zu sein, einfach schlimm“, sagt er dem Spiegel. Was dort nicht steht: Die stellvertretende Chefredakteurin des Magazins ist Wichelmanns Geschäftspartnerin. Gemeinsam mit ihrer Mutter kaufte sie 2019 eine Wohnung in Prenzlauer Berg, die Nena weit über dem damals gültigen Mietspiegel weitervermietete.
Die Journalistin und der Unternehmer sind seit Jahrzehnten enge Freunde. Noch entscheidender: Das im Artikel erzeugte Bild des gemeinwohlorientierten Geschäftsmannes ist unvollständig und irreführend. Was hat Amann mit Wichelmanns Nena Hospitality GmbH zu tun? Und wie kam es zu der Berichterstattung im Spiegel?
Zu Hochzeiten, um das Jahr 2019, vermietete Nena nach eigenen Angaben 900 Wohnungen, 60 davon als Wohngemeinschaften. Das WG-Modell erinnert an eine Dreiecksbeziehung: Melanie Amann als Eigentümerin vermietet ihre Wohnung an die Zwischenhändlerin Nena. Nena stückelt die Wohnung in einzelne Zimmer auf und vermietet sie diese gegen Aufpreis weiter, vor allem an junge Menschen.
Dubioses Geschäftsmodell
Geschäftsführer Wichelmann schreibt der taz, die WG-Vermietung sei „ein gutes Angebot“ und die Preise „fair“. Doch das Amtsgericht Mitte entschied 2022, dass die Zimmermiete in Amanns Wohnung im Prenzlauerberg deutlich überhöht war. Sie lag mehr als 40 Prozent über dem Mietspiegel.
Dabei handelt es sich nicht um einen Einzelfall. Die taz hat über Monate zu den Auseinandersetzungen zu den Beschwerden über um die Wohnungen der Nena recherchiert und allein mit dreizehn aktuellen und ehemaligen Mieter:innen gesprochen.
Heute fokussiert sich Nena auf sogenannte „serviced apartments“, also möblierte und moderne Kurzzeitunterkünfte für Geschäftsreisende oder Tourist:innen. Die weniger profitträchtigen Altbau-WGs wäre Nena dagegen gerne los. Doch viele Mieter:innen – auch in Amanns Wohnung – wollen nicht ausziehen, haben unbefristete Verträge. So etwa der Student Marc Schild (Name geändert), der nicht mit seinem echten Namen im Text auftauchen möchte.
„Ich ärgere mich darüber, dass mein Vermieter einseitig als Wohltäter dargestellt wird“, sagt Schild der taz. Der Eigentümerin Amann sei er nur einmal, bei der Wohnungsbesichtigung 2019, begegnet. Auch Wichelmann sei dabei gewesen und habe sich gewundert, wie ordentlich es in der Männer-WG sei. Amann habe erwidert, dass es beim „Florian“ früher ja auch immer total ordentlich gewesen sei.
Jahrelange Freundschaft
Tatsächlich fußt die Geschäftspartnerschaft auf einer jahrzehntelangen Bekanntschaft. Im Spiegel-Archiv findet sich ein Artikel über die deutschen Debattiermeisterschaften 2004, an der beide teilnahmen. Wichelmann wird dort als „Rampensau“ mit „völlig überdrehtem Selbstbewusstsein“ beschrieben, Amann wird zitiert, sie sei „nie ein schüchternes Häschen“ gewesen. Im Juni 2022, gut drei Monate nachdem der Wohltäter-Artikel im Spiegel erscheint, feiern Wichelmann und Amann auf der „Hauptstadtparty“ des Magazins. Hat die Journalistin Wichelmann gute Presse im Magazin besorgt?
Amann möchte nicht über ihre Wohnung oder den Text im Spiegel sprechen. Sie verweist auf die Pressestelle. Die gibt immerhin zu, dass Wichelmann durch den Hinweis seiner Geschäftspartnerin in den Spiegel kam. Amann habe ihn als „möglicherweise geeigneten Ansprechpartner“ vorgeschlagen und den Kontakt hergestellt. Die Berichterstattung habe Amann aber weder initiiert noch beeinflusst. Der Artikel sei nicht in Amanns damaligem Ressort, dem Hauptstadtbüro, erschienen. Allerdings waren gleich zwei der drei damaligen Autor:innen des Textes Praktikant:innen im Hauptstadtbüro, das Amann leitete.
Der Spiegel betont in seiner Antwort, dass Amann mit ihrer Beziehung zu Wichelmann intern transparent umgegangen sei. Sollte das stimmen, bleibt die Frage: Kann man von Praktikant:innen erwarten, dass sie gegen einen Freund und Geschäftspartner der Chefin kritisch recherchieren?
Sicher ist: Der Spiegel veröffentlicht keinen Transparenzhinweis über Amanns Beziehungen zum Protagonisten. Transparency International schreibt in einem Leitfaden für Journalist:innen: „Verflechtungen zwischen beruflichen und privat-kommerziellen Interessen werden vermieden bzw. deutlich und transparent öffentlich gemacht.“
Keinerlei Transparenzhinweise
Auf die Frage, warum das Magazin ausschließlich positiv über Wichelmann berichtet, obwohl namhafte Medien wie der WDR oder der Tagesspiegel schon vorher über fragwürdige Geschäfte seines Unternehmens berichteten, antwortet der Spiegel nicht. Die Berichterstattung erfülle alle presserechtlichen und medienethischen Erfordernisse.
Der WDR fand 2018 Hinweise, dass Nena, damals noch unter dem Namen Orbis Apartments, gut 30 Wohnungen über Airbnb vermietete. Dabei versteckte sich das Unternehmen hinter dem Profil einer privaten Anbieterin mit dem Namen Marie. Der Tagesspiegel schrieb zwei Jahre später über Wucherpreise bei Vermietungen an ausländische Studierende. Ein indischer Master-Absolvent erzählte, dass er mit drei Landsleuten auf 46 Quadratmetern lebte, das Ganze für 1400 Euro. Die Leser:innen des Spiegel erfahren davon nichts.
Marc Schild, der Mieter in Amanns Wohnung, interessiert sich mehr für seine WG als für Medienethik. Seit über einem halben Jahr steht auch hier ein Zimmer leer. Im Juli 2024 schreibt ihm Wichelmann bei Whatsapp, dass Nena alle Verträge beenden wolle. Per Einschreiben wendet er sich daraufhin an Amann. Schild schlägt vor, einen neuen Vertrag zu schließen, ohne Nena als Zwischenhändlerin. Er bittet um eine kurzfristige Rückmeldung. Bis heute, sagt er, habe er nichts von Amann gehört.
Transparenzhinweis: Der Mieter ist ein Freund des Autors. Beide haben vor zehn Jahren gemeinsam ein Freiwilliges Soziales Jahr in der Linksfraktion im Bundestag absolviert. Keiner der beiden ist in der Partei politisch aktiv oder Mitglied.
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