Mäßigungsversuch der AfD: Der Arbeitskreis liegt noch am Pool
Eigentlich versucht sich die AfD in der Selbstverharmlosung. Doch die neue Strategie versandet in der Sommerpause, schürt Konflikte in der Partei – und nutzt Maximilian Krah.
Gerade hat sich das Gehalt der in der Schweiz lebenden AfD-Vorsitzenden Alice Weidel auf stattliche 24.000 Euro verdoppelt – der Fraktionsvorstand hat sich die Gehälter erhöht. Vielleicht wirkt sie deswegen so verstörend gut gelaunt, als sie in der Generaldebatte des Bundestags am Mittwoch genüsslich düstere Untergangszenarien für Deutschland heraufbeschwört.
Als hätte die Bundestagsfraktion der extrem rechten AfD sich nicht eben erst einen neuen Verhaltenskodex zum „gemäßigten Auftreten im Parlament“ gegeben, hetzt Weidel mit schneidender Stimme rassistisch gegen Minderheiten und Flüchtlinge, die aus ihrer Sicht an wirklich allen Problemen schuld seien sollen, und prügelt schrill auf den „Lügenkanzler Merz“ ein. Das einzig Bürgerliche an Weidels Auftritt ist ihr Landadellook mit sandfarbenem Jackett und obligatorischer Perlenkette.
Keine Spur von Mäßigung
Weidels Rede enthält nicht einmal Spuren von Mäßigung. Sie verbreitet Fake News von Einbürgerungen per Mausklick, raunt von einer „Transformation des Staatsvolks“ und rundet das Ganze dann noch mit einer NS-Relativierung ab: Dass die SPD ein AfD-Verbot fordere, erinnere sie an „dunkle Zeiten“.
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Die rüde Rede bildet das Spannungsfeld ab, in dem sich die Partei als größte Oppositionsfraktion derzeit bewegt. Einerseits ist die Partei aufgrund der Hochstufung als gesichert rechtsextrem und des Fahrt aufnehmenden Verbotsantrags unter enormem Druck, andererseits hat sie sich seit ihrer Gründung kontinuierlich radikalisiert. Diese Entwicklung wollen Leute wie Björn Höcke noch auf die Spitze treiben, sie hat der Partei – gemessen an Wahlerfolgen vor allem im Osten, aber mittlerweile auch im Westen – offensichtlich mehr genutzt als geschadet.
Ihr Problem bleibt jedoch: Bisher hat die Partei fast jedes Verfahren gegen den Verfassungsschutz verloren. Wenn die AfD weiter an ihrem Radikalkurs und Personen wie dem österreichischen Rechtsextremen Martin Sellner und dessen Kampfbegriff „Remigration“ – und damit einer rassistisch motivierten Vertreibungspolitik – festhält, könnte das so weitergehen.
Trotz guter Umfragewerte und des gesellschaftlichen Rechtsrucks inklusive der Übernahme von AfD-Positionen durch die Union führt das intern zu Streit, Unruhe und erbitterten Kämpfen. Hinzu kommen untereinander nicht vereinbare Positionen innerhalb der Partei zu Russland, Iran und Israel sowie ein ambivalentes Verhältnis zu Donald Trump, der Nato und den USA.
„Brandmauer umwerfen“
Gestritten wird über grundsätzliche Fragen: Wie radikal darf es denn nun sein? Was muss man tun, um weiter die niederen Instinkte des „Volkszorns“ und der Stammwähler schüren zu können, aber nicht verboten zu werden? Und wie kann man dabei die selbst gesteckten Ziele erreichen – neue Wählerschichten erschließen oder gar die Brandmauer einreißen und koalitionsfähig werden?
Einen Teil der Antworten gibt eine geleakte PowerPoint-Präsentation der Bundestagsfraktion: Die Brandmauer will die AfD umwerfen, indem die Gesellschaft weiter mit Kulturkampfthemen („Gender“) in „bürgerlich-konservativ“ und „linksradikal“ gespalten werden soll, also die Gräben zwischen Union, SPD und Grünen vertieft würden. Die Union will sie vor allem in deren Kernkompetenzen Wirtschaft und Finanzpolitik angreifen, sie mit den Kompromissen mit der SPD packen und so langfristig eine AfD-CDU/CSU-Koalition erzwingen.
Viele Expert*innen gehen allerdings davon aus, dass die AfD derzeit ihr Potenzial nahezu vollends ausgeschöpft und ohne eine inhaltliche Neuausrichtung wenig Chancen hat, neue Wählergruppen zu erschließen. Hinzu kommt, dass die Partei trotz aller Kraftmeierei selbst im Osten bisher nur einmal stärkste Partei geworden ist – in Thüringen. Und so groß scheint der Elan dann auch nicht: Die Arbeitsgruppe „Brandmauer umwerfen“ soll ihre erste Sitzung irgendwann nach der Sommerpause haben.
Mittelfinger auch von Björn Höcke
Erst mal versucht die AfD das Mindeste: nicht verboten zu werden. Anfang der Woche hat der im Bundesvorstand für die Gerichtsverfahren gegen den Verfassungsschutz zuständige ehemalige Oberstaatsanwalt Roman Reusch einvernehmlich mit der Parteispitze vor weiterer Zusammenarbeit mit Sellner gewarnt, nachdem kürzlich das Urteil zu Compact Sellners Positionen als verfassungsfeindlich einstufte.
Prompt folgten zahlreiche Solidaritätsadressen an Sellner, Widerstand gegen den verordneten Mäßigungskurs wurde laut: „Wir machen genau so weiter wie bisher“, hieß es aus dem besonders radikalen Brandenburg. Einen Mittelfinger gab es auch von Höcke selbst, der auf seinen Kanälen lächelnd mit einem Sellner-Buch posierte und den kleinen österreichischen Rechtsextremen als „Till Eulenspiegel“ lobte, dem die AfD nicht in den Rücken fallen dürfe. Der Burgfrieden zwischen Höcke und der Parteispitze scheint seither aufgekündigt.
Denn dies sind direkte Provokationen gegen jene in der Partei, die zumindest öffentlich für ein gemäßigtes und seriöseres Auftreten werben. Je näher die Partei der Macht kommt, desto professioneller wollen Leute auftreten, die auf Machtoptionen vor allem in Ostdeutschland hoffen. So wünscht sich Parteichef Tino Chrupalla seit Wochen mehr „Konstruktivität“ und Lösungskompetenz statt plumpen Gepöbels.
In Chrupallas Landesverband Sachsen hat der Landesvorsitzende Jörg Urban im vergangenen Jahr einen für AfD-Ost-Verhältnisse zurückhaltenden Wahlkampf geführt. Aber auch hier wirkte das nicht wirklich glaubwürdig: Bereits in der Ebene unter der Spitze gibt es Abgeordnete, die 2020 beim Sturm auf den Reichstag dabei waren, Terrorverdächtige in ihren Landtagsbüros beschäftigten oder Männer ins EU-Parlament schicken, die mit der Hand auf dem Herzen vor Hitlers Wolfsschanze posieren.
Die Gegner eines Mäßigungskurses dürften also zahlreich bleiben: Sie warnen schon jetzt im Hinblick auf die rechtsradikale italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni wegen ihrer aus AfD-Sicht zu EU-pragmatischen Haltung vor einer „Melonisierung“ oder gar einer „Merkelisierung“ der Partei. Entsprechend groß war der Aufschrei, nachdem die Bundestagsfraktion ein folgenloses Positionspapier verabschiedet hatte, in dem nach kontroverser Debatte bei der letzten Fraktionsklausur auf die Nutzung des Worts Remigration verzichtet wurde. Im Bundestagswahlkampf hatte Weidel es noch selbst von der Bühne gerufen und damit die Völkischen versöhnt.
Krah positioniert sich strategisch
Maximilian Krah sieht in diesem Chaos seine zweite Chance. Nach einem slapstickhaften EU-Wahlkampf als Spitzenkandidat zwischen SS-Verharmlosung, Spionage- und Korruptionsskandalen war er isoliert. Dann wurde er per Direktmandat aus Sachsen in den Bundestag gewählt und versteht es seither geschickt, sich ins Zentrum der innerparteilichen Debatte zu stellen. Obwohl er noch vor gut einem Jahr als Speerspitze der Völkischen selbst Sellner-Positionen vertreten hat und ein ultraradikales Pamphlet im rechtsextremen Verlag Antaios veröffentlicht hat, plädiert der Jurist mittlerweile aus strategisch-pragmatischen Gründen für eine Abkehr vom Remigrationsbegriff und von der Idee der völkischen Reinheit.
Daraufhin musste Krah prompt als „Feindzeuge“ zum Podcast-Rapport bei seinem rechtsextremen Verleger Götz Kubitschek antreten. Das Streitgespräch ging für Kubitschek nach hinten los, weil er gegen Krahs juristische Ausführungen blass wirkte und Krah ihm vor Augen führte, dass Sellners und Kubitscheks Volksverständnis verfassungsfeindlich ist. „Der Staat passt nicht zu dem, was unserer politischen Überzeugung entspricht“, sagte Krah dort, „aber wir werden mit ihm auskommen müssen.“ Sein Sinneswandel beruht auf der Angst vor einem Verbot, weniger auf Überzeugungen.
Dafür spricht, dass Krah sich nun zwar für die Akzeptanz von Staatsbürgern mit Migrationshintergrund ausspricht, aber dezidiert gegen die Durchmischung von autochthonen deutschen mit migrantischen Milieus ist. Krah plädiert dafür, jegliche Integrationsmaßnahmen des Staats einzustellen – was nach Ghettoisierung klingt. Ob mit seinem Kursschwenk auch eine Abkehr vom Ziel der „Zerstörung der CDU“ einhergehe? Nicht wirklich: „Ach, das passiert schon von selbst.“
Gespaltene Radikale
Mit dem Konfrontationskurs gegen Kubitschek und Sellner hat sich Krah jedoch in manchen Parteikreisen rehabilitiert: Jüngst schipperte er mit den AfD-Landesvorsitzenden von Hessen, Sachsen und Nordrhein-Westfalen über den Rhein. Parteifreunde nennen Krah bereits den neuen „Tanzbären“ des NRW-Landesvorsitzenden Martin Vincentz, der als Gegenspieler Höckes gilt und mit dem Parteiausschluss des ultraradikalen Matthias Helferich Aufsehen erregte.
Auf taz-Anfrage bestätigt Krah, dass er trotz des Disputs mit Kubitschek an dessen Sommerfest in Schnellroda teilgenommen hat. Ein dort geplantes Streitgespräch mit Martin Sellner hatte der Österreicher abgesagt. Krah bezichtigte ihn daraufhin der Feigheit, Sellner stichelte zurück. Krah sagte der taz, auch beim Sommerfest habe Sellner ihn gemieden, und legte erneut nach: „Martin Sellner ist eine Pussy.“
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