Machtkampf im Nahen Osten: Erdoğans nächste Front
Türkeis Präsident will Truppen nach Libyen entsenden. Es geht um einen Kompromiss mit Russlands Staatschef Putin – auch in Syrien.
Da seine Koalition von AKP und MHP über die absolute Mehrheit im Parlament verfügt, dürfte am Ausgang der Abstimmung kein Zweifel bestehen, auch wenn die Opposition einen möglichen Kriegseinsatz in Nordafrika vehement kritisiert.
Entscheidender als die Abstimmung im Parlament dürfte aber ein Besuch des russischen Präsidenten Wladimir Putin sein, der für den 8. Januar in Ankara erwartet wird. Wie in Syrien stehen sich die Türkei und Russland auch in Libyen in verfeindeten Lagern gegenüber. Während Erdoğan sich an der Seite der international, dass heißt von den UN, anerkannten Regierung des Ministerpräsidenten Fajis al-Sarradsch engagiert, unterstützt Putin den abtrünnigen libyschen General Chalifa Hafter, der Ostlibyen kontrolliert.
Haftar versucht seit Monaten die Hauptstadt Tripolis zu erobern und wird dabei nach Angaben aus dem Sarradsch-Lager von russischen und saudischen Söldnern unterstützt. Bei den Gesprächen mit Putin wird es deshalb darum gehen, einen Kompromiss in Libyen und gleichzeitig für die Rebellenprovinz Idlib in Nordsyrien zu finden, wo sich Russland und die Türkei ebenfalls in feindlichen Lagern gegenüberstehen.
Überraschungsbesuch in Tunesien
Ganz überraschend war Erdoğan am Mittwoch in das libysche Nachbarland Tunesien geflogen, um mit dem dortigen Präsidenten Kaies Saied über die Situation in Libyen zu sprechen. Nach Informationen der taz aus Kreisen einer westlibyschen Delegation hat sich Erdoğan dabei in Tunis auch zu Gesprächen mit Fajis al-Sarradsch getroffen.
Offiziell soll es bei den Gesprächen mit Präsident Saied und Ministerpräsident Sarradsch um eine Friedensinitiative gegangen sein. Tatsächlich wurde wohl eher über die zukünftige militärische Kooperation und die dabei mögliche Unterstützung Tunesiens gesprochen.
Erdoğan sagte auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seinem tunesischen Amtskollegen, dass Tunesien „wertvolle und konstruktive“ Beiträge zu der Stabilität Libyens leisten könne. Ein Waffenstillstand müsse sobald wie möglich erreicht werden, ergänzte Kais Saied.
Zwei Tage zuvor hatte Saied libysche Stammesälteste aus ganz Libyen empfangen und eine tunesische Friedensinitiative angekündigt. Tunesien und Algerien sind nicht zu dem sogenannten Berliner Prozess geladen, der auf Initiative deutscher Diplomaten die Verbündeten der libyschen Kriegsparteien zusammenbringen soll.
In Einflusssphären geteilt
Libyen ist in Einflusssphären der Einheitsregierung von Fajis al-Sarradsch und Chalifa Hafters „libysch-arabischen Armee“ geteilt. Während Hafter seit einer versuchten Machtübernahme von Islamisten Unterstützung aus Ägypten, den Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien in Form von Waffen erhält und weite Teile Libyens kontrolliert, hat die Sarradsch-Regierung nur im Zentrum von Tripolis das Sagen und ist mit westlibyschen Städten verbündet.
Doch für die Sarradsch-Regierung sieht es alles andere als gut aus. Tripolis ist von Truppen von General Hafter praktisch eingekreist. Mithilfe von türkischen und katarischen Waffen und Militärberatern konnten Hafters Angriffe bisher gerade noch zurückgeschlagen werden.
In den vergangenen Wochen war es den Hafter-Truppen durch den verstärkten Einsatz von Drohnen gelungen, an den Frontlinien im Süden von Tripolis vereinzelte Durchbrüche zu erzielen. Im Bezirk Yarmuk stehen angeblich auch russische und sudanesische Söldner nur noch zehn Kilometer vom Zentrum von Tripolis entfernt.
Vor allem die militärisch erfahrenen Einheiten aus der Hafenstadt Misrata verhindern bislang einen Erfolg der Hafter-Truppen. Der General hat dem Stadtrat der 300.000 Einwohner zählenden Stadt deshalb bis Donnerstag Zeit gegeben sich aus Tripolis zurückzuziehen. Ansonsten würde auch das Zentrum von Misrata bombardiert werden.
Hafters Ultimatum
Erdoğans Besuch könnte im Zusammenhang mit dem Ultimatum Hafters stehen. Viele Bewohner Misratas sind während der 500-jährigen Herrschaft des Osmanischen Reiches im heutigen Libyen von der nördlichen Seite des Mittelmeers eingewandert. „Wir haben eine Million Türken in Libyen“, sagte Erdoğan in der letzten Woche bei einer Kundgebung, auf der er das libysch-türkische Verteidigungsabkommen gegen Kritik der türkischen Opposition verteidigte. Nach seiner Rückkehr aus Tunis verschärfte Erdoğan den Ton nun noch einmal und sagte, die Türkei werde die „legitime Regierung in Tripolis mit allen Mitteln unterstützen“.
Der Einsatz der Türkei in Libyen ist Teil eines umfassenden Machtkampfes im Nahen Osten und am östlichen Mittelmeer. Dabei geht es um die Ausbeutung von Öl- und Gasquellen im Gebiet zwischen Libyen, Israel, Ägypten und Zypern, bei der Erdoğan mit Hilfe der libyschen Regierung mitmischen will, bis hin zur Regelung der jeweiligen Einflusszonen in Syrien.
Der entscheidende Gegenspieler oder aber Kooperationspartner ist für Erdoğan dabei nicht die Europäische Union (EU), deren Mitglied Griechenland im Poker um die Ausbeutung der Öl- und Gasfelder ebenfalls beteiligt ist, sondern der russische Präsident Wladimir Putin.
Wie schon in Syrien ist Putin auch in Libyen engagiert und hofft dort mit Hilfe Hafters an der Ausbeutung der libyschen Ölquellen beteiligt zu werden. Erdoğan sucht deshalb dringend eine Verständigung mit Putin. Von Montag bis Mittwoch hielt sich bereits eine türkische Delegation in Moskau auf, um mit Vertretern des russischen Außenministeriums über Kompromisse zu verhandeln, die den beiden Staatschefs Anfang Januar vorgelegt werden könnten.
Teilung Libyens
Zu der Verhandlungsmasse gehört dabei auch die letzte syrische Rebellenprovinz Idlib, in der die Türkei die Opposition gegen Assad unterstützt, während russische Bomber sich derzeit an den Angriffen des Regimes auf Idlib beteiligen. Weil deshalb derzeit fast hunderttausend Menschen in Idlib vor den Angriffen des Regimes in Richtung türkische Grenze flüchten, will Erdoğan unbedingt einen Waffenstillstand erreichen, den Putin dann bei Assad durchsetzen soll.
Sowohl die Kämpfe in Idlib wie auch rund um Tripolis werden deshalb wohl Anfang Januar noch eskalieren, damit der russische Präsident am 8. Januar eine möglichst gute Ausgangsbasis für einen Deal mit Erdoğan hat.
In türkischen Medien wird spekuliert, dass die beiden Präsidenten auf eine Teilung Libyens setzen könnten und die noch vorhandenen türkischen Posten in Idlib zurückgezogen werden, damit Assad mindestens den Südteil der Provinz wieder unter seine Kontrolle bekommt. Gibt es keinen Waffenstillstand, befürchtet Erdoğan eine neue Flüchtlingswelle aus Syrien, die die Türkei aber nicht mehr alleine „schultern will“. Davon werde auch die EU und insbesondere Griechenland betroffen sein, sagte er.
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