Londoner Polizei und Diskriminierung: Bis in den Kern verrottet
Ein Bericht attestiert der Londoner Polizei eine Kultur der Diskriminierung und Gewalt. In Deutschland gibt es bisher nicht mal Studien.
Der am Dienstag veröffentlichte 363-seitige Untersuchungsbericht über die Arbeitskultur der Londoner Metropolitan Police (Met) könnte in seinen Schlüssen schlimmer nicht sein: Die Met sei institutionell rassistisch, frauenfeindlich und homophob, aber auch diskriminierend gegen Menschen mit Behinderungen, schreibt Baronin Louise Casey, die über die Untersuchung waltete. Doreen Lawrence, die Mutter eines schwarzen Teenagers, der 1993 von Rassisten erstochen wurde, woraufhin die Polizei mit rassistischer Einstellung ermittelte, gab zu Protokoll, dass das Ergebnis sie nicht überrasche. Die Metropolitan Police sei bis in ihren Kern verrottet.
Es war die inzwischen zurückgetretene Polizeikommissarin der Met, Cressida Dick, welche die Untersuchung nach dem öffentlichen Entsetzen über die Entführung, Vergewaltigung und dem Mord an Sarah Everard eingeleitet hatte. Der Katalog der Vorfälle, welche die Untersuchung prüfte, umfasst das Nichtsicherstellen eines Mörders aufgrund homophober Vorurteile, institutionelle Korruption, das Verteilen von Fotos von Mordopfern und das Teilen von diskriminierenden, frauenfeindlichen, rassistischen und homophoben Meldungen in den sozialen Medien, Kinder- und mädchenfeindliche Handhabung durch Polizist:innen und den Fall des Polizisten David Carrick, der über 17 Jahre hinweg mindestens zwölf weibliche Opfer vergewaltigt hatte.
Durchgehend diskriminierend
Andere Stellen berichten über die überproportionale Brutalität beim Umgang mit schwarzen Bürger:innen: Sie werden viel häufiger festgehalten, durchsucht und getasert als andere. Auch in Handschellen werden sie öfter gelegt. Gleichzeitig schützt die Met schwarze Londoner:innen weniger als den Durchschnitt.
Wer innerhalb der Met nicht weiß, männlich und britisch war, konnte mit 81 Prozent höherer Wahrscheinlichkeit Opfer von Disziplinarverfahren werden. Mobbing und Diskriminierung seien weit verbreitet gewesen, einem muslimischen Polizeibeamten wurde Schweinefleisch in seine Stiefel gelegt, einem Sikh-Beamten der Bart abgeschnitten. Schwarze Beamte wurden als „Affen am Tor“ bezeichnet. Weibliche Angestellte erfuhren häufig Sexismus und Missbrauch.
Der Bericht verurteilt auch Sparmaßnahmen und Kürzungen der britischen Regierung. Ausgerechnet in den bestausstaffierten Einheiten hätten sich die schlimmsten Missetäter aufgehalten. Andernorts gebe es Wachen mit übervollen und nicht funktionierenden Kühlsystemen, in denen eigentlich Beweismaterial aufbewahrt werden sollte, was unter anderem Opfern von sexualisierter Gewalt schade.
Casey forderte in ihren 16 Empfehlungen unter anderem die Schaffung einer neuen Einheit gegen geschlechtsspezifische Gewalt und eine neue Strategie für Einsätze, bei denen Kinder betroffen sind. Zum Beispiel würden Schwarze Kinder oft wie Erwachsene behandelt. Außerdem müsse sichergestellt werden, dass bei Prüfverfahren von Beamt:innen und durch generelle Achtsamkeit Personen, die ihre Polizeigewalt missbrauchen, ausgefiltert werden. Ein unabhängiges Team solle in Zukunft über Beschwerden walten.
Schleppende Umsetzung
Casey forderte, dass die Met vollkommen aufgelöst und neu strukturiert werden sollte, wenn sie sich nicht reformieren kann. Fortschritte sollen in regelmäßigen Schritten überprüft werden. Sie nannte eine Kultur der Leugnung, die gerne von „nur ein paar faulen Äpfeln“ spricht, als die allergrößte Barriere für jeglichen Fortschritt. Auch hätte man sich oft hinter Slogans versteckt.
Polizeikommissar Sir Mark Rowley, der im September letzten Jahres Dicks Nachfolge antrat, mag trotz des Berichts bereits ein Beispiel dessen abgeliefert haben, als er angab, er würde die Probleme nicht als institutionell bezeichnen. Dennoch sagte er, er habe keine Illusionen über die Signifikanz des Berichts. Er und sein Team würden alles Mögliche unternehmen, die Empfehlungen umzusetzen. Rowley versprach „radikale Reformen.“
Für deutsche Verhältnisse ist der Untersuchungsbericht in London ein bemerkenswerter Schritt, denn Gleiches wurde zwar in Deutschland schon lange verlangt, steht aber immer noch aus. Leser:innen dürfen sich offen fragen, wie schlimm es in Deutschland ist. Wie wird hier gehandelt?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles