Lobbyist als Kanzlerkandidat: Fast wie der Bimbes-Kanzler
Friedrich Merz wird allzu große Wirtschaftsnähe vorgeworfen. Am liebsten wettert er zusammen mit Verbänden gegen Errungenschaften der Umweltpolitik.
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Eine weitere Parallele gibt es: Genau wie der Bimbes-Kanzler Kohl einst pflegt auch der aktuelle Kanzlerkandidat der Union ein besonders enges Verhältnis zur Wirtschaft. Viele sagen, ein viel zu enges Verhältnis, bei dem Merz seine Rolle als Politiker, der das Gemeinwohl im Blick hat, mit der eines blinden Fürsprechers von Konzerninteressen vermischt.
„Merz pflegt schon seit Jahrzehnten einseitige Nähe zu Lobbynetzwerken, insbesondere zu Großkonzernen aus der Chemie- und Autobranche“, sagt Lobbycontrol-Sprecherin Christina Deckwirth. Er sei als Lobbyist tätig gewesen und habe mehrere Funktionen in Lobbyverbänden gehabt. Das hinterlasse einen riesigen Abdruck in seiner aktuellen Politik. Merz täusche die WählerInnen, „wenn er diese Verbindungen immer wieder abstreitet“, ärgert sich Deckwirth. „Das macht ihn wenig glaubwürdig.“
Von 2005 bis 2021 arbeitete der Jurist Merz als Anwalt für Firmen, bislang saß er in mindestens 13 Aufsichts- und Verwaltungsräten, von Alba bis hin zur Commerzbank oder Borussia Dortmund. Dabei verdiente der CDU-Politiker Millionen.
Hohe Nebeneinkünfte
Allein im Jahr 2006, als er schon Anwalt und noch Bundestagsabgeordneter war, saß Merz in acht Aufsichts-, Verwaltungs- und Beiräten von Unternehmen: Als Aufseher bei der Deutschen Börse fuhr er damals 100.000 Euro ein, insgesamt schätzte das Manager-Magazin für dieses Jahr Nebeneinkünfte in Höhe von einer Viertelmillion Euro für den Hobbypiloten Merz. Kein Wunder, dass er gegen die Veröffentlichungspflichten von Nebeneinkünften der Parlamentarier vor dem Bundesverfassungsgericht klagte, die Rot-Grün eingeführt hatte – vergeblich.
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Die alte Verbindung zur Chemieindustrie war Merz immer wieder nützlich in seiner Karriere: Lange war er Büroleiter der international aktiven Anwaltskanzlei Mayer Brown, die unter anderem BASF vertritt, den umsatzstärksten Chemiekonzern der Welt. Blackrock, wo er von 2016 bis 2020 Aufsichtsratsvorsitzender der deutschen Tochter war, ist der größte Investor bei dem Chemieriesen. Fast ein Jahrzehnt war Merz zudem Verwaltungsrat bei BASF Antwerpen.
Jobs, Positionen, Pöstchen, alles im Grunde kein Problem, juristisch nicht angreifbar. Aber: Wenn Merz sich „öffentlich zur Wirtschaftspolitik äußert, klingen seine Worte in vielen Fällen wie vom Chemieverband VCI vorformuliert“, schreibt beispielsweise das Recherchemedium Correctiv. Das zeige sich, wenn Merz nach einem „Belastungsmoratorium“ für Unternehmen ruft, „Bürokratiemonster“ bekämpfen oder „Berichtspflichten“ für Firmen abschaffen will.
Ähnlich: Höhere Klimaziele, so der CDU-Chef, würden zu einer Zerstörung der „freiheitlichen Lebensweise“ und der „marktwirtschaftlichen Ordnung“ führen. Ob Lieferkettengesetz, Mindestlohn, Bürgergeld oder Verbrenner-Aus – kaum eine sozial- oder umweltpolitische Errungenschaft, gegen die Merz nicht wettert, am liebsten zusammen mit Verbänden.
Private Interessen in der Politik
So wollte der Kanzlerkandidat der Union Ende Januar eigentlich in Berlin beim sogenannten „Wirtschaftswarntag“ auftreten – einer Veranstaltung der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM). Nur ein noch wichtigerer Auftritt im Bundestag verhinderte dies. Die Nähe zur wegen ihrer neoliberalen Kampagnen umstrittenen INSM ist groß: Merz war 2005 Gründungsmitglied des Fördervereins der arbeitgeberfinanzierten Lobby- und PR-Truppe. Die Krisenkampagne der INSM sei „ein Paradebeispiel für eine Lobby-Erzählung, die Angst schüren und damit die Bevölkerung und die Verantwortlichen in der Politik beeinflussen soll“, schreibt Lobbycontrol.
Wie sich Privates und Politik vermengen können, zeigte auch Merz’ Wechsel zum Finanzkonzern Blackrock im Jahr 2016. Er vertrete die Interessen des „Großkapitals“, wurde ihm seitdem immer wieder vorgeworfen. Als Merz im Januar beim Weltwirtschaftsforum in Davos eine Blackrock-Veranstaltung besuchte, wurde das als „instinktlos und völlig deplatziert“ kritisiert. Merz habe „immer noch eher das Format eines Finanzlobbyisten als das eines Staatsmannes“, sagte Linkenchef Jan van Aken.
Den Blackrock-Job gab Merz Anfang 2020 zusammen mit anderen Ämtern auf – also kurz nachdem er sich das zweite Mal für den Parteivorstand beworben hatte. Länger behielt er dagegen den Posten als Vize im „Wirtschaftsrat der CDU“. Dies ist kein Parteigremium, sondern eine Lobbytruppe, die Konzernen laut „Lobbycontrol“ privilegierte Zugänge in die CDU ermöglicht.
In der Kritik stand Merz auch wegen seines Aufsichtsratsmandats bei der Bank HSBC Trinkaus und Burkhardt von 2010 bis 2019 – und zwar gleich doppelt: Einerseits beriet Merz damals gleichzeitig den Bankenrettungsfonds Soffin, was KritikerInnen für einen Interessenkonflikt hielten. Außerdem war HSBC in die Cum-Ex-Deals verwickelt, durch die dem Staat Milliardeneinnahmen durch Steuertricks verloren gingen. Merz wird vorgeworfen, er müsse als Aufsichtsrat von den Geschäften gewusst haben, ohne sie zu verhindern – er selbst streitet dies ab.
Natürlich betont er auch, kein Büttel von Unternehmensinteressen zu sein. Ob der Kanzlerkandidat der Union „trotz dieser einseitigen Nähe unabhängig entscheiden kann“, zweifelt zum Beispiel Lobbycontrol an. Die neue Bundesregierung brauche PolitikerInnen, die „politische Entscheidungen ohne Lobbyschlagseite treffen können. Ob Merz dazu in der Lage ist, bleibt fraglich“.
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