Lob der Löschtaste: Personalpolitik per Schwabenquote
Anton Hofreiter wurde deleted, Cem Özdemir an seine Stelle gepastet. Eine Betrachtung über Regierungsbildungen in digitalen Zeiten
D ie Minderjährige, die zu meiner Infektionsgemeinschaft gehört, findet mich rückwärtsgewandt. Ich stelle hierzu fest: Es stimmt. Ich komme nur sehr ungern ihrer Forderung nach, Fotos von gewissen männlichen Personen, die bei ihr in Ungnade gefallen sind, sofort auf meinem Handy und den Social-Media-Kanälen zu löschen. Sie dagegen hat den Finger in einer Geschwindigkeit auf der Delete-Taste, die umgekehrt proportional zu ihrem sonstigen Bewegungsdrang steht.
In drei Minuten ist die Vergangenheitsbewältigung erledigt, die unsereins wochen-, wenn nicht monatelang beschäftigt. „Kann ich mal kurz dein Handy?“, lautet der Satz, auf den ich immer wieder aufs Neue hereinfalle. Rätselhafterweise ist eine Face-ID der Minderjährigen auf meinem Handy gespeichert, sodass die Dinge schon ihren Lauf nehmen, bevor ich überhaupt eine Frage stellen kann.
Ich bin allerdings nicht die Einzige, die sich unerwartet mit der Delete-Taste konfrontiert sieht. Diese Woche musste auch der Grüne Anton Hofreiter erleben, wie er erst auf der Kabinettsliste der sich gerade formierenden Ampelkoalition markiert und dann von ihr gelöscht wurde. Der bisherige Fraktionschef der Grünen im Bundestag galt als gesetzt für die neue Regierung. Flügelproporz. Doch was für eine Gesellschaft soll das bitte abbilden, wenn der ehemalige Parteichef Cem Özdemir nicht am Kabinettstisch Platz nimmt? Nie war die Schwabenquote so wichtig für den Zusammenhalt der Gesellschaft!
Özdemir qualifiziert sich als neuer Landwirtschaftsminister nicht nur durch seinen passionierten Hanfanbau auf dem eigenen Balkon („Es ist eine Zierpflanze!“). Wer aus „The Länd“ (Baden-Württemberg) kommt, ist natürlich ohnehin wie gemacht für dieses Ministerium, das konsequenterweise in TheLändwirtschaftsministerium umbenannt werden sollte.
Keine Kehrwoche in Neukölln
Als Özdemir Bundestagsabgeordneter wurde und frisch aus The Länd in die Hauptstadt zog, wurde er kurzzeitig in Neukölln mal mein Nachbar. Ständig stolperte man über seine Bodyguards. Er bezog eine Dachwohnung im fünften Stock ohne Aufzug, die aber den Vorzug hatte, dass man von der Badewanne aus in den Himmel gucken konnte. Die Kaugummis und die Hundescheiße auf den Bürgersteigen des damals noch als total uncool geltenden Stadtteils regten ihn indes so auf, dass er kurz davorstand, eine Bürgerinitiative zur Einführung der Kehrwoche zu gründen. Er zog dann aber lieber weg in ein Viertel mit höherem schwäbischen Migrationsanteil.
Aber mit seinem Aufstieg tut sich ein neuer, bedrohlicher Konflikt auf bei den Grünen. Die Falafel-Fraktion mit der vegetarisch-veganen Allianz zwischen Özdemir und Robert Habeck an der Spitze steht dem unerbittlichen Carnivoren-Block von Annalena Baerbock gegenüber. Alles wird sich künftig um die Frage drehen: Dürfen am Kabinettstisch Mettbrötchen gegessen werden oder können die weg?
Die Delete-Taste ist aber nicht so vorwärtsgewandt, wie man meinen könnte. Schließlich ist Gelöschtes noch vorhanden und kann entlöscht werden. Dafür gibt es viele Beispiele. Olaf Scholz etwa. Seine SPD hatte ihn schon markiert, um ihn von der Liste der relevanten Sozialdemokraten zu entfernen, als er flink einfach mal Kanzler wurde. Schon auf der Pressekonferenz der Ampel wurde klar: Seine Statements sind so scholzig, dass man sie schon jetzt mit Copy-and-paste in jeden Artikel der nächsten vier Jahre hineinkopieren könnte. Merkt keiner.
Auch Löschvorgänge, die schon länger zurückliegen, können übrigens noch rückgängig gemacht werden. Die politische Agenda von Friedrich Merz hat sich als geradezu unlöschbar erwiesen. Ganz egal, wie oft die CDU die Delete-Taste drückt, sie taucht immer wieder auf wie eine Fata Morgana in der Wüste.
„Undelete“ beherrscht natürlich auch die Minderjährige. Sie hat es sich in Bezug auf eine gewisse männliche Person anders überlegt. Erst einmal jedenfalls. Die Fotos dürfen weiterleben. Der Name darf wieder ausgesprochen werden. Oder? Ich weiß auch nicht und habe mir jedenfalls einen geheimen Ordner angelegt, in dem Kopien liegen. Sicher ist sicher.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Der alte neue Präsident der USA
Trump, der Drachentöter
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Ärzteschaft in Deutschland
Die Götter in Weiß und ihre Lobby