Linken-Chef NRW zur Lage der Partei: „Wir müssen mit den Leuten reden“
Jules El-Khatib, neuer Landessprecher der NRW-Linken erläutert, wie er die am Boden liegende Linke einen und in die Landtagswahl führen will.
taz: Herr El-Khatib, Sie sind neuer Landessprecher in Nordrhein-Westfalen, dem größten Landesverband der Linken. Der tief gespalten ist. Auch wenn es um die prominenteste Genossin Sahra Wagenknecht geht. Was halten Sie denn persönlich von ihr?
Jules El-Khatib: Natürlich ist die Situation in der Partei aktuell sehr polarisiert. Ich kann wenig zu ihr als Mensch sagen, dafür kenne ich sie zu wenig. Beim Impfen aber auch bei Themen wie Migration haben wir Differenzen. Die Kritik an der neoliberalen Politik oder an der ungleichen Vermögensverteilung, die sie prominent und scharf angreift, haben wir gemeinsam.
Beim Landesparteitag am Wochenende wurde Sahra Wagenknecht von der Redner:innenliste gestrichen. Fanden Sie das richtig?
Ich fand es vor allem sehr überraschend. Die Idee im Landesvorstand war, dass Sahra Wagenknecht sich mit den Delegierten in die Debatte begibt über die Bundestagswahl. Aber es war offenbar gewünscht, dass wir uns auf die Landtagswahl fokussieren. Und ich kann das nachvollziehen.
Ein Grund dafür, sie von der Redner:innenliste zu streichen, war wohl eher die sehr skeptische Haltung zum Thema Impfen, die Sahra Wagenknecht bei jeder Gelegenheit in der Öffentlichkeit vertritt. Welche Haltung haben Sie zum Impfen?
Jules El-Khatib, 30, wurde in Köln geboren und studierte Soziologie. Er steht der Bewegungslinken und Marx21 nahe. Seit Dezember 2021 führt er die NRW-Linke.
Wir haben als Landesverband einen sehr klaren Beschluss zum Impfen, und sind der Meinung, dass man alles tun sollte, damit Menschen sich impfen lassen. Diesen Antrag habe ich mit einigen Genoss:inen gestellt, und der Beschluss zum Impfen ist einstimmig im Landesvorstand gefallen. Ich bin kein Experte was Impfstoffe angeht, aber ich vertraue dem, was ich dazu bisher aus der Wissenschaft gelesen habe. Ich bin dafür, dass sich möglichst alle impfen lassen und die Impfung auch schnellstmöglich Kindern und allen Menschen weltweit zugänglich gemacht wird. Und dafür braucht es auch die Aufhebung der Patente.
Auf Bundesebene fordert die Linke ja sogar eine Impfpflicht – Sie und ihr Landesverband aber nicht?
Die Linke fordert vor allem aufsuchende Angebote und eine Impfpflicht als letztes Mittel. Ich gehe in allen Punkten mit, aber in diesem einen bin ich skeptisch. In NRW fordern wir keine Impfpflicht, sondern orientieren uns am Bremer Modell, das auf Überzeugung und aufsuchende Angebote setzt. Das finde ich richtig, auch aus persönlicher Erfahrung. Ich wohne in einem eher prekären Stadtteil in Essen und habe in der vergangenen Woche allein drei Menschen überzeugt, sich impfen zu lassen.
Wie denn?
Einfach im Gespräch. Das war in einem Kiosk, da waren der Mitarbeiter, seine Freundin und ein Kunde. Alle drei hatten Vorurteile aus sozialen Medien. Ich habe mit ihnen diskutiert und am Tag danach sagte er mir, sie hätten sich jetzt doch Impftermine besorgt. Ich glaube, wir müssen stärker in die Stadtteile gehen und mit den Leuten reden.
Aber auch in Bremen sind 10 Prozent der erwachsenen Bevölkerung ungeimpft.
Das stimmt. Aber das ist deutlich weniger als in europäischen Ländern, wo es eine Impfpflicht gibt.
Differenzen gibt es in ihrem Landesverband auch über die Migrationspolitik. Auch hier vertritt der Flügel um Wagenknecht eine eher restriktive Haltung.
In unserem Landesverband sind wir uns einig, wenn es darum geht, dass Menschen in Not geholfen werden muss, dass wir Rassismus bekämpfen müssen und Asylrechtsverschärfungen ablehnen. Zu 95 Prozent sind wir uns also einig.
Aber zu 5 Prozent eben nicht, und das sorgt für Zerwürfnisse.
Zur Frage der Offenen Grenzen haben wir unterschiedliche Positionen. Ich habe in meiner Bewerbungsrede zum Landessprecher gesagt, dass soziale Sicherheit für mich bedeutet, dass ich mich sowohl für höhere Löhne und Renten einsetze als auch gegen die Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung, aufgrund ihrer Religion oder Herkunft. Denn wenn Menschen sich unsicher fühlen, wenn sie diskriminiert werden, dann geht das oft einher mit Armut. Davon sind Minderheiten in diesem Land deutlich stärker betroffen, das zeigen auch alle Studien. Der Kampf um soziale Gerechtigkeit ist auch ein Kampf gegen Diskriminierung.
Sind Sie als Sohn einer Deutschen und eines Palästinensers ebenfalls von Diskriminierung betroffen?
Also, ich würde schon sagen, dass ich wahrscheinlich häufiger in Kontrollen gerate, als die meisten anderen Menschen in der Politik. Es gab vor einigen Jahren einen Abend, da war ich mit einem Freund mit dem Auto unterwegs, da wurden wir dreimal von der Polizei angehalten. Und mein Nachname sorgt nicht überall für Begeisterungsstürme. Ich erhalte auch regelmäßig Nachrichten, dass ich mich als Ausländer nicht zu deutscher Politik äußern sollte! Ich habe mich daran schon gewöhnt, aber man sollte sich nicht daran gewöhnen müssen.
Die Linke in NRW steht aktuell bei 3 Prozent. Nächstes Jahr ist Landtagswahl. Wie wollen sie es schaffen, die Linke in den Landtag zu führen?
Ich glaube, entscheidend ist, dass die Partei geschlossen in die Wahl geht.
Genau das ist der Punkt. Wie soll das gelingen?
Indem wir eine Liste aufstellen, die die Breite der Partei repräsentiert, auf der sich alle Flügel wiederfinden. Wenn wir so eine Liste der Vielfalt haben, können wir auch alle an einem Strang ziehen. Darüber hinaus wollen Nina Eumann, unsere Landessprecherin, und ich möglichst alle 53 Kreisverbände aufsuchen und hören, was die Wünsche und Fragen der Basis sind.
Auf welche Themen will die Linke setzen?
Die Sicherung von Arbeitsplätzen ist ein großes Thema auch im Zuge der Deindustrialisierung im Ruhrgebiet. Wir wollen uns für ein anderes Bildungssystem einsetzen, zum Beispiel für eine Schule für alle. Im Bereich Verkehrspolitik, wo man in NRW sehr stark auf Autobahnen setzt, wollen wir unseren Fokus auf den Ausbau des Öffentlichen Nahverkehrs und eine Stärkung des Fahrradverkehrs legen. Und wir setzen uns gegen Gentrifizierung ein. Die SPD hat immer versprochen, es wird im sozialen Bereich besser. Aber das glauben viele Menschen nicht mehr.
Aber der Linken trauen die Menschen es doch erst recht nicht zu, für Verbesserungen zu sorgen. Die weiß ja noch nicht mal, ob sie regieren will oder nicht.
Wir haben da in NRW eine klare Aussage: Wir sind offen für eine Regierung. Und wir haben ja rote Haltelinien: nämlich keine Privatisierungen, kein Sozialabbau und keine Abschiebungen.
Gerade im letzten Punkt machen Sie es möglichen Koalitionspartnern sehr leicht diese zu übertreten. Die Ampel auf Bundesebene hat eine große Rückführungsoffensive angekündigt.
Das finde ich schlimm. Das ist die gleiche Wortwahl wie bei der AfD. Wir müssen über einen Winterabschiebestopp reden, über einen Abschiebestopp für Menschen in Ausbildung, in Arbeit. Wenn man will, kann man eigentlich jede Abschiebung verhindern. Da gibt es auch bei den Grünen und bei der SPD viele Menschen, die das wollen. Und wir sagen deutlich, dass man sich entscheiden muss zwischen einer Regierung des sozialen und des humanistischen Gedankenguts oder neoliberalem Stillstand. Wir werden auch darüber diskutieren, welche unsere Mindestanforderungen an eine Regierung sind.
Aber dazu müsste die Linke es erst einmal in den Landtag schaffen. Wie überzeugen Sie Leute, die sich abgehängt fühlen, die noch nicht einmal zur Wahl gehen?
Politik wirkt oft abgehoben und nicht nahbar. Wir setzen deshalb stark auf direkte Gespräche, auf den Haustürwahlkampf und auf Community-Organizing. In den Stadtteilen, wo wir als Linke Angebote machen, zum Beispiel Sozialberatung anbieten, da haben wir auch bessere Wahlergebnisse. Es aber wird eine langfristige Aufgabe sein, die Leute wieder von uns zu überzeugen. Noch mehr Menschen müssen das Gefühl haben: Die Linke hilft!
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