Linksparteitag in Nordrhein-Westfalen: Linke übt Bewegung
Im größten Bundesland NRW träumt die Linkspartei vom Wiedereinzug in den Landtag. Sie hofft dabei auf die Unterstützung sozialer Bewegungen.
2017 habe die Linkspartei den Sprung in den Landtag doch nur denkbar knapp verpasst, erklärt die 40-Jährige. „Damals hat es an 8.000 Stimmen gelegen – das sollte für uns ein Ansporn sein, um jede einzelne Stimme zu kämpfen“, mahnt Wissler. Wenn der Landesverband „geschlossen“ kämpfe, trommelt die Parteichefin, dann sei im Mai alles drin.
Aber auch nur dann. Geschlossenheit – nichts hat der größte Landesverband der Linkspartei mit seinen aktuell rund 8.700 Mitgliedern bitterer nötig. Seit Jahren schon sind die Genoss:innen an Rhein und Ruhr gespalten, zerstritten, in Grabenkämpfe verstrickt.
Durchgeschlagen ist das auf die Wahlergebnisse: 2020 holte die Partei bei den Kommunalwahlen landesweit nur 3,8 Prozent. Die beiden damaligen Parteichef:innen Inge Höger und Christian Leye warfen sich gegenseitig „Sabotage“ und „eine Schmutzkampagne“ vor. Bei der Bundestagswahl waren es nur noch 3,7 Prozent. Laut dem aktuellen NRW-Trend von Infratest dimap im Auftrag des WDR-Magazins Westpol rangiert die NRW-Linke gegenwärtig nur noch bei 3 Prozent. Der Landtag scheint ziemlich weit weg.
Doch die heutigen Landessprecher:innen Nina Eumann und Jules El-Khatib scheinen begriffen zu haben, dass offener Streit, dass eine sichtbare Spaltung wie auf der Bundesebene ins Nichts führt. Der Landesvorstand hat sich zusammengerauft, die Aufstellung der Landesliste soll harmonisch wirken – sie ist zwischen den rivalisierenden Strömungen der Partei fein austariert.
Auf den ersten drei Plätzen kandidieren die Soziologin Carolin Butterwegge von der Sozialistischen Linken, El-Khatib von der Bewegungslinken und die lange der Antikapitalistischen Linken zugerechnete Eumann jeweils ohne Gegenkandidat:innen. Auch Eumann wird von der Bewegungslinken unterstützt.
Kein Wort über Ex-Spitzenkandidatin Wagenknecht
Butterwegge, die schon von 2010 bis 2012 der einzigen Fraktion angehörte, die es für die Linkspartei in den Landtag geschafft hat, fasst in ihrer Bewerbungsrede noch einmal Kernpunkte des im Dezember beschlossenen Wahlprogramms zusammen. Die 47-Jährige, deren Mann Christoph Butterwegge 2017 als Kandidat der Linkspartei bei der Bundespräsidentenwahl antrat, kritisiert den Pflegenotstand ebenso wie die chaotischen Corona-Schulverordnungen von FDP-Kultusministerin Yvonne Gebauer, fordert einen besseren und trotzdem kostenlosen öffentlichen Nahverkehr ebenso wie bezahlbares Wohnen.
Trotzdem kommt die Kölnerin nur auf 67,4 Prozent. Denn ihre Parteiströmung, die Sozialistische Linke, hat Sahra Wagenknecht in NRW 2020 noch einmal als Bundestagsspitzenkandidatin durchgeboxt – dabei wurde deren Buch „Die Selbstgerechten“ von vielen als Angriff auf Klimaaktivist:innen, Antirassist:innen und Kämpfer:innen für Gleichstellung von homo-, trans- und intersexuellen Menschen interpretiert.
Spätestens seit ihren impfskeptischen Coronathesen aber gilt die mittlerweile selbst infizierte Wagenknecht immer mehr Genoss:innen auch an Rhein und Ruhr als personifiziertes Symbol der Spaltung: Beim Programmparteitag im Dezember votierte eine Mehrheit der Delegierten sogar dafür, eine Rede Wagenknechts von der Tagesordnung zu streichen. Begründung: Die Saarländerin sei viel zu wenig präsent. Auch auf der Bühne des Listenparteitags am Samstag fiel Wagenknechts Name kein einziges Mal.
Besser als Butterwegge schneiden die Landesparteichef:innen El-Khatib und Eumann ab, die dabei sind, sich ein Image als Versöhner:innen aufzubauen. Der Essener kommt auf 80,2 Prozent, die Mülheimerin auf 77 Prozent. Butterwegge und El-Khatib bilden damit das Wahlkampf-Spitzenduo. Für Hans Decruppe von der Sozialistischen Linken votieren nur 51 Prozent – allerdings hatte der Vize-Landeparteichef auf Platz 4 auch zwei Gegenkandidaten.
Werben um die Klimabewegung
Als Symbol der Öffnung der Linkspartei in Richtung Umwelt- und Klimabewegung soll die Kandidatur für Platz 5 gelten. Mit dem besten Ergebnis von 86,1 Prozent gewählt wird hier die bisherige Spitzenkandidatin der Klimaliste NRW, die Kölner Stadträtin Nicolin Gabrysch – ebenfalls ohne Konkurrenz. Im Gegenzug zu ihrer Nominierung verzichtet die Klimaliste NRW auf einen eigenen Antritt zur Landtagswahl.
Die Linkspartei hofft auf wahlentscheidende Stimmen: Schon 2020 entschieden sich in Köln 14.370 Wähler:innen für Gabrysch als Oberbürgermeister-Kandidatin. 3,45 Prozent konnte die Klimaschützerin in Nordrhein-Westfalens größter Stadt damit einfahren.
Auch auf Platz sechs kann sich mit Martin Koerbel-Landwehr ein Kandidat durchsetzen, der kein Mitglied der Linkspartei ist. Der Gewerkschafter, Personalratsvorsitzender der Uni-Klinik Düsseldorf, ist bei Ver.di Vorsitzender des Fachbereich Gesundheit und Soziales – und Unterstützer der Volksinitiative „Gesunde Krankenhäuser in NRW – für ALLE!“. Für die Linkspartei könnte Koerbel-Landwehr nicht nur um die ausgebrannten Mitarbeiter:innen des Gesundheitswesens werben, sondern um alle, denen die Privatisierungswellen der vergangenen Jahrzehnte viel zu weit gingen.
Und auf Platz 8 tritt der Kölner Mietrebell Kalle Gerigk an, der 2014 durch den Protest gegen seine Zwangsräumung Kultstatus bekam und der sich in der Mieter:innenbewegung „Recht auf Stadt“ engagiert. „Zwei Bewegungskandidat:innen auf den ersten acht Plätzen – das gibt’s bei keiner anderen Partei“, sagt Landessprecherin Eumann zufrieden.
Allerdings: Völlig unumstritten scheint zumindest Gabryschs Kandidatur nicht zu sein. Kurz nach deren Auftritt beim Parteitag meldet sich auf Twitter eine „Klimaliste Deutschland“. Die postet, mit der Graswurzelbewegung sei das alles nicht abgesprochen, der Klimaliste NRW würden „mit sofortiger Wirkung“ die Namensrechte entzogen. Ein Sprecher der Linkspartei erklärt dagegen, bei dieser „Klimaliste Deutschland“ handele es sich nicht um die gleichnamige Partei, sondern lediglich um einen eingetragenen Verein. Gabryschs Kandidatur sei sowohl von der Bundespartei Klimaliste als auch dem Landesverband in NRW legitimiert.
Und wenn die Linkspartei den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde tatsächlich schaffen sollte? Noch scheinen die Machtoptionen unklar. Für Gespräche mit SPD und Grünen sei die Partei grundsätzlich offen, sagt Jules el-Khatib, warnt aber schon jetzt: „Wir reden nicht, wenn Sozialabbau und Privatisierungen im Raum stehen.“ Carolin Butterwegge klingt ähnlich: „Der Status als Regierungsfraktion wäre eine Herausforderung, die niemand ausschließt – die wir allerdings auch nicht unbedingt anstreben.“
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