piwik no script img

Linke gegen AfD und BSWShowdown in Lichtenberg

Linke-Vorsitzende Ines Schwerdtner tritt in Berlin-Lichtenberg zur Bundestagswahl an. Doch in der ehemaligen linken Hochburg sind heute BSW und AfD stark.

Die neue Vorsitzende Ines Schwerdtner kandidiert im Wahlbezirk Lichtenberg für die Bundestagswahl Foto: Hendrik Schmidt/dpa

Berlin taz | Seit der Wahlkreis Lichtenberg existiert, war er eine Hochburg der PDS, später der Linken. Sechsmal holte Gesine Lötzsch das Direktmandat für den Bundestag. 2021 rettete ihr Mandat zusammen mit denen von Gregor Gysi und Sören Pellmann über die Grundmandatsklausel der Partei den Wiedereinzug ins Parlament. Ines Schwerdtner, neue Chefin der Linken, soll das Kunststück nachmachen: Am Samstag entschied der Kreisverband, dass Schwerdtner im Bezirk bei der vorgezogenen Bundestagswahl antreten soll.

Die linke Publizistin, vor allem als Chefredakteurin des Magazins Jacobin bekannt, hat wenig mit Lichtenberg zu tun, doch Lötzsch hat sie offenbar schon länger als ihre Nachfolgerin auserkoren: Schwerdtner trat der Linken erst im August 2023 bei, und zwar auf Anregung von Lötzsch. Sie zeigten sich gemeinsam in einer Suppenküche zum Weltkindertag in Hohenschönhausen, sie verlegten gemeinsam Stolpersteine zum Gedenken an die Reichspogromnacht. Nachdem ihre Kandidatur am Samstag feststand, postete Schwerdtner ein Bild, das sie und Lötzsch zeigt, die Ge­nos­s:in­nen blicken sich an, darunter steht das Motto: „Mit neuer Kraft zu alter Stärke“.

Seinerzeit fuhr Lötzsch im Wahlkreis bis zu 40 Prozent ein. Aber spätestens mit der Gründung des BSW dürfte diese Zeit vorbei sein. Auch weil Sahra Wagenknecht bei Teilen der Wäh­le­r:in­nen­schaft im Bezirk und in der Partei hoch im Kurs stand. Auch Lötzsch stellte sich gegen einen zwischenzeitlich angedachten Parteiausschluss Wagenknechts.

Gerüchte um Wagenknecht

Es gingen sogar Gerüchte um, die große Vorsitzende höchstselbst könne im Bezirk antreten. Immerhin hat Wagenknecht einen Zweitwohnsitz im beschaulichen Karlshorst, und aus BSW-Sicht wäre es sicher reizvoll, die Linke in einer ihrer einstigen Hochburgen zu schlagen.

Doch derzeit scheint sich abzuzeichnen, dass Norman Wolf, Fraktionsvorsitzender des BSW in der Lichtenberger Bezirksverordnetenversammlung, antreten wird. Wolf, zuvor Linken-Fraktionschef im Bezirk, verließ zusammen mit zwei weiteren Linken-Verordneten Fraktion und Partei, um die erste und bislang einzige Wagenknecht-Fraktion in Berlin zu gründen.

Auf kommunaler Ebene bewirtschaftet das BSW die Ressentiments des kleinen Mannes: Wolf und seine zwei Mitstreiter stellen sich gegen Windräder, gegen Poller, die den Autofluss stören, und natürlich gegen Geflüchtetenunterkünfte. Naheliegende Verbündete in diesen Fragen sind CDU und AfD. Einige Male bildete sich bereits im Lichtenberger Bezirksparlament eine solche große Koalition der schlechten Laune: BSW und AfD stimmtengemeinsam gegen Windräder und Geflüchtetenunterkünfte und folgerichtig mit der CDU gegen die Einrichtung von Volkshochschulkursen gegen Stammtischparolen.

Eines der Themen, über die sich das BSW vor Ort profilierte, war der Widerstand gegen einen umstrittenen Poller in einem Kiez in Rummelsburg. Fraktionschef Wolf besuchte auch Bürgerversammlungen, um aus dem Publikum heraus gegen das umstrittene Metallstück zu polemisieren. In der letzten Bezirksverordnetenversammlung forderte das BSW Einwohnerversammlungen gegen die Bebauung von Innenhöfen – obgleich diese Bebauungspläne längst beschlossene Sache sind.

Wahlkampf gegen Geflüchtete

Bislang hat die Partei mit dieser Strategie Erfolg: Bei den Europawahlen im Juli erreichte das BSW aus dem Stand 15,2 Prozent und belegte Platz 2 hinter der AfD (17,5 Prozent).

Bei der sind dem Vernehmen nach zwei Namen im Gespräch, die als mögliche Direktwahl-Kandidat:innen infrage kommen: David Christopher Eckert, ehemaliger JA-Vorsitzender in Berlin und heute stellvertretender Sprecher des AfD-Bezirksverbandes Lichtenberg, und die weitaus prominentere Beatrix von Storch. Festlegen will man sich am 30. November.

Von Storch bemühte sich in den vergangenen Monaten, häufiger in Lichtenberg Gesicht zu zeigen: Sie hielt zum EU-Wahlkampfabschluss der Partei in Lichtenberg eine Rede auf einer Kundgebung. Im September mobilisierte sie mit der Lichtenberger AfD gegen geplante Geflüchtetenunterkünfte und war auch bei der Sondersitzung des Bezirksparlaments zu dem Thema anwesend. Sie kandidierte bei der letzten Bundestagswahl erfolglos um das Direktmandat in Berlin-Mitte, zog über die Liste in den Bundestag ein.

Eckert ist seit 2013 AfD-Mitglied und war zwischenzeitlich Vorsitzender der Berliner JA. Dieser wollte er nach eigener Aussage mit „Kreativität, Humor und provokanten Aktionen“ Aufmerksamkeit verschaffen. Auffällig wurde er schon zu Beginn seiner Karriere in NRW: Eckert gründete dort eine AfD-Hochschulgruppe und verhüllte eine Statue von Heinrich Heine vor der Universität Düsseldorf mit einer Burka.

Ihren Bundestagswahlkampf in Lichtenberg wird die AfD wohl vor allem um die neuen und geplanten Geflüchtetenunterkünfte im Bezirk aufbauen. Für das BSW und den CDU-Kandidaten Danny Freymark sind die Heime ebenfalls ein Kernthema. Die Linke fordert wegen der neu kommenden Geflüchteten einen Ausbau der sozialen Infrastruktur, der ohnehin nötig wäre. Ob Schwerdtner damit gegen die geballte Kraft der schlechten Laune von AfD bis BSW ankommt, bezweifeln viele.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • "Auf kommunaler Ebene bewirtschaftet das BSW die Ressentiments des kleinen Mannes: Wolf und seine zwei Mitstreiter stellen sich gegen Windräder, gegen Poller, die den Autofluss stören, und natürlich gegen Geflüchtetenunterkünfte. Naheliegende Verbündete in diesen Fragen sind CDU und AfD. Einige Male bildete sich bereits im Lichtenberger Bezirksparlament eine solche große Koalition der schlechten Laune:"

    - Ressentiments des kleinen Mannes



    - große Koalition der schlechten Laune

    Anstatt einfach zu berichten wird der Autor persönlich. Gut, man kann sich ja weiter über den Wähler und die anderen Parteien emporheben und sie anmeckern. Dann sind die Wahlergebnisse halt so wie sie sind.

  • Wenn ich das so lese, dann ist das BSW sehr nahe bei der Wählerschaft und Die Linke hat abgehoben. Sich entfernt von der Wählerschaft. Und genau deswegen wird sie eben nicht mehr gewählt.

  • ''Wahlkampf gegen Geflüchtete und geballte Kraft der schlechten Laune.''



    Warum ist soetwas erfolgreich?



    Schaut man sich Statistiken an, dann sieht man eindeutlich, dass ärmere Berliner Bezirke, deutlich mehr leisten müssen.



    Parade Beispiel wäre hier der Vergleich zwischen Marzahn-Hellersdorf auf der einen und Friedrichshain-Kreuzberg auf der anderen Seite.



    Beide Bezirke haben in etwa gleich viele Einwohner aber Marzahn-Hellersdorf beherbergt deutlich mehr als das doppelte an Geflüchteten.



    Und das ist ein klar erkennbares Muster.



    Reichere und wohlhabenere Bezirke leisten weniger.

  • Also wenn man das Beispiel mit dem Metalpoller so liest, wundert man sich ja total wie die Wähler darauf kommen, ausgerechnet die wählen zu wollen die ihnen das Leben weniger schwer machen möchten. Also das hätte ich vom Wähler jetzt auch nicht erwartet, schließlich ist das ja geradezu "Clever", und wer hätte das vom Wähler jemals gedacht?

  • Im rechten Lager sind traditionell immer eher WählerInnen unterwegs, die sich mit Themen weniger im Detail und auf Zusammenhänge achtend auseinandersetzen. Daher sind linke Themen immer nur so weit angesagt, wie die Menschen dazu in die Lage versetzt wurden, analytisch zu denken. Hier rächt es sich wieder einmal, dass Bildung in Deutschland vernachlässigt wird. Ich meine nicht die Mint-Fächer (auch wenn ich aus diesem Bereich komme), sondern echte umfassende Bildung, die sich mit Zusammenhängen befasst.



    Und es wird dringend Zeit, dass Medienkompetenz Hauptfach wird. Und eine Überarbeitung des Pressegesetzes täte angesichts mehr als tendenziöser "Berichterstattung" von allen Seiten auch gut.



    So, wie es im Moment in Deutschland zugeht, sind Themen wir Asyl gar nicht mehr rational diskutierbar. Mit einem geplanten Asylheim wird sie es unmöglich schwer haben zu punkten.

  • Der Vorteil der Linken: Sie haben Leute um einen gezielten Wahlkampf vor Ort zu machen. Wo sollen die beim BSW herkommen? Vielleicht gibt es ja auch genug Leute bei SPD & Grünen die ihre Erstimme einer guten Linken geben um ein BSW/AfD Direktmandat zu verhindern.

  • WIE kann es bitte sein, dass eine absolute Linken-Hochburg an AFD geht? Eine Analyse findet auch in diesem Artikel nur in sehr beschränktem Maße statt. WO ist das mir seit Jahren versprochene inhaltliche Stellen?

    • @Leningrad:

      Ein Grund dürfte sein, dass die früheren Erfolge der Linken dort (wie auch in anderen linken Hochburgen) wesentlich von der Generation getragen wurden, die zu Wendezeiten zwischen 50 und 60 war und die nicht noch einmal neu anfangen konnte. Von denen gibt es jetzt aber immer weniger, und aktiv sind die auch nicht mehr.

      Die Nachwende-Sozialisierten sind anders drauf. Sofern sie oppositionell sind, sind sie nicht mehr quasi "automatisch" Sozialisten, sondern sie haben eher so eine Patchwork-Weltanschauung aus "linken" und "rechten" Versatzstücken. Der Linken fällt es außerordentlich schwer, solche Leute zu erreichen, und durch die Übernahme einer grünen Programmatik und Rhetorik macht sie es sich noch schwerer.

      • @Kohlrabi:

        Danke für Ihren Kommentar, er hat mich in meiner Erkenntnis weitergebracht.