Linke Spitzen gegen Scholz: „Olympia ist pervertiert“

Die Fraktionsvorsitzenden der Linken, Sabine Boeddinghaus und Cansu Özdemir, erklären, wie sie Olaf Scholz Sozialpolitik beibringen wollen.

Die Doppelspitzen von Hambugts Linksfraktion: Mal steht Cansu Özdemir vorne, mal Sabine Boeddinghaus. Foto: dpa

taz: Frau Boeddinghaus, Frau Özdemir, mit welchen inhaltlichen Schwerpunkten gehen Sie in die angelaufene Legislatur?

Cansu Özdemir: Unsere Schwerpunkte sind die Flüchtlingspolitik, die soziale Stadtentwicklung und die Bekämpfung von wachsender Armut und sozialer Spaltung der Stadt. Hinzu kommt das Thema Olympische Spiele in Hamburg, die wir entschieden ablehnen.

Sabine Boeddinghaus: Bei der sozialen Stadtentwicklung ist uns wichtig, ganz konkret vor Ort mit Initiativen, Vereinen, Menschen in intensiven Kontakt zu treten, um mit ihnen zu diskutieren, was zum Beispiel die Schuldenbremse konkret für ihre Lebenswirklichkeit bedeutet.

Beim Thema Olympia profiliert sich die Linke als einzige Opposition in der Bürgerschaft gegen die Spiele. Was machen Sie, falls die HamburgerInnen beim Referendum am 29. November mehrheitlich für eine Bewerbung stimmen?

Boeddinghaus: Erstmal werden wir mit aller Kraft versuchen zu verhindern, dass ein solches Ergebnis zustande kommt. Falls doch, geht der Kampf weiter. Denn es gibt ja inzwischen Volksinitiativen gegen Olympia, es könnte also auch nach dem Referendum zu einem Volksbegehren und einem Volksentscheid kommen. Deshalb würden wir nicht aufhören, unsere berechtigte Kritik zu äußern.

Bei allen Bedenken: Wer soll denn nachhaltige, gemeinwohlorientierte und grundrechtswahrende Spiele hinbekommen, wenn nicht eine Stadt wie Hamburg. Oder wollen Sie, dass solche Großereignisse nur noch von Staaten mit zweifelhaften Rechts- und Gesellschaftssystemen eingekauft werden?

Boeddinghaus: Nein, natürlich nicht. Uns ist wichtig, dass die Probleme dieser Stadt angegangen werden. Der Bürgermeister sagt den Menschen, wegen der Schuldenbremse sei kein Geld für Soziales und Armutsbekämpfung da. Und dann kommt Olympia über diese Stadt und plötzlich ist es völlig egal, wie viel das alles kosten soll. Bei der IGS in Wilhelmsburg musste der Steuerzahler nachträglich auch 36 Millionen Euro zahlen. Bei Olympischen Spielen droht ein unendlich höheres Defizit. Hamburg hat wichtigere Themen als Olympia.

Olympische Spiele dürfen ruhig irgendwo auf der Welt stattfinden, aber nicht in Hamburg?

26, in Hamburg geborene Tochter kurdisch-türkischer Eltern. Die Studentin der Politikwissenschaft und Kulturanthropologie ist seit 2001 Bürgerschaftsabgeordnete der Linken, seit 2015 Co-Fraktionsvorsitzende.

Boeddinghaus: Ich bin dafür, dass Olympische Spiele nirgendwo stattfinden, solange sie so pervertiert sind.

Özdemir: Wir sind nicht gegen die olympische Idee, wir sind gegen die reale Umsetzung.

58, Erziehungswissenschaftlerin und Vorsitzende des Hamburger Elternvereins. Sie war sieben Jahre in der SPD, bevor sie 2008 in die Linkspartei wechselte.

Sie haben nicht die Hoffnung, dass eine Stadt wie Hamburg den Paradigmenwechsel schaffen könnte?

Özdemir: Nein, daran zu glauben, wäre naiv.

Sind Ihre anderen Schwerpunkte, die Sie eingangs nannten, bewusst gesetzt in Abgrenzung zur rot-grünen Koalition, die jetzt in Hamburg regiert?

Özdemir: Das sind zum einen unsere Kernthemen, zum anderen werden sie vom rot-grünen Senat vernachlässigt. Zum Beispiel gab es bisher große Übereinstimmungen in der Flüchtlingspolitik zwischen uns und den Grünen - das ist jetzt, weil sie regieren, vorbei. Jetzt sind wir die einzige Partei, die sich wirklich und engagiert um solche Themen und die Menschen, die davon betroffen sind, kümmert. Bei der Armutsbekämpfung und der sozialen Spaltung ist das genauso.

Dann haben Sie ja jetzt ein Alleinstellungsmerkmal.

Özdemir: Ja.

Boeddinghaus: Der Bürgermeister hat es fertiggebracht, in seiner Regierungserklärung das Thema soziale Gerechtigkeit nicht einmal zu erwähnen. Das zeigt doch die Richtung. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir als Linke die Stimme der sozialen Stadt sind. Dafür sind wir schließlich auch gewählt worden, dafür setzen wir uns ein.

Frau Özdemir, sind Sie immer noch - wie im März - der Ansicht, dass der Austritt Ihrer ehemaligen Fraktionschefin Dora Heyenn aus der Fraktion diese geschwächt hat?

Özdemir: Wir hatten ein Gespräch und haben uns darauf verständigt, zu diesem Thema öffentlich nichts mehr zu sagen, solange wir in diesem Prozess stecken.

Es gibt also noch Bemühungen, Dora Heyenn wieder zurückzugewinnen?

Boeddinghaus: Wir sind in einem Prozess.

Vor zwei Wochen sagte Heyenn im taz-Interview, es gebe für sie „zur Zeit“ keinen Weg zurück.

Boeddinghaus: Es ist nicht an uns, das zu kommentieren.

Dann schauen wir eben in die Zukunft. Gregor Gysi will die Linke im Bund stärker auf eine Regierungsbeteiligung orientieren. Und in Hamburg?

Boeddinghaus: Wir haben im Hamburger Wahlkampf auf Opposition gesetzt, das war richtig und erfolgreich. Für uns stellt sich deshalb in den nächsten fünf Jahren die Frage einer Regierungsbeteiligung gar nicht.

Und danach?

Boeddinghaus: Die Grundsatzfrage ist, ob es in Hamburg überhaupt eine Wechselstimmung gibt für einen Politikwechsel. Zudem müssten der Bürgermeister und die SPD erst mal klare Zeichen setzen für einen Kurswechsel hin zu sozialer Gerechtigkeit. Das ist nicht zu erkennen. Sollte das aber in ein paar Jahren eintreten, würden wir uns Gesprächen nicht verweigern.

Wann erleben wir in Hamburg die erste Koalition mit kräftigen Rottönen?

Özdemir: Es kommt auf den Partner an. In Thüringen sieht man, dass eine Koalition der Linkspartei mit der dortigen SPD und den dortigen Grünen möglich ist. In Hamburg ist das schwer vorstellbar.

Kann denn die Linke in Hamburg als Daueropposition auf lange Sicht politisch überleben?

Boeddinghaus: Weder Opponieren noch Regieren darf ein Selbstzweck sein. Für ein Bündnis muss die inhaltliche Grundlage stimmen, sonst geht das nicht. Dann ist Opposition die bessere Lösung.

Olaf Scholz müsste also linke Politik machen, um für die Linke akzeptabel zu sein?

Boeddinghaus: Es wäre schon mal ein Anfang, wenn er wenigstens ur-sozialdemokratische Politik machen würde.

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