piwik no script img

Linke Kritik an den GrünenMachen statt mosern

Die Grünen sind die Grünen – und nicht erst jetzt Establishment. Trotzdem messen sie manche Linke an linken Ansprüchen.

Annalena Baerbock und Joe Kaeser beim Grünen-Wirtschaftskongress Foto: Florian Boillot

W ährend die FAZ die Grünen schon zielorientiert auf ihre Marktwirtschaftskompatibilität überprüft und dabei baerbocklobende Worte vom Verband der Familienunternehmer und Joe Kaeser, dem früheren Siemens-Vorstandsvorsitzenden, zitiert, können manche Linke einfach nicht von der guten alten Gewohnheit ablassen, sie für eine linke Partei zu halten und sie dementsprechend an linken Ansprüchen zu messen.

Nicht nur der Deutschlandfunk wundert sich über die nicht basisdemokratische Lösung der K-Frage, auch linke Publikationen arbeiten sich an den Grünen und Baerbock ab, als wäre die Partei gerade erst gegründet worden. So heißt es in einem Artikel der Jacobin-Chefredakteurin Ines Schwerdtner, dass die Unterschiede zwischen Baerbock und Laschet „in den allgemeinen Fragen der ‚sozialen Marktwirtschaft‘ und der zukünftigen Klima- und Industriepolitik nicht wahnsinnig groß“ seien.

Dabei ist der vom hessisch-grünen Wirtschafts- und Verkehrsminister Tarek Al-Wazir überlieferte Satz, nämlich dass die Zeit der Banner vorbei sei, längst nicht mehr das einzige Indiz, dass die Grünen sich mehrheitlich nicht am Berliner (Mietendeckel), sondern am hessischen (Dannenröder Forst) und baden-württembergischen Modell orientieren.

Deshalb ist die Feststellung, die Peter Unfried in dieser Zeitung gemacht hat, auch die einzig realistische, an der sich linke Politik gegenüber den Grünen orientieren sollte, nämlich dass die Grünen „keine ‚alternative‘ Partei für emanzipatorische Minderheiten, sondern das neue Zentrum der bundesrepublikanischen Gesellschaft“ sein wollten.

Grüne wollen nicht umverteilen

Konkret würde das einerseits bedeuten anzuerkennen, dass die Grünen nicht die FDP sind und Annalena Baerbock nicht Friedrich Merz ist, statt sich in ewiger Greenwashing-Kritik zu verlieren.

Andererseits würde dieser differenzierende Blick ermöglichen, im Parteipolitischen realistisch an Strategien zu arbeiten, um soziale Verbesserungen durchzusetzen, etwa in einer grün-rot-roten statt schwarz-grünen Regierung (Hartz IV wirklich abschaffen, richtige Erbschaftssteuer, höherer Mindestlohn, bessere Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte etc.).

Die Grünen mögen zwar eine kleine Hartz-IV-Reform und eine kleine Vermögenssteuer in ihr Wahlprogramm geschrieben haben. Aber das haben sie natürlich nicht getan, weil sie wirklich umverteilen wollen. Was sie wollen, ist, in die Regierung kommen und ja keine Verbotspartei sein. Sie haben das getan, weil sie sich halt irgendwie zum Sozialen äußern müssen, in einer Pandemie, in der die sozialen Verwerfungen immer offener zutage treten. Hier aber könnte man als Linke ansetzen, sie politisch unter Druck setzen.

Dass das Politische sich nicht darauf beschränkt und der Kapitalismus sich nicht im Bundestag abschaffen lässt, das ist eigentlich zu banal, um niedergeschrieben zu werden. Ich tue es aber trotzdem, um sicherzugehen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Volkan Ağar
Redakteur taz2
Kolumnist (Postprolet) und Redakteur im Ressort taz2: Gesellschaft & Medien. Bei der taz seit 2016. Schreibt über Soziales, Randständiges und Abgründiges.
Mehr zum Thema

20 Kommentare

 / 
  • Habe den verlinkten Jacobinartikel gelesen. Es geht vor allem darum, die Grünen als nicht grün agierende Partei zu entlarven und weniger um das messen an linken Ansprüchen oder? Zum Untermauern wird sie mit der offensichtlich nicht grün agierenden CDU verglichen. Grünen-Politik (die auf Kapitalgenerierung im grünen Sektor abzielt) ist nunmal nicht grün, Mogul-Kapitalisten zu schwächen schon. Ich finde es sinnvoll das herauszuarbeiten.

  • Aha okay, wir sollen die Grünen nicht an linken Ansprüchen messen.



    Nein, kommt nicht wieder vor.

  • Manches, nicht arg viel hier, könnte auch von Söder stammen. Also: Vergiss es, genau so wie Söder, der jeden Baum in By umarmen kann und in jedem irgendwie nach Staat aussehenden Zimmer ein Kreuz oder auch ein Kruzifix aufhängen kann. Und so viel blenden, dass die Hälfte der östlichen Länder inklusive Junge Union meinen, er sei der bessere Kandidat, weil er mehr Wind um sich macht, ohne dass davon irgend ein Rad angetrieben würde.

  • Verstehe ich Ihre Wahlempfehlung richtig?



    Die Grünen an die Regierung lassen und dann drauf hoffen, dass sie wieder ein bisschen linker werden?



    Nee, nee, nee, als RRG-Geschädigter und ehemaligem auf die Sozis-Hoffender ist mir das zu windig. Linke Politik gehört von Linken gemacht.

    • @Achim Dräger:

      Bin ganz bei Ihnen. Geschädigt von 1998.

      Interessant ist doch Folgendes:

      Cem Özdemir hat bei Illner ganz klar die Linke wegen deren Sicht auf Putin als unmöglichen Partner herausgestellt. Das bedeutet entweder Schwarz-Grün - also keine andere Sozialpolitik, oder Grün-Rot-Gelb, also auch keine Sozialpolitikwende.

  • 0G
    05838 (Profil gelöscht)

    Also, ich finde die Unterschiede zwischen Laschet und Baerbock auch nur marginal. Beide könnten in derselben Partei sein.

  • Also: die Erzählung, die Grünen seien so eine Art Vegan-FDP verdrängt aber auch, dass die grösste soziale Ungerechtigkeit in Form des Klimawandels auf uns zurollt.

    Wer von den Linken sich ausschliesslich um den deutschen Industriearbeiter kümmern will kann gleich vom Stahl- und Kohlekumpel der 1960er träumen.

    Solidarität muss mensch zusammendenken.

    Nicht immer einfach, ja.

    Und ja, ich bin um alle froh, die links von den Grünen sind. Aber nur deshalb sehe ich mich nicht genötigt, die Grünen zu bashen.

  • mit den grünen wird es keine überwindung des kapitalismus und noch nicht einmal ein ende des neoliberalismus geben.

    die soziale ungleichheit wird weiter zunehmen vielleicht sogar noch schneller

    • @satgurupseudologos:

      Stellt sich die Frage, ob man den Kapitalismus "überwinden" will. Wir haben jetzt die längste, wohlhabendste, friedlichste und stabilste Zeit unserer Geschichte. Das gilt für die meisten kapitalistischen Länder. Selbst Chinas Armutsrate ist krass gesunken, seitdem die die Märkte öffnen. Handel, Wettbewerb, Anreize für Fleiß, Forschung und Ehrgeiz... Das isses.

    • @satgurupseudologos:

      Ich würde hierzu sogar eine These abgeben:

      Jede Partei, die in der Lage ist zu Regieren, ist eine Partei der Mitte und wird den Kapitalismus nicht abschaffen und schon gar nicht den Neoliberalismus.

      Sogar, wenn die Linke im Bundestag sagen wir mal 30% oder mehr haben sollte, werden sie das deswegen geschafft haben, weil sie sich in die Mitte bewegt haben, und Wähler aus der Mitte angezogen haben.

      Ich gehe nämlich davon aus, dass der Durchschnittsdeutsche auf Mitte-Politik sozialisiert ist. Wie auch auf das Auto und die Kehrwoche.

      • @Troll Eulenspiegel:

        Kehrwoche bedeutet... Man organisiert sich selbst zum abwechselnden Kehren des Treppenhauses. Arm und Reich, jung und alt... alle sind gleich oft und vorhersehbar gleichmäßig dran.

        Was konkret ist daran verwerflich?

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    Schmökern in Parteiprogrammen als auch Beispiele aus der grünen Realpolitik könnte weiter helfen ......

    O - Ton Grüne aus



    www.gruene.de/arti...dere-sozialpolitik

    1.. "Bestand damals noch die Hoffnung auf einen echten Aufbruch in eine emanzipative und selbstbestimmte Sozialpolitik, so müssen wir heute leider konstatieren, dass die wenigen Verbesserungen durch deutliche Verschlechterungen der Nachfolgeregierungen kaum noch sichtbar sind. Was bleibt, sind die vielen Belege dafür, dass Hartz IV dem Anspruch jedes Menschen auf Würde und Achtung, auch und gerade in der Beziehung zwischen Staat und Individuum, nicht gerecht wird. Deswegen müssen wir Hartz IV überwinden.

    Die Neufassung unseres Grundsatzprogrammes eröffnet nun die Chance, der Neuausrichtung Grüner Sozialpolitik - wie wir sie in den letzten Jahren bereits stetig entwickelt haben - eine positive Erzählung voranzustellen. ""

    Das grüne sozialpolitische Narrativ sieht eher wie ein Hauptkriegsschauplatz neben anderen aus - und nicht wie Volkan Agar es beschreibt.

    2.. Neben der Abschaffung klimaschädigender Wirtschaft wird es ohne resourcensparende Produktion nicht gehen.

    Das an dieser Stelle dem Kapitalismus



    Janusköpfe abgeschnitten werden - und damit Umbau der Wirtschaft mit entsprechenden sozialpolitischen Massnahmen notwendig wird scheint den Linken noch gar nicht aufgefallen zu sein - genauso wenig wie die Tatsache, wenn schon Lufthansa Harz4 bekommt - geht es nicht mehr um Umverteilung grundsätzlich - sondern nur noch darum wer warum & wann wieviel bekommt.

    3..Europa braucht ein möglichst einheitliches & gerechtes Sozialsystem welches die zu erwartenden Einbrüche durch die Umgestaltung der Wirtschaft abfängt.

    Wie wird Wachstum künftig qualitativ gestaltet - damit sich die Einkommensschere wieder schliesst - und wie sieht "Fördern" aus dem Harz4 Programm "Fordern & Fördern" künftig aus - dazu ist die Linke bemerkenswert schweigsam.

  • Die Grünen wollen 30% der Wählerstimmen holen, also müssen sie sich auch bei genau diesen 30% orientieren was denn deren Meinunug wohl ist oder zumindest damit kompatibel ist.



    Grün passt sich den Wählern an.



    Wer glaubt, dass der Wähler sich der Meinung von Grün anpasst hat wohl ein grundlegendes Detail nicht richtig verstanden.



    Follow the Zeitgeist. Und der ist keinesfalls links sozial und schon gar nicht mit Zwang.

    • @Tom Farmer:

      "Grün passt sich den Wählern an."

      Es ist halt so das in einer Demokratie die Wähler das letzte Wort haben. Mit "Zeitgeist" hat das wenig zu tun. Die Idee der Demokratie ist wesentlich älter.

      Wer da als Partei kein konsensfähiges Programm finden kann, landet bei der Partei bibeltreuer Christen/Antichristen oder reißt anderweitig die Macht an sich.

      Insofern ist es zu begrüßen, dass sich Grüne und die Mehrheit der Linkspartei noch bewegen können.

  • Leider verhindert die Partei die Linke mit ihren dogmatischen außenpolitischen Positionen sehr effektiv, dass eine grün-rot-rote Regierung möglich sein könnte. So sehr man sich auch eine derartige Koalition wünscht, damit wir endlich eine sozialere Politik bekommen, so gering sind doch die Chancen für ein derartiges Bündnis. Es bleiben dann leider nur noch Koalitionen möglich, bei denen entweder die Union oder die FDP beteiligt werden müssen, was eine sozialere und gerechtere Politik verunmöglicht. Solange die Linken ihren radikalpazifistischen Kurs, die Ablehnung der Nato und die Kritiklosigkeit gegenüber Putin nicht überwinden, wird sie die Hoffnung auf eine echte linke Politik auf Bundesebene enttäuschen.

    • @vulkansturm:

      Was sind denn die "dogmatischen außenpolitischen Positionen" der Linken?

      Etwa Abrüstung und Frieden, Rückkehr zur Entspannungsdiplomatie statt internationalem Mobbing?

      Sind einseitiges Beharren auf festgefahrenen Positionen der transatlantischen Ideologie oder die Befürwortung von mehr Aufrüstung etwa kein Dogmatismus?

  • 2020 wurde Frau Bearbock vom Weltwirtschaftsforum zum Young Global Leader gekürt. Die Auserwählte absolviert ein fünfjähriges Führungs-Ausbildungsprogramm, gesponsert von Großkonzernen Rüstungs- und Finanzindustrie.



    Die i.d.R. zehntägigen Executive-Education-Kurse finden an der John F. Kennedy School of Government der Harvard University statt.



    Die Einflussreichen dieser Welt haben nicht zufällig Frau Bearbock als Politikerin erkoren, die Führungsaufgaben im Sinne ihrer Förderer übernehmen will.



    Ich denke, dass sie da auch lernen wird, die grüne Umgestaltung der Gesellschaft mit sozialpolitischen Floskeln zu begleiten.

    • @Rolf B.:

      Sehr guter Einwand! So viele grüne Spitzenleute wurden mittlerweile auf "neoliberale-transatlantische Linie" gebracht, da wird niemals mehr "links, sozial, oder gerecht" bei rüber kommen... Özdemir, Fischer, Brantner, Baerbock, Waczun - so viele YOUNG-LEADER... Und von den vielen wichtigen Umweltschutzthemen ist auch nicht mehr viel übrig... VERGESST DIE GRÜNEN, wenn linke Politik, dann echte "linke Parteien" wählen!!!

  • Soweit so realistisch. Aber jetzt ma schulz damit, kaum getarnte fake-news zu verbreiten: "dass die Grünen sich mehrheitlich nicht am Berliner (Mietendeckel), sondern am hessischen (Dannenröder Forst) (..) Modell orientieren": 1) wie sollen "die Mehrheitsgrünen" den Berliner Mietendeckel retten/bundesweit einführen, wenn sie weder das BVG noch aktuelle Bunz-Regierung stellen 2) Dannenröder Forst ist Bundesangelegenheit (so wie der Bau der zugehörigen Bundesautobahn), da konnte die Hessenkoalition gar nichts machen wg. Rechtslage und Gesetzt sind ebensolches. Oder sollte sich Tarek an einen Baum oder Bagger ketten, nur damit Sie und sackweise soziale Medienempörte ihn als "einen von uns" abfeiern können. - Soweit zum Thema Unmögliches verlagen und dann "die Grünen" als Verräter, Heuchler usw. abstempeln. - Aber gerne doch.

  • Gefällt mir! Bedeutet es doch: Seien wir realistisch! Die linken revolutionären Blütenträume sind längst verweht. (Wobei die globale Situation so revolutionsträchtig ist wie nie!)