Linke Fraktionschefinnen über die Linke: „Von uns kommt Druck“

Die Fraktionsvorsitzenden der Hamburger Linken, Cansu Özdemir und Sabine Boeddinghaus, über die nächste Bürgerschaftswahl und die ewige Opposition.

Die Politikerinnen Cansu Özdemir und Sabine Boeddinghaus.

Auf einer politischen Wellenlänge: Cansu Özdemir und Sabine Boeddinghaus Foto: Miguel Ferraz

taz: Frau Boeddinghaus, Frau Özdemir, haben Sie sich Ihren Sommerurlaub redlich verdient?

Sabine Boeddinghaus: Ja, definitiv. Wir machen eine wichtige Arbeit und tragen eine große Verantwortung innerhalb und außerhalb des Parlaments. Wir sind Ansprechpartner für viele Menschen. Initiativen, in denen unsere Themen verankert sind, bestätigen das.

Aber in Ihren politischen Schwerpunkten, soziale Stadtentwicklung und Armutsbekämpfung, ist seit der letzten Wahl nichts besser geworden. Wofür ist Die Linke eigentlich da?

Cansu Özdemir: Wir sind in der Opposition eine wichtige Kraft. Wir sitzen nicht nur im Parlament, sondern sind auch in den Stadtteilen unterwegs, um wirklich vor Ort zu sein. Obwohl wir nicht in der Regierung sitzen, haben wir dennoch Erfolge zu verzeichnen: Die Linke ist bei G20 stark für die Grundrechte eingetreten. Dadurch haben wir die Perspektive der Demonstranten und Demonstrantinnen in das Parlament gebracht, die Grundrechtsverletzungen erlitten haben. Ein weiterer Erfolg ist der Mindestlohn von zwölf Euro für städtische Beschäftigte.

Den hat doch die SPD eingeführt. Unterm Strich: Sie reden viel, aber bewirken wenig.

Boeddinghaus: Aber von uns kommt der Druck! Wir setzen diese Themen immer wieder auf die Agenda und geben da nicht nach. Und das zeigt Wirkung, wie etwa in der Wohnungspolitik. Die Anfragen, die wir stellen, packt Rot-Grün wenig später von sich aus auf die Agenda, weil klar ist: Es muss in unsere Richtung gehen. Ganz konkret hat Die Linke es in Gesprächen mit Rot-Grün geschafft, dass es eine Enquete-Kommission zu Kinder- und Jugendhilfe gibt. Hier fehlt vielleicht die breite Wahrnehmung, aber für die Betroffenen, den Jugendämtern und den Sozialverbänden hat diese Kommission, die zwei Jahre lang mit viel Expertise gearbeitet hat, einen sehr hohen Wert. Das sollte nicht kleingeredet werden. Dadurch ist das Thema Armut sichtbar auf die Tagesordnung gekommen.

Druck machen sie, indem sie Duschen für Obdachlose fordern?

Özdemir: Hygiene ist ein Menschenrecht. In den letzten Jahren hat sich die Zahl derer, die auf der Straße leben, verdoppelt, es sind Menschen auf der Straße gestorben, das hat eine ganz neues Dimension erreicht. Die Forderung nach Duschen für Obdachlose zeigt, dass die Defizite größer geworden sind. Wir haben eine so hohe Anzahl an Obdachlosen …

… Etwa 2.000. Und für gibt es in Hamburg 17 Duschen.

Özdemir: Ganz genau! Es gibt zudem keine Verbesserung der Reintegration obdachloser Menschen wie etwa in öffentlichen Unterbringungen oder in gesicherten Wohnverhältnissen. Und wenn sie dann endlich in solchen Wohnverhältnissen leben, muss auch dafür gesorgt werden, dass die Menschen ihre Wohnungen langfristig behalten können.

30, ledig, keine Kinder. Die Studentin der Politikwissenschaften ist seit 2011 Abgeordnete der Linken in der Hamburgischen Bürgerschaft. Seit 2015 ist sie Co-Fraktionsvorsitzende und sozialpolitische Sprecherin der Linksfraktion.

Kommen wir zum Klima: Hier spricht Die Linke leiser als die Grünen, die momentan ihren Aufschwung feiern. Haben Sie das Thema verpennt?

Boeddinghaus: Nein. Die Grünen werden mit diesem Thema wahrgenommen, weil Klima das Profil der Partei ist. Wenn die Grünen mitregieren, zeigt sich, dass ihre Klimapolitik nicht sehr glaubwürdig und überzeugend ist. Die Linke verknüpft Klimapolitik mit der Frage der sozialen Gerechtigkeit, etwa mit der Forderung nach kostenfreier Mobilität. Wir machen sehr wohl glaubwürdige Vorschläge in der Klimapolitik und sind hier in Hamburg eine starke Kraft. Unsere letzte Forderung ist die Beschäftigung mit dem Hamburger Flughafen, Stichpunkte Kurzstreckenflüge und Luftreinhalteplan, aber auch das hat Rot-Grün abgeschmettert. Hamburgs Klimaziele werden verfehlt, Naturschutzverbände fordern auch für Hamburg einen Klimanotstand.

Für die Wähler*innen sind die Grünen glaubwürdig genug, das sieht man am Wahlergebnis.

62, verheiratet, fünf Kinder. Die Erziehungswissenschaftlerin ist seit 2015 Abgeordnete der Linken in der Hamburgischen Bürgerschaft. Seitdem ist sie auch Co-Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion und deren bildungspolitische Sprecherin. Von 2004 bis 2008 war sie Abgeordnete der SPD.

Boeddinghaus: Das hat weniger mit einer überzeugenden Politik zu tun, die komplexen Zusammenhänge des Grünen-Hypes werden sich erst zeigen. Gestresste Sozialdemokraten, die unzufrieden mit Ihrer Partei sind, wählen nicht automatisch die Linken. In diesem Umfeld haben die Grünen momentan das Image einer Wohlfühlpartei, in dem sie sich gut aufgehoben fühlen. Sie müssen sich nun aber auch der Herausforderung durch die Wahl stellen und glaubwürdig nachlegen. In Eimsbüttel machen sie neue, breitere Fahrradwege und werden dort entsprechend gewählt, andere Stadtteile vernachlässigen sie allerdings.

Die Linke bekam bei den Bezirkswahlen 11, bei der Europawahl 7 Prozent – Triumphe sehen anders aus.

Özdemir: Bei den Bezirkswahlen haben wir Stimmen dazugewonnen. Sie sehen also, dass wir in den Stadtteilen eine gute Arbeit leisten, unsere Positionen bezüglich der Europawahl war vielen jedoch nicht klar. Deshalb haben wir bei der Europawahl nicht gut abgeschnitten.

Bei den Bezirkswahlen hat Ihre Partei nur maximal 1,5 Prozentpunkte gewonnen, während sich die Wählerbeteiligung um 17 Prozent erhöhte. Wieso haben Sie nicht davon profitieren können?

Özdemir: In absoluten Zahlen ist es ein deutlich besseres Ergebnis gewesen. Wir sind über die Bestätigung vor Ort dankbar.

Die Zahlen deuten aber darauf hin, dass keine Neu- oder Wechselwähler*innen dazugewonnen wurden. Ist Ihr Potenzial erschöpft?

Boeddinghaus: Es ist doch ganz klar, dass wir weiterhin einen großen Ehrgeiz entwickeln müssen, um zuzulegen. Das machen wir bereits über die ganze Legislaturperiode und besonders beim bevorstehenden Bürgerschaftswahlkampf. Die Linke zu wählen ist manchmal komplizierter als die grüne Gute-Laune-Partei, denn wir stellen oft Dinge infrage. Dabei fordern wir vor allem grundlegende Veränderungen und nicht nur kleine kosmetische Verbesserungen. In der Verkehrspolitik etwa wollen wir weniger Individualverkehr, beim sozialen Wohnungsbau braucht es viel mehr Wohnungen. In solchen Auseinandersetzungen benötigt es Überzeugungskraft, um die Menschen an sich zu binden.

Wann wird Die Linke in Hamburg denn regierungsfähig sein, um ihre Ziele umzusetzen?

Özdemir: Mit Blick auf Berlin, wo Rot-Rot-Grün regiert, sieht man, wie wichtige sozialpolitische Maßnahmen wie der Mietendeckel umgesetzt werden können …

… Und in Bremen laufen gerade rot-rot-grüne Koalitionsverhandlungen. In anderen Städten kann Die Linke was erreichen, warum in Hamburg nicht?

Özdemir: In diesen Städten ist die Bereitschaft von SPD und Grünen da, wirklich etwas zu ändern. In Berlin war das der Mietendeckel, in Bremen nimmt man die Kinderarmut in den Fokus. Die Linke ist aber kein Mehrheitsbeschaffer, die nur dazu da ist, die bestehende Politik fortzusetzen.

Nur weil niemand Sie anfleht mitzuregieren, bleibt Die Linke also in der Schmollecke?

Boeddinghaus: Das ist ja wohl ein total schräges Bild, man übernimmt doch nicht erst Verantwortung in der Regierung! Die Opposition spielt in der Politik eine wichtige Rolle und die füllen wir sehr verantwortungsvoll für unsere Wähler aus. In Hamburg muss man das realistisch betrachten: Wir würden in einem rot-rot-grünen Dreibündnis in Hamburg keine starke Kraft, sondern nur ein kleines Rädchen sein. Da erreichen wir in der Opposition mit Druck viel mehr!

Konkret also: Nicht mit diesen Grünen und nicht mit dieser SPD?

Özdemir: Wir erleben, dass SPD und Grüne unsere Forderungen wie nach einem Mietendeckel mit Häme als unrealistisch darstellen, obwohl es in Berlin gelingt. Die Grünen und die SPD in Hamburg unterscheidet also inhaltlich wirklich viel von den Berliner oder Bremer Parteien.

Sollte Rot-Grün im nächsten Jahr bei der Bürgerschaftswahl keine Mehrheit mehr haben, bräuchten sie einen dritten Partner. Dafür kämen die CDU, die FDP oder Die Linke infrage. Überlassen Sie denen kampflos das Feld?

Boeddinghaus: Die Linke wird sich auf keinen Fall dafür hergeben, eine Politik zu unterstützen, die sie seit Jahren kritisiert. Damit würden wir unsere Glaubwürdigkeit verlieren. Es liegt also daran, ob SPD und Grüne ernsthaft eine soziale und ökologische Politikwende wollen.

Selbst für Senatorensitze würden Sie das nicht ein bisschen lockerer sehen?

Boeddinghaus: Ganz sicher nicht!

Özdemir: Wir treten unsere Themen nicht für ein paar Senatorensitze ab. Uns ist eben nicht egal, ob sich etwas an der politischen Situation ändert oder nicht. Die Linke hatte immer den Anspruch, der auf den Friday´s for Future-Demos gerade so präsent ist: „Change the system!“ Wenn im Senat mal von Armutsbekämpfung gesprochen wird, sind das immer nur kosmetische Maßnahmen und keine richtige Bekämpfung. Das ist nicht der Wechsel, für den wir stehen.

Werden Sie beide wieder für eine Doppelspitze kandidieren?

Boeddinghaus: Uns macht die gemeinsame Arbeit sehr viel Spaß, da sind wir auf einer politischen Wellenlänge. Wir stellen unsere Kandidatur zur Verfügung, der Parteitag im Herbst entscheidet dann. Bis dahin werden wir unser Wahlprogramm schreiben, die Inhalte gehen vor.

Die Linke wird also weiter aus der Opposition heraus wirken?

Boeddinghaus: Ich bin völlig überzeugt davon, dass wir diesen Job gut machen.

Finden Sie sich auch so toll, Frau Özdemir?

Özdemir: Ob wir uns toll finden oder nicht, ist doch nicht die Frage. Wir finden aber die Themen, für die wir stehen und für die wir kämpfen, extrem wichtig. Es geht darum, wie standhaft man für diese Themen eintritt.

Boeddinghaus: Und wir haben es durchgezogen! Und das sehen unsere Wähler. Ich erinnere auch gerne an die Verhinderung von Olympia bin Hamburg, da war es dasselbe.

Özdemir: Ein weiteres wichtiges Thema, für das wir uns immer stark gemacht haben, ist die Forderung nach einem NSU-Untersuchungsausschuss. Gerade im aktuellen Bezug nach der Ermordung Walter Lübckes müssen solche rechte Strukturen aufgedeckt werden, muss die jahrelange Verharmlosung rechter Verbrechen als Einzeltaten aufhören.

Werden Sie die Forderung nach einem NSU-Untersuchungsausschuss in Hamburg erneuern?

Özdemir: Diese Forderung ist für uns stets aktuell und notwendig. Im Fall Lübcke muss überprüft werden, ob es dort Verbindungen zum NSU-Netzwerk gab. Dafür braucht es bundesweit Akteneinsicht in die verschlossenen Akten, um Licht in dieses Dunkel zu bekommen. Rot-Grün weigert sich weiterhin, über eine solchen Ausschuss in Hamburg nachzudenken. Stattdessen dämonisiert der Senat aufgrund von Stickern an der Ida-Ehre-Schule die Antifa Altona Ost und lenkt so von der Verharmlosung des offensichtlich strukturellen Problems rechter Netzwerke ab.

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