Linke Debatte um Heidenau: Antifa will antifaschistischer werden

Die Gewalt von Heidenau verunsichert die linksradikale Bewegung: Hat ausgerechnet die eigene Szene die rassistische Gewalt unterschätzt?

AntifaschistInnen demonstrieren in Heidenau

Falsch fokussiert? Zu spät? Ach was, Hauptsache da: Antifa-Demo in Heidenau. Foto: dpa

BERLIN taz | Am Dienstag sind sie wieder da: Im Schneidersitz oder auf Campingstühlen sitzen rund 200 Linke vor einem Bus im Leipziger Stadtteil Connewitz. Der soll 50 Flüchtlinge verlegen – in die Unterkunft in Heidenau, vor der jüngst Rechte randalierten, fürchten die Protestierer. Schon am Montag sammelten sich die Linken deshalb spontan zur Blockade, da sich die Flüchtlinge gegen den Umzug ausgesprochen hätten.

Nun bleibt es bis zum Abend wieder beim Stillstand, bei Verhandlungen mit Polizei und Landesdirektion. Die Blockierer riefen noch zu einer Demonstration auf. Und jubelten: „Solidarität kann praktisch werden!“ Ein kleiner Erfolg, endlich.

Nach den rechtsradikalen Krawallen in Heidenau war die Stimmung noch eine andere. Sie Bilder haben die Antifa-Szene aufgewühlt – und eine Diskussion wieder entfacht: Wie reagieren auf die rassistischen Attacken auf Flüchtlingsheime? Ist man richtig aufgestellt?

Hintergrund ist ein Kurswechsel der Szene. Mehrere Antifa-Gruppen hatten sich zuletzt aufgelöst und dem Netzwerk der Interventionistischen Linken angeschlossen. Der Fokus verschob sich: hin zu „Blockupy“-Protesten gegen die europäische Sparpolitik oder Solidarität mit dem kurdischen Widerstand in Syrien. „Nazi-Schlägertrupps“, hieß es auf einem Antifa-Kongress 2014 in Berlin, „stellen heute nicht mehr das Hauptproblem dar“.

„Raus aus der Komfortzone“

Spätestens seit Heidenau gerät diese Gewissheit ins Wanken. Nach den ersten Krawallen am Freitag reisten tags darauf einige Antifa-Anhänger in die Stadt. Am Sonntag schließlich zogen gut 300 Antifa-Aktivisten, auch aus Berlin und Bayern, in einer Demonstration durch Heidenau, die meisten als Schwarzer Block. Es kam zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Dann zogen die Autonomen wieder ab.

Die lokale Initiative „Heidenau ist bunt“ kritisierte, die Aktion sei „eher kontraproduktiv“ gewesen. Der Aufzug habe teils „aggressiv“ gewirkt, die Solidarität von „politisch gemäßigten Menschen“ sei nun „deutlich erschwert“. Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten: „Unsolidarisch“ sei die Kritik. Schließlich sei „den Nazis“ endlich gezeigt worden, „dass Heidenau nicht ihnen gehört“.

Die Debatte, wie die Szene mit rassistischen Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte umzugehen hat, geht aber längst über Heidenau hinaus. „Raus aus der Komfortzone“, lautete im Juli ein Beitrag auf dem Internetportal Antifa.de. Während Pegida und Hogesa marschierten, verstumme die Szene beim Thema Flüchtlingsheime. „Warum überlassen wir dieses Feld den Rechten?“, lautete die Kritik. „Wir haben gerade keine richtige Strategie.“

Die Göttinger Antifaschistische Linke International schrieb schon im Frühjahr, die Krise der Bewegung stehe im „schreienden Widerspruch“ zu einer „bisher ungebremsten rassistischen Mobilisierung“. Die Gruppe „Siempre Antifa“ aus Frankfurt/Main forderte: „Antifaschismus im Jahr 2015 ist nicht zuletzt vor allem antirassistische Arbeit.“

„Kernaufgabe gerät ins Hintertreffen“

Auch der Autor und Soziologe Jan Tölva konstatierte jüngst: „Es wirkt ein wenig so, als hätten weite Teile der Antifa vor lauter Antikapitalismus aus den Augen verloren, dass Nazis und andere hier und jetzt eine sehr konkrete Bedrohung sind.“ Diese „eigentliche Kernaufgabe“ der Bewegung gerate „immer mehr ins Hintertreffen“.

Zu Heidenau diskutiert die Szene nun, was konkret zu tun ist. „Wäre es nicht an der Zeit für eine große bundesweite Demo?“, heißt es auf dem linken Indymedia-Internetportal. Ein Nutzer widerspricht: Dafür gebe es keine Kapazitäten. „Wir müssen uns eher alle bereithalten, spontan aufzubrechen, wenn es wieder anfängt zu brennen.“

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