Linke Aktivistin über ihre Erlebnisse: „Die Soko stürzte in unsere Küche“
In den 80er-Jahren schloss sich Annette Ramaswamy der Anti-Atom-Bewegung an. Seitdem geriet sie als Aktivistin oft mit dem Gesetz in Konflikt.
taz: Frau Ramaswamy, Sie sind schon oft als Aktivistin mit dem Gesetz in Konflikt geraten, passenderweise treffen wir uns hier in den Räumlichkeiten der Roten Hilfe Göttingen. Wie viele Ordner füllen Ihre Verfahren?
Annette Ramaswamy: Das sind jetzt so zehn Seiten nur Einträge – aber auch lächerliche Sachen.
Ein Fall hat besondere Aufmerksamkeit erlangt. „Wäre ich nicht so zu Tode erschrocken gewesen, ich wäre in lautes Lachen ausgebrochen“, sagten Sie 2017 der taz, nachdem die „Soko Schwarzer Block“ bei ihnen eingefallen war.
Erst mal war ich natürlich total erschrocken. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass bei uns gerazzt wird. Ich dachte mir: „Was wollen die hier?“ Das war so unwirklich, komisch und grotesk.
Können Sie beschreiben, wie das ablief?
Das war am sechsten Dezember 2017. Es war dunkel und kalt. Wir saßen ganz normal beim Kaffee. Mein Mann, der Erwachsenenbildung bei der IG Metall macht, wollte nach Salzgitter. Seine ganzen Arbeitsunterlagen hatte er schon zusammengepackt. Da saßen wir entspannt beisammen und ich dachte, ich lege mich vielleicht noch mal hin. Plötzlich stand vor unserer Terrassentür eine Riesenschar Leute. Mein Mann schloss auf und dann stürzte die Soko Schwarzer Block in unsere Küche.
Und das fanden Sie nur grotesk?
Ich war natürlich ganz aufgeregt, aber ich hätte gleichzeitig eben auch laut lachen können. Unsere Küche ist nicht besonders groß, wir mussten an der Wand stehen. Wie ich später feststellte, hatte die Soko alle Eingangstüren besetzt und die Straße war gesperrt. Mein Mann sagte: Ich ruf einen Anwalt dazu. Daraufhin blieb alles stehen und die durften gar nichts machen. Die Polizei stand untätig rum und wir standen untätig rum. Das war so grotesk und gleichzeitig so fürchterlich.
Wie passierte das, dass die Soko Schwarzer Block bei Ihnen eingefallen ist?
Ich wusste schon sehr früh, dass ich zum G20 nach Hamburg wollte. Ich dachte, diese Gelegenheit hast du nie wieder, so eine Blockade mitzumachen. Meine Tochter wohnte damals in Hamburg, die bot mir einen Schlafplatz an, aber ich nahm lieber einen ganz frühen Zug. Das Kinder- und Enkelkinderprogramm stand an dem Tag nicht so an. Ich habe mich dann in den Volkspark durchgeschlagen, mich umgeguckt und mir eine Gruppe gesucht. Das war eine ganz tolle Atmosphäre. Dann hat irgendwann jemand gesagt: Da vorne steht ein astreiner Schwarzer Block. Da habe ich mir gesagt: Da geh ich mit. Dann ging es über große Chausseen, im flotten Schritt und ich dachte: Wir kommen ja gut voran, irgendwo setzten wir uns jetzt auf die Straße. Das hatte ich mir vorgenommen.
64, Physiotherapeutin, macht seit
über 35 Jahren in Göttingen Politik.
Dazu kam es aber nie?
Plötzlich war vorne ein Tumult, die ganze Demo bog ab und rannte diesen „Rondenbarg“ hoch. Ich habe versucht mitzuhalten, bin aber zurückgefallen. Dann habe ich mich ein bisschen an die Seite geschlagen und da waren wir alle schon nass gesprüht, pitschnass. Es gibt auch ein Video, wo der Wasserwerfer die Leute in den Graben spritzt. Manche sind noch eine Böschung hoch.
Die Polizei hat also Ihre Pläne durchkreuzt.
Das allerschlimmste war für mich, als ich sah, dass ein Gitter neben der Straße abgebrochen war. Ich wusste nicht, wie tief es hinunter geht, hatte plötzlich Sorgen und mir wurde richtig schlecht bei dem Gedanken, dass da unten jemand liegt. So war es dann ja auch. Es gab zwar keine Toten, aber Schwerverletzte. Das war furchtbar.
Und dann ging’ s ab in die Gefangenensammelstelle nach Harburg?
Dort war es ein bisschen spooky. Viele waren sehr erschöpft und hatten Nervenzusammenbrüche. Es waren schon mehrere Stunden vergangen. Wir mussten noch mal Personalien angeben und uns bis auf die Unterhose ausziehen. Ich sagte dann: Ich will jetzt telefonieren. Ein Beamter wollte dann, dass ich erst mal in eine Zelle komme, da habe ich mich aus Protest auf die Erde gesetzt.
Das hat die Beamt*innen sicher gefreut.
Es gab ein Riesengeschrei. Ich wurde ganz weit nach hinten geschleift und – wumms! – in eine Einzelzelle gesperrt. Wie lange, kann ich nicht sagen, ich verlor mein Zeitgefühl bei der Dauerbeleuchtung. Ich bekam weder ausreichend zu essen, noch zu trinken. Dann wurde ich noch zwei Mal verlegt. Jedes Mal bekam ich alles vorgehalten, ich daraufhin: Nein, ich unterschreib’ hier nix. Das Übliche. Ich lache jetzt so, aber damals war ich schon verschreckt und verzagt. Manchmal ärgere ich mich, weil ich noch viel mehr Rabatz hätte machen können.
Warum sind Sie zum G20 gefahren?
Wenn so viele mächtige Menschen zusammenkommen, müssen die diese Wut, den Protest spüren und das geht nur, wenn ganz viele hinfahren. Die sollten sich fragen: Wieso brüllt es draußen? Wieso scheppert es? Wieso sind Straßen blockiert? So was hatte ich mir ja vorgestellt, dass große Massen sich doch Gehör verschaffen können – obwohl ich in meinem ganzen Leben schon oft eines Besseren belehrt wurde.
Wie kam es eigentlich dazu, dass Sie politisch aktiv wurden?
Als 1986 Tschernobyl passierte, war ich noch jung und hatte kleine Kinder. Wir waren sehr betroffen von diesem schweren Unfall, der uns die Gefährlichkeit der Radioaktivität klar machte. Mir wurde klar, dass man gegen Atomkraft protestieren muss und dass es keine friedliche Nutzung gibt. Potenziell kann immer Plutonium produziert werden und damit wird waffenfähiges Material möglich. Damals schloss ich mich der Anti-Atom-Bewegung an. Es folgten viele Demobesuche, wegen der Kinder in abgespeckter Form. Dann ereignete sich Fukushima und es gründete sich eine neue, große Anti-Atom-Bewegung. Meine Kinder waren schon groß und ich konnte mich richtig aktivistisch einbringen. Ich erinnere mich an große Kundgebungen, wo wir mit viel Kreativität dieses Thema bearbeitet haben.
Dort sind Sie noch aktiv?
Ich bin immer dabeigeblieben. Mittlerweile ist das aber sehr viel kleiner, wir halten hier in Göttingen noch regelmäßig Mahnwachen ab. Jetzt, wenn die Atomkraftwerke abgestellt werden sollen, muss man den Fokus ändern. Jetzt müssen wir eben gegen die Endlagerung und gegen atomare Bewaffnung protestieren. Durch meine Aktivitäten war ich immer aktualisiert, was in Göttingen los ist. Dann wurden hier in Göttingen auch viele Nazis aktiv. Da war für mich als Antifaschistin klar, dass ich mich beteiligen möchte. Seitdem habe ich sozusagen auf zwei Gleisen Aktivismus betrieben – einerseits bei der Anti-Atom-Bewegung und andererseits bei Aktionen, wenn hier Naziaufmärsche geplant waren.
Wie war die Situation mit den Nazis zu der Zeit?
Das war so in den 2000ern. Es gab große Ankündigungen der Nazis, durch Göttingen zu marschieren. Wir haben rechtzeitig und gut reagiert, waren sehr stark und haben eine riesige Gegendemo veranstaltet. Die Nazis konnten letztendlich gar nicht marschieren. Ich erinnere mich an brennende Barrikaden, …
Der Weg von Ihnen und NPDler Jens Wilke, einem der Nazis aus der Region, haben sich dann öfter gekreuzt, oder?
Da beginnt eigentlich meine kreativste Phase. Jens Wilke und der Freundeskreis. Einmal ist es uns geglückt, die Freundeskreisversammlung mächtig zu stören. Die Gruppe wollte sich in einer Kleinstadt – Duderstadt – an einem Teich versammeln. Wir haben uns gedacht, da kommen wir von der Wasserseite. Das war ein voller Erfolg, aber das knallrote Gummiboot war furchtbar wackelig.
Die Nazis sind auch bei Ihnen zu Hause vorbeigekommen, habe ich gelesen.
Das war an einem Tag, als der Freundeskreis bei der Stadthalle eine Kundgebung abhalten durfte. Antifaschist*innen sind über die Absperrungen gegangen, es gab Geschubse und Rangelei mit der Polizei. Irgendwann waren die Nazis abgezogen. Ich war bereits wieder zu Hause und kochte mir gerade einen Kaffee, da hielt ein Auto vor unserem Haus. Drinnen die Nazis, die mit so einer Flüstertüte rausbrüllten: „Da ist der antifaschistische Familienverein“, „Der Kampf hat erst begonnen“ und solche Sachen. Mein Mann rief die Polizei, die kam nicht. Dafür kamen die Nazis eine knappe Stunde später noch mal und standen schon wieder grölend vor unserem Haus, diesmal in der anderen Fahrtrichtung. Wir haben wieder die Polizei gerufen, die nicht kam.
Das war nicht die letzte Attacke auf Ihre Familie?
Es gab noch mehrere Angriffe an unserem Haus. Uns wurde zum Beispiel ein Transparent geklaut. Das wurde dann auf Twitter gepostet und da stand so etwas wie „der Volkssturm“ habe der Familie Ramaswamy wohl etwas weggeweht. Das Transparent wurde später bei einer Hausdurchsuchung bei den Nazis gefunden.
Was stand drauf?
„Nazis morden, der Staat macht mit, der NSU war nicht zu dritt.“
Was denken Sie, wenn Sie hören, wir müssten mit Rechten reden?
Ich finde: Faschismus ist ein Verbrechen und keine Meinung. Deshalb würde ich sagen: Nein, ich höre mir das nicht an, ich rede nicht mit denen. Wir müssen dafür sorgen, dass so etwas nicht in die Umwelt gelangt. Für Faschismus ist keinen Platz in Diskussionsrunden. Das regt mich am meisten auf, wenn solche Leute noch mitdiskutieren dürfen. Wenn man sich darauf einlässt, begibt man sich auf deren Niveau. Das ist gefährlich und verbreitet Angst. Auf einmal macht die Runde, was davor unsagbar war.
Und was tun gegen die Angst?
Ich finde total bedauerlich, dass alle bei dem Wort „Revolution“ Schnappatmung bekommen. Wir wollen doch nicht so weitermachen. Ich will nicht, dass dauernd Katastrophen passieren, damit die Menschen endlich umdenken, aber wenn wir ganz ehrlich sind, läuft das ja schon. Eine Katastrophe ist der Klimawandel, eine andere Katastrophe ist der Neoliberalismus und Kapitalismus. Da sind genauso krankmachende Strukturen wie das verpfuschte Klima. Wenn wir über die verschiedensten Probleme der Welt mit Familie oder Freunden diskutieren, kommen wir am Ende immer wieder zu dem Punkt, dass der Kapitalismus ursächlich ist.
Was bedeutet Revolution?
Das ist für mich ein neues Denken, ein neues Lebensgefühl und ein neues Miteinander. Ich sehe hier in Göttingen viele gute Beispiele und Ansätze. Es gibt Menschen, die auch mal auf etwas verzichten, anderen helfen, sich einbringen – ohne dafür einen Gegenwert zu verlangen. Das stelle ich mir unter einer erneuerten Gesellschaft vor. Eine Freiwilligkeit, ein Leben zu gestalten.
Es gibt in Göttingen sehr viele Studierende. Wie funktioniert das, langfristig politisch aktiv zu sein?
Es gelingt viel, weil Göttingen klein ist. Das ermöglicht, sich schnell zu vernetzten, wenn es mal wirklich notwendig ist. Es gibt keinen Ort, den ich nicht in fünfzehn Minuten mit dem Fahrrad erreichen kann. Ich habe selbst das Gefühl, schon lange nicht mehr zu dieser jugendlichen Aufbruchgeneration zu gehören. Es gibt immer ein paar die bleiben – dazu gehöre auch ich.
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