Liberalismus von Grünen und FDP: Bloß nicht runterziehen lassen
Robert Habeck von den Grünen und Christian Lindner von der FDP wollen ihre Partei neu positionieren. Der Test: zwei Landtagswahlen.
Robert Habeck sieht ihn an. Vielleicht ahnt er schon etwas.
Lassen wir die beiden erst einmal sitzen und blenden über in den Garten des Rittergutes Orr, drei Kilometer außerhalb des Kölner Stadtteils Pulheim. Dort steht an einem anderen Tag im April ein Mann auf und sagt zu seinem Nebensitzer: „Hältst du mir meinen Stuhl frei?“ Antwortet der: „Nö, freie Marktwirtschaft, den verkauf ich an den Meistbietenden.“
Das würde bei den Grünen keiner sagen. Niemals. Wir sind hier also bei der FDP. Christian Lindner ist da, der Spitzenkandidat in NRW, und die Symbolik des Ortes ist nicht zu übersehen. Auf Orr zelebrierte einst eine Unternehmerfamilie gehobenes Bürgertum. Dann verfiel das Teil zu einer Ruine. Jetzt ist es renoviert und wird ständig gebucht. Außentoilette, aber sonst tipptopp. Wer denkt da nicht an die FDP, von der die Anwesenden hoffen, dass Lindner sie saniert hat?
Frankreichs Politikalternative Emmanuel Macron scheint weit weg zu sein, von Schleswig-Holstein wie von NRW. Aber bei beiden Landtagswahlen der nächsten acht Tage gibt es zwei Versuche, klassische Ergänzungsparteien neu zu positionieren. In beiden Fällen besteht der Reiz in den Führungsfiguren: Der FDP-Vorsitzende Lindner in NRW, der als künftiger Grünen-Vorsitzender gehandelte Habeck in Schleswig-Holstein.
Anwälte der Gesellschaft, nicht Ankläger
Warum sind die Volksparteien in Deutschland im Gegensatz zu Frankreich noch relativ stark? Warum gibt es keinen Macron- oder Van-der-Bellen-Effekt?
Erst mal: Wo das Illiberale konkret droht, wie in Frankreich und Österreich, ist das Liberale die naheliegende Gegenposition. Zudem hat eine große Mehrheit in Deutschland durch die Arbeitsmarktreformen von Rot-Grün und die Krisenpolitik von Merkel den Eindruck, das läuft hier mit Business as usual weiter. Radikale Veränderungen wollen nur die AfD-Wähler und ein paar NGOs. Der jüngste Umfrageanstieg der SPD ist genauso eine konservative Sehnsucht wie das Festhalten an Merkel. Die Lösung soll im „Weiter so“ liegen oder im Zurücknehmen des Neuen (Teilen der Schröder-Politik), in einem Oberflächenwechsel von den sozialdemokratischen Konservativen zu den konservativen Sozialdemokraten. Die dann am Ende weiter miteinander regieren.
Die Landtagswahl in Schleswig-Holstein an diesem Sonntag kann man als Plebiszit über die Grünen als mehrheitenorientierte ökosozialliberale Regierungspartei verstehen, für die es überhaupt keine Frage mehr ist, dass Regieren besser als nicht Regieren ist. Für die Partei. Und für das Land. Anwälte der Gesellschaft, nicht Ankläger seien sie, pflegt Habeck zu sagen. Der Wahlkampf wird in maximal verträglicher Distanz zur Bundespartei geführt.
Lindner positioniert sich als alternative Politikerfigur
Bei Lindner sind Land und Bund deckungsgleich. Er ist im Moment – was er bestreitet – die Partei. Er nutzt die Landtagswahl eine Nummer kleiner, aber in der Logik Gerhard Schröders bei der Niedersachsenwahl 1998, die seiner Kanzlerschaft vorausging. Als Plebiszit für die neue FDP im Bund, an der er von Düsseldorf aus seit dem Sturz in die APO nach der Bundestagswahl 2013 arbeitet. Eigentlich schon seit er 2011 den Posten als Generalsekretär aufgab, nach NRW zurückging und 2012 gegen den Bundestrend 8,6 Prozent gewann.
Er arbeitet für ein „Comeback in Demut“, wie seine Sprachregelung lautet. Ein Comeback, das nicht auf Gremienarbeit oder einer Bundesgeschäftshölle, sondern auf Marktforschung (Boston Consulting Group) und einer professionellen Außendarstellung basiert. Lindner positioniert sich als alternative Politikerfigur. Selbstbewusst und demütig – das ist seine Formel. Keiner quatscht dazwischen. All eyes on him.
Trump: doof. Lindner: megadoof.
Die FDP hat hinter sich, was die Grünen vor sich haben. Letztere können an ihr die Nachteile, aber auch die Chancen eines Sturzes studieren. Erst liefen Lindner die Mitglieder weg, und wenn der Vorsitzende in Berlin etwas loswerden wollte, kam keine Sau in die Bundespressekonferenz. Er musste alle intellektuellen Register ziehen und eine zusätzliche Parteifarbe ankündigen (Magenta), damit die Hauptstadtjournalisten berichteten. Dann kamen 2014 die kontrovers diskutierten Beine der Hamburger Spitzenkandidatin Katja Suding und die erste erfolgreiche Landtagswahl, dann Erfolge in Bremen, in Baden-Württemberg, Berlin und die erste Rückkehr in die Regierung in Rheinland-Pfalz.
Jetzt steigt die Mitgliederzahl, der Welt-Chef und die Apotheken-Umschau sind begeistert, die Säle füllen sich. Der Unterschied zu früher sei, sagt Lindner beim Bundesparteitag: „Früher hatten wir nach der Wahl keine Sitze mehr, jetzt haben wir vor der Wahl keine Sitzplätze.“
Ja, das gehört auch zur neuen FDP: Witz, sogar Selbstironie. Das war in den Westerwelle-Jahren undenkbar, vom Brüderle-Humor mal abgesehen. Lindners Schwarz-Weiß-Wahlvideo ist eine ästhetisch gelungene Pseudo-Dokumentation, die seine Themen (Bildung, Bürokratismus, Stau, Sicherheit – das sind die in Umfragen ermittelten Probleme der NRW-Wähler) und ihn als gestressten, aber gut aussehenden, nonkonformistisch-unbeirrten Wahlkämpfer zusammenschneidet. Bei Auftritten erzählt er gern, dass er etwas verlebt daherkomme, eine Frau habe ihm gesagt, so sehe er besser aus. In einem anderen Werbeclip sind alle „doof“, Trump, Putin, Erdoğan. Aber einer wird als „megadoof“ bezeichnet: Lindner. Woraus folgen soll: Wenn die grünen und linken Konformisten den für megadoof halten, trete ich als Individualist sofort in die FDP ein.
In Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen wird gewählt. Robert Habeck (Grüne) und Christian Lindner (FDP) sind die Hoffnungsträger ihrer Parteien. Wer kann liberale Wähler überzeugen? In der taz.am wochenende vom 6./7. Mai beschäftigen wir uns mit einem neuen Liberalismus. Außerdem: Männer, die ältere Partnerinnen haben. Wie liebt es sich mit dem Tabu? Und: Patricia Purtschert ist Gender- und Kolonialismusforscherin. Warum sie ihrer Tochter trotzdem Pippi Langstrumpf vorliest. Am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.
Schneidige Stimme, marktforschungsgeprüft
Tatsächlich passen die Leute auf Gut Orr nicht alle in den Rittersaal, weshalb man in den Garten gegangen ist. Aber dann kann der Marktwirtschaftler den Stuhl seines Nachbarn nicht mehr verkaufen, weil es regnet und er damit wertlos geworden ist. Bei der Linkspartei hätte man vielleicht im Regen über den fehlenden staatlichen Schutzschirm geschimpft. Aber hier stehen die freien Demokraten eigenverantwortlich auf und pressen sich stehend in den Saal.
Lindner steht frei im Raum, locker und selbstsicher wie ein Talkshow-Host beim Eingangsmonolog, Markenanzug, Krawatte, glänzend schwarze Schuhe, Ehering, große Männeruhr, die Rechte in der Hosentasche, die linke illustriert seine Sätze. Er ist ein sehr guter Politentertainer, und das ist nicht despektierlich gemeint. Etwas schneidige Stimme, aber das ist sicher marktforschungsgeprüft.
Sich aus der Gut-böse-Aufteilung der liberalen befreien
Er macht Politik, seit er 21 ist oder genauer, er verkauft Politik, als Minister umgesetzt hat er sie nie. Er kennt Showtime und er kann Showtime. Er stellt keine persönliche Nähe her, aber spürt den Stimmungen nach, verstärkt sie („Ich sach Ihnen was“), passt aber auf, dass es nicht zu lustig wird, dann wechselt er umgehend in die Staatsmann-Tonlage.
Hinterher setzt er sich für ein kurzes Gespräch in eine Ecke. Emmanuel Macrons Aufstieg mit seinem doppelten Liberalismus findet er selbstverständlich hochinteressant. „Nur im Spaß ist ein direkter Vergleich gerechtfertigt, aber die progressive und optimistische Dynamik ist angesichts der schlechten Laune in Deutschland ein Vorbild“, sagt er. Das schwebt ihm offenbar auch vor. Eine zentrale liberale Kraft, ein Befreiungsschlag aus der Gut-böse-Aufteilung des Liberalen in links (gesellschaftspolitisch) und neoliberal (wirtschaftspolitisch).
Freie Marktwirtschaft, Bürgerrechte, Toleranz
Beim Parteitag in Berlin am vergangenen Wochenende bringt er dieses Modell auf die zentrale Formel, die alle Retrofantasien von den glücklichen Zeiten des „Sozialliberalen“ wie des „Wirtschaftsliberalen“ zerschmettert. Liberalität sei kein Spartenprogramm und bestehe nicht im Senken von Steuern (dieses Vorurteil will er zertrümmern), sondern in der Überzeugung, dass der Mensch weder schwach (links) noch böse (konservativ) sei, sondern vernünftig. „Es gibt keinen Bindestrich-Liberalismus“, ruft er in die Kreuzberger Halle. „Entweder du bist liberal oder nicht“.
Er nennt: freie Marktwirtschaft, Bürgerrechte, Toleranz. Klingt stark, ist aber kaum in die Realität zu übersetzen. Auch bei Macron spielt der Sozialstaat weit über die Bürgerrechte hinaus eine wichtige Rolle.
„Ich beabsichtige, noch 30 Jahre Politik zu machen“
Lindners „neue FDP“ wird bisher nur behutsam in konkrete Politik übersetzt, etwa in der Forderung nach einem kanadisch-orientierten Einwanderungsgesetz, aber auch im Festhalten an Abschiebungen nach Afghanistan. Man will bloß nicht in einen Konter der Konkurrenz laufen. Worüber er gar nicht redet, ist der Klimawandel als zentraler Kern jeder künftigen Politik, auch nicht als Treiber von erfolgreicher Wirtschaftspolitik.
Das Vorurteil, der FDP ginge es nur um Macht und Dienstfahrzeuge, spricht Lindner selbst an. Dagegen setzt er das Versprechen, niemals solche Koalitionen einzugehen. Als Beleg hat er die Ampel in NRW ausgeschlossen. Die Grünen braucht er, zum Draufhauen. Schulministerin Löhrmann – schlimm. Umweltminister Remmel – lebe seine Ressentiments unter dem Deckmantel des Ökologischen aus. Wenn Regieren, dann nur, um „den ganzen grünen Krempel abzuwickeln.“
Gleichzeitig achtet er darauf, eine Zusammenarbeit mit der CDU als möglich, aber nicht natürlich erscheinen zu lassen. In Lindners verbalen Konturen kann man eine FDP jenseits der alten Mehrheitsbeschafferin für eine der Volksparteien erkennen. Als zentrale Kraft der bürgerlichen Mitte. Wirklich hellhörig wird man, wenn er sagt: „Ich beabsichtige, noch dreißig Jahre Politik zu machen“. Dass er das nicht für eine kurzfristige Koalition wegschmeißt, lässt er unausgesprochen.
Nochmal auf die Förde schauen
Wie lange Robert Habeck noch Politik macht, hängt vom Wahlausgang am Sonntag ab. Als er sich als grüner Spitzenkandidat für den Bund bewarb, hat er auf die Spitzenkandidatur im Land und sogar eine Absicherung als Landtagsabgeordneter verzichtet. Um klarzumachen, dass es ihm nicht um dreißigjährige Karriereplanung geht. Sondern um alles. Inzwischen dämmert das der Bundespartei auch.
Ändert aber nichts daran, dass er die Urwahl der grünen Mitglieder verloren hat. Um 75 Stimmen. Mutmaßlich, weil viele von denen, die jetzt rumheulen, aus Loyalität doch Cem Özdemir gewählt haben und andere Anton Hofreiter den Realitätsschock ersparen wollten.
Was soll Habeck jetzt damit anfangen, dass die Omnipotenzprojektionen auf ihn zunehmen und Boulevardpolitmagazine raunen, von wegen die Spitzenkandidaten stürzen, den Bundesvorsitz übernehmen, die Partei retten? Wenn Schleswig-Holsteins Grüne es nach der Wahl nicht wieder in die Regierung schaffen, kann er sein Ministerbüro im zehnten Stock eines Funktionalbaus in Kiel ausräumen, nochmal auf die Förde schauen – und dann hat er frei. Zumindest bis Ende September.
„Niemals Insel sagen“, flüstert er
Habeck, 47, ist ein Seiteneinsteiger. Doktor der Philosophie, Schriftsteller, Hetero, Familyman. Vor fünfzehn Jahren kommt er zum Gucken mal zu den Grünen ins Nebenzimmer einer Flensburger Kneipe. Als er geht, ist er Kreisvorsitzender.
Er merkt, dass er gut reden kann. Er erkennt, dass sein zunächst naiver Idealismus emotionale Kraft hat. Er schärft seine Auftritte nicht über das Studium von Late-Nite-Monologen, sondern über die Analyse von Shakespeare-Figuren.
Eins kommt zum anderen. Und dann ist er stellvertretender Ministerpräsident, Minister für Energiewende, Umwelt, Deichbau, Kühe, Küstenschutz, ländliche Gebiete und der beliebteste Politiker des Landes. Und an diesem Tag ist er zum fünften Mal auf der Hallig Hooge westlich von Husum, um die offenbar legendären Ringelganstage zu eröffnen.
In der Außendarstellung trägt er gern Arbeitsuniformen, die ihn als Macher zeigen, Blaumann oder Friesennerz oder heute eine Jacke seiner Küsten- und Meeresschutzbehörde LKN. „Niemals Insel sagen“, flüstert er, als das Schiff die Hallig erreicht.
Früher waren Ringelgänse und Halligbauern Feinde
Inseln sind vom Wasser umschlossenes Land, Halligen werden regelmäßig überflutet, weshalb die Häuser geschützt werden müssen. Habeck ist gerade in Verhandlungen, weil der Klimawandel neue, teure Schutzmaßnahmen nötig macht. Nachdem die Festversammlung zu den Klängen eines Schifferakkordeons „Winde wehn, Schiffe gehn“ gesungen hat, redet er. Eine Viertelstunde und frei. Ein paar Notizen hat er sich kurz davor gemacht.
Im Kern sagt er auf Hooge, was er immer sagt: dass Landespolitik gelingt, wenn sich Beteiligte mit unterschiedlichen Interessen an einen Tisch setzen und respektvoll streiten. Dass man Nachhaltigkeit und Naturschutz mit Geldverdienen verbinden kann. Früher waren Ringelgänse und Halligbauern Feinde, die um das Weidegras stritten. Heute leben sie in friedlicher Koexistenz. Politik hat das möglich gemacht.
Es ist nichts Außergewöhnliches. Aber er sagt es so, dass die Leute zuhören. Oder genauer: Sie fühlen sich von Habeck angesprochen.
Wählen sollen die Leute nicht wegen „Inhalten“
Selbstverständlich weiß Habeck, wie man Nähe herstellt, aber das ist nicht nur Politikerhandwerk, sondern offenbar ein Bedürfnis. Wenn man gemocht werden will, muss man etwas dafür tun. „Der war ja gut gelaunt“, sagen die Halligbewohner hinterher.
Das kommt davon, dass der Minister spürbar nicht einen Pflichttermin runterreißt, sondern sich wohlfühlt. In seinem Job, mit den Leuten auf diesem fragilen Außenposten des Bundeslandes in der Nordsee, die Füße in der Scheiße der Ringelgänse. Die diese im Rhythmus von drei Minuten in die Wiesen der Hallig fallen lassen, wie der zuständige Experte ausführt.
„Ich wünsche mir, dass du unser Minister bleibst“, sagt der Bürgermeister von Hooge. Und wer das auch wolle, müsse etwas dafür tun. Matthias Piepgras, der Bürgermeister, ist SPD, und was er sagt, ist Zweitstimmenwerbung für die Grünen. Er steht auch auf Nachfrage dazu.
„Was immer kommt“, sagt Habeck, „ich würde gern Halligminister bleiben.“ Schwerer Beifall.
Das ist nicht repräsentativ, aber es ist das, was er schaffen will: Als Person gewählt zu werden für seine grüne Arbeit. „Mit Habeck fürs Land“ ist der Slogan seines Wahlplakats, ein anderes zeigt ihn mit der Spitzenkandidatin Monika Heinold.
Die hat beim Landesparteitag einen männlichen Spitzenkandidaten verhindert, um Habeck den Platz auf dem Wahlplakat freizuhalten. Mit Habeck steigt die Chance zu gewinnen, das ist allen klar. Auch auf dem Doppelplakat sollen die Leute die Grünen nicht wegen der in mehrfach quotierten Gremien beschlossenen „Inhalte“ wählen, sondern aus persönlichem Vertrauen in die beiden Menschen in Regierungsverantwortung.
Das ist schon ziemlich nah am der Botschaft, mit der Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann die Grünen zur Volkspartei machte. Dort hieß es: „Grün wählen für Kretschmann“. In den Videospots arbeitet Habeck die Distanz zur Bundespartei heraus. Sie wollten „den Menschen dienen“, seien „verliebt in Schleswig-Holstein“, dann strahlen die beiden auf dem Wahlplakat wie Marianne und Michael.
Die Partei hat sich vor zehn Jahren erneuert
Bloß nicht von der Wozu-noch-Grüne-Stimmung im Bund runterziehen lassen. In den Umfragen hat das geklappt: Während die Grünen in NRW die Regierungsbeteiligung abgeschrieben haben und um den Wiedereinzug ins Parlament zittern, standen die Schleswig-Holstein-Grünen nie schlechter als 12 Prozent. Am Ende könnte das auch den Bundesgrünen helfen. Die Hoffnung lautet: Wenn Schleswig-Holstein zeigt, dass es geht, profitiert NRW und dann auch der Bund.
Das Problem ist allerdings, dass sie dann auch zeigen, wie es geht. So, wie es im Bund nicht geht. Eine flügelfreie Partei, die sich vor zehn Jahren mit Konstantin von Notz, mit Habeck und anderen personell und kulturell erneuert hat. Für die sich die uralten Fragen nicht mehr stellen.
Mit den Füßen in der Gänsescheiße
Wozu die Grünen? Zum Regieren. Schon angesichts der Konkurrenz. Habeck führt keinen klassischen Grünen-Wahlkampf gegen die FDP oder irgendwen, sondern für etwas. Zweitens sieht er die wachsende Bedeutung der Konfliktachse autoritär vs. liberal. „Beim Kampf für eine liberale Demokratie ist die FDP nicht unser Gegner“, sagt er.
Das ganze Gerede, etwa von der Zeit, die Grünen hätten gewonnen, woraus andere schließen, sie könnten abtreten, verpasst das Entscheidende, nämlich das Politische. Wie Reinhard Bütikofer beim tazlab sagte: „Wir haben in Eckpunkten geprägt, wie die Gesellschaft über sich denken will, also ihr Selbstbild, aber doch nicht die gesellschaftliche Realität.“
Wie schließt man die Lücke? Habecks Antwort: Als Teil derer, die etwas hinkriegen wollen. Mit den Füßen in der Gänsescheiße.
Dieses Modell auf den Bund zu übertragen ist Habecks Anspruch. Schon mit der Idee der grünen Volkspartei, was nicht meint, dass alle grün werden, sondern dass die Grünen für alle da sind. Bei der Urwahl hat er nicht verbergen können, dass er sich für den Richtigen hält, um die verfassungspatriotische Kretschmann-Gravität und den idealistischen Parteiglutkern zu versöhnen und handlungsfähig zu machen. Mit seinem Mix aus Intellektualität und Einer-von-euch-Style, aus langen Linien und Spontanität, aus Nonkonformismus und Patriotismus.
Genau das will er hören. Und gleichzeitig überhaupt nicht.
Macron findet er „großartig“. Das sozialpolitische Programm fehle, okay, aber hier geht es um das Grundsätzliche. „Mut und Haltung“, sagt er. „Sich selbst zu erfinden und entschiedenes Pro-Europäertum als Gewinnerthema zu besetzen.“ Die Frage, wozu es die Grünen noch brauche, stellt sich für ihn nicht: Sicherheitspolitik, Industriepolitik, Flüchtlingspolitik, nichts wird ohne sozialökologischen Kern funktionieren. Aber eben auch nicht ohne Mehrheiten.
Und jetzt sitzt er auf der „MS Seeadler“. Schwerer Wellengang. Und dann sagt der Graubart auch noch: „Wir haben bei der Urwahl gebetet, Robert.“
Er fixiert den Schiffsboden.
„Wir haben gebetet, dass du verlierst und bei uns bleibst.“
Robert Habecks Gesicht muss man gesehen haben. Genau das will er hören. Und gleichzeitig überhaupt nicht.
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