Die Grünen nach der NRW-Wahl: Schnell das Krönchen richten
Spitzenkandidatin Göring-Eckardt bemüht sich nach dem Wahldesaster in NRW darum, heitere Gelassenheit zu demonstrieren. Ob das reicht?
Göring-Eckardt müht sich am Montag, heitere Gelassenheit auszustrahlen. Zusammen mit Sylvia Löhrmann, der Spitzenkandidatin in Nordrhein-Westfalen, muss sie in der Berliner Bundespressekonferenz das Desaster erklären. „Heute heißt es: aufstehen, Krönchen richten, weitermachen.“ Die Grünen müssten klar machen, warum die Ökologie eine Existenzfrage sei, sagt Göring-Eckardt. Sie habe den Eindruck, dass ihre Partei „noch sehr viel stärker lernen müsse, mit Leidenschaft dafür zu kämpfen“. Auch müssten die Grünen bei bestimmten Themen den Angriff suchen.
Das ist ein neuer Tonfall für Göring-Eckardt, die lieber einen ausgleichenden Politikstil pflegt. Die Niederlage im wichtigsten Bundesland hat die Partei tief verstört. Nur noch 6,4 Prozent, ein knapper Sprung ins Parlament, eine Halbierung nach sieben Jahren in der Regierung: „Das war ein Schlag in die Magengrube“, sagt Dieter Janecek, Koordinator des Realoflügels. Die Grünen befinden sich auf einer emotionalen Achterbahnfahrt. Eben noch hatten sie das hübsche Ergebnis in Schleswig-Holstein bejubelt, nun führte ihnen NRW vor Augen, was Kleinparteien drohen kann: ein Existenzkampf mit unsicherem Ausgang. Kann das, so die bange Frage, auch im Bund passieren?
Hannelore Kraft überstrahlte alles
Die Gründe, das sagen viele in der Partei, sind vor Ort zu suchen. Löhrmann, noch Bildungsministerin, verweist in Berlin auf die Tücken der Schulpolitik. Die Inklusion von Kindern mit Behinderung sei für Lehrer eine Herausforderung gewesen, der Prozess sei in den Schulen auf Widerstand gestoßen. Dann 40.000 Flüchtlingskinder, die plötzlich in den Schulklassen sitzen. Die Frage, wie es in den Schulen aussieht, trieb die WählerInnen am meisten um. Für die Grünen wurde Löhrmanns Ressort zum Problem.
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Löhrmann spricht auch die geräuschlose Zusammenarbeit in der abgewählten rot-grünen Koalition an. Nach Erfahrungen mit zerstrittenen Koalitionen sei man „zu sehr ins andere Extrem gegangen“ und habe Konflikte „hinter verschlossenen Türen ausgetragen“. In der Tat überstrahlte die starke SPD-Frau Hannelore Kraft alles, Löhrmann und ihre Grünen wirkten wie blasse AssistentInnen. Die effiziente, pragmatische Doppelte-Lottchen-Strategie scheiterte grandios.
Interessant sind die Wählerwanderungen, die Ökopartei wurde geradezu pulverisiert – und die Teilchen flogen in alle Richtungen. 110.000 Grünen-Wähler gaben laut Infratest dimap lieber der SPD ihre Stimme, 60.000 wechselten zur Linken. Doch die grünen Milieus flüchteten auch ins bürgerliche Lager – 90.000 gingen zur CDU, 30.000 zur FDP. Löhrmanns Partei schloss kurz vor der Wahl eine Jamaika-Koalition offensiv aus. Durch diese Schlussmobilisierung sei es gelungen, die Grünen im Landtag zu halten, sagt sie.
Wofür stehen die Grünen eigentlich noch?
Und hier kommen dann doch wieder Berlin und die Bundestagswahl ins Spiel. Denn in der Bundespartei gärt es. Wofür stehen die Grünen eigentlich noch? Verschwimmen die Grenzen zu den Konservativen? Kämpfen Göring-Eckardt und Cem Özdemir, zwei Spitzenleute aus dem Realoflügel, engagiert genug für das eigene Programm? Solche Fragen stellen sich viele Linksgrüne – und nicht wenige mahnen nach NRW mehr Unterscheidbarkeit an.
„Wir müssen härter und klarer in Konflikte gehen“, sagt Sven-Christian Kindler, Haushälter der Fraktion. „Standpunkt kommt von Stehen, nicht von Wackeln.“ Die Union blockiere und bekämpfe den Politikwechsel, für den die Grüne stritten, etwa ein Ende der Massentierhaltung. Im Bund müsse deutlich werden, dass wir die Botschaft verstanden haben und lernfähig sind, sagt Fraktionsvize Katja Dörner. „Es muss klarer werden, wofür wir stehen.“
Das sind feine Spitzen in Richtung Göring-Eckardt und Özdemir. Beiden wird eine Vorliebe für Schwarz-Grün nachgesagt. In der Tat fiel in den vergangenen Monaten auf, dass beide Spitzengrüne die SPD munter attackierten, sich bei Angela Merkel und der Union aber zurückhielten. Özdemir stellte zum Beispiel den Doppelpass für spätere Nachfolgegenerationen von ausländischen Eltern infrage. Das war inhaltlich nicht falsch, taktisch aber eine Dummheit – der Doppelpass ist ein grünes Herzensanliegen. Auch in der Leitkulturdebatte klang Özdemir auf Twitter versöhnlich.
Eine bemerkenswerte Ironie: Weil sich die Grünen im Bund alle Koalitionen offenhalten, wirkt es bei den beiden Spitzenkandidaten manchmal so, als sei die Schulz-SPD der Hauptgegner – und nicht die Merkel-CDU. Ob solche internen Konflikte ausbrechen, ist offen. Die Grünen haben gelernt, wie wichtig Geschlossenheit für den Erfolg ist. „Jetzt müssen wir uns im Bund unterhaken“, sagt Janecek. „Das Letzte, was wir brauchen, ist ein Flügelstreit.“
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