Letzte Generation in Berlin: Protest mit Öl und Kleber
Die Aktionen der Letzten Generation gehen in die vierte Woche. Bisher ist in keinem Fall festgestellt worden, ob es sich um eine Straftat handelt.
Auch an diesem Montagmorgen hieß es wieder von der Verkehrsinformationszentrale: „Im gesamten Netz kann es zu Stau kommen.“ Klimaaktivist:innen vom Aufstand der Letzten Generation hatten ab kurz vor 8 Uhr an vier Stellen Zufahrten zur Autobahn A100 blockiert, von der Seestraße im Norden bis zur Abfahrt Steglitz im Südwesten; zusätzlich erklommen sie eine Schilderbrücke bei der Beusselstraße. 40 beteiligte Aktivist:innen, einige von ihnen mit den Händen an der Fahrbahn angeklebt, störten bis 11 Uhr den Verkehr massiv.
Die Aktionen finden damit in ihrer vierten Woche statt. Begonnen hatte die aktuelle Welle von Blockaden am 20. Juni, als 60 Aktivist:innen die Autobahn gleich an 11 Stellen in Beschlag nahmen. Seitdem ist kaum ein Tag ohne Aktionen vergangen. Laut Auskunft der Letzten Generation selber waren es in den vergangenen drei Wochen „insgesamt 89 Aktionen an Autobahnen und/oder Bundesstraßen. Dabei wurden 290 mal Menschen auf die Polizeistation mitgenommen“.
Am Wochenende waren die Klimaschützer:innen zum wiederholten Mal vor dem Bundeskanzleramt aufgetaucht, um in einer Inszenierung nach Öl zu bohren. Dabei spritzten sie mit ölähnlicher Farbe um sich, suhlten sich im Schlamm und hinterließen ratlose Polizist:innen. Die Letzte Generation fordert mit ihrer aktuellen Protestwelle, an der insgesamt 250 Aktivist:innen beteiligt sein sollen, eine Erklärung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), dass Deutschland entgegen Vorschlägen etwa der FDP auf Ölbohrungen in der Nordsee verzichtet, und bezeichnet solche als „Verbrechen an der Menschheit“. Weil von Scholz dazu nichts zu hören ist, suchen die Aktivst:innen seit Wochen mit Plakaten und auf Social Media nach dem „Klimakanzler“.
Im politischen und medialen Diskurs sind die Forderungen dagegen kaum Thema, stattdessen wird über Sinn und Unsinn der Blockaden diskutiert, über handgreifliche Autofahrer und die Forderung, etwa von Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) nach härteren, also abschreckenden Strafen. Die Gewerkschaft der Polizei suggerierte am Montag etwa in einer Mitteilung, die Stadt würde juristisch besonders lasch auf die Blockaden reagieren: Berlin gelte „als Wohlfühl-Biotop, in dem sich Menschen auf die Straßen setzen und auch kleben können, ohne dass es juristische Folgen hat“.
Dabei ist noch nicht in einem einzigen Fall festgestellt worden, dass es sich bei den Blockaden überhaupt um Straftaten handelt. Die 73 Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft beziehen sich allesamt auf Aktionen im Januar.
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