heute in hamburg
: „Letzte Chance, das Ruder herumzureißen“

Klimademo: Jungfernstieg, 12 Uhr. Bitte eine FFP2-Maske mitbringen sowie ein Smartphone mit installierter Corona-Warn-App.

Interview Arne Matzanke

taz: Frau Rittmann, ist der Klimaaktivismus nach 15 Monaten Pandemie eingeschlafen?

Annika Rittmann: Nein. Wir haben in Hamburg schon am 19. März gezeigt, dass wir auch ohne Menschen politisch wirksame Aktionen auf die Beine stellen können. Mit vielen Demonstrierenden werden wir jetzt nur eine noch stärkere Botschaft senden. Wir wollen den Wahlkampf auf den Kopf stellen. Dafür haben wir auch für die kommenden Wochen weitere Demonstrationen geplant. Die nächste Legislaturperiode ist die letzte Chance, das Ruder noch herumzureißen. Dafür wollen wir die Wäh­le­r:in­nen sensibilisieren.

Fridays for Future hat eine Ausnahmegenehmigung der Stadt erwirkt. Morgen dürfen 2.000 Menschen mitlaufen. Weshalb so mutig? Wenn nicht so viele kommen, werden die kritischen Stimmen lauter …

Das Thema hat ja nicht an Aktualität verloren. Die Hitze und auch die anhaltende Pandemie sind ein Symptom des Klimawandels. Natürlich wird es sehr warm und die Demo wurde nur kurzfristig angekündigt, aber ich bin optimistisch, dass wir am Jungfernstieg mit vielen Menschen stehen werden.

Öffentlich bezieht sich Fridays for Future auf das neue Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz zukünftiger Generationen. Welche Forderungen ergeben sich daraus konkret für Hamburg?

Der Klimaplan des Senats aus dem Jahr 2020 fordert immer noch die Klimaneutralität bis 2050. Nach Ansicht des Gerichts ist das nicht ausreichend. Deswegen fordern wir ein neues Klimaschutzgesetz. Hamburg muss bereits bis 2035 klimaneutral werden. Dazu braucht es ein klimagerechtes CO2-Budget. Außerdem muss es ein regelmäßiges Monitoring geben, das die Wirksamkeit der aktuellen Maßnahmen ständig kontrolliert.

Am Montag haben Sie Hamburgs Ersten Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) getroffen. Worum ging es in dem Gespräch?

Ich habe ihm gesagt, dass der Hamburger Senat im Verlauf der Pandemie gezeigt hat, dass er grundsätzlich zu Krisenmanagement fähig ist. Aus meiner Sicht verdeutlicht das aber auch, dass die Regierung die Probleme des Klimawandels noch nicht verstanden hat.

Foto: FFF Hamburg

Annika Rittmann

18, ist seit 2019 bei Fridays for Future und dort unter anderem Pressesprecherin in Hamburg

Wie hat er auf Ihre Kritik reagiert?

Er schwärmt davon, dass Hamburg die einzige Großstadt der Bundesrepublik sei, die einen Klimaplan zur Reduktion der Treib­hausgase vorgelegt habe. Aber in der Pandemie haben wir gesehen: Wenn andere Städte eine Sieben-Tage-Inzidenz von 200 haben und Hamburg nur einen Wert von 100, dann reicht das trotzdem nicht. Auf die Klimakrise bezogen bedeutet das: Nur, weil wir einen Plan haben, sind wir noch nicht auf einem sinnvollen Weg.

Was sagen Sie den Menschen, die Angst haben, dass der Schutz zukünftiger Generationen auf Kosten der Geringverdienenden von heute geht?

Ich verstehe die Sorge. Aber ich glaube, dass sie nicht berechtigt ist. Wir fordern ausdrücklich eine sozial gerechte Klimawende. Wir sehen Maßnahmen wie die CO2-Steuer als Möglichkeit der Umverteilung. Menschen, die viel besitzen und oft die Umwelt mehr belasten, müssen auch die Kosten tragen. Wenn über ein Energiegeld alle Menschen das gleiche Geld ausgezahlt bekommen, das über die CO2-Steuer eingenommen wird, profitieren Geringverdienende am meisten.