Letzte Ampel-Vorhaben im Bundestag: Rot-Grün sucht Last-Minute-Mehrheiten
SPD und Grüne bringen das Kritis-Dachgesetz und NSU-Dokumentationszentrum trotz Ampel-Bruch in den Bundestag ein. Die Union hat ein anderes Projekt.
SPD-Innenexperte Sebastian Hartmann erklärte das Kritis-Dachgesetz für zwingend nötig. „Deutschland befindet sich seit einiger Zeit in einer dauerhaften Lage der Bedrohung auch durch ausländische Mächte mit Angriffen auf unsere Infrastruktur“, sagte er der taz. „Der von der FDP verschuldete Bruch der Regierung hindert uns nicht, unser Land und seine kritischen Infrastrukturen stärker und resilienter aufzustellen. Wir müssen unsere Daseinsvorsorge und unser tägliches Leben sichern und dazu brauchen wir dieses Gesetz.“
Auch Grünen-Parlamentsgeschäftsführerin Irene Mihalic warb darum, dass Union und FDP dem Kritis-Dachgesetz noch in dieser Restlegislatur zustimmen. „Fast täglich gibt es Sabotage-Meldungen. Kritische Infrastrukturen wie Krankenhäuser oder die Strom- und Wasserversorgung sind die Lebensadern unserer Gesellschaft“, so Mihalic zur taz. „Ihr Schutz ist so relevant wie nie zuvor und darf keinen parteipolitischen Spielchen zum Opfer fallen.“
Das Kritis-Dachgesetz hatte die Ampelkoalition bereits in ihrem Koalitionsvertrag von 2021 versprochen. Damit sollen erstmals Mindestvorgaben für den Schutz der kritischen Infrastruktur in Deutschland festgelegt werden, also für Unternehmen aus den Bereichen Energie, Verkehr oder Gesundheitswesen. Nach längeren Beratungen mit den Ländern und Nachbesserungen hatte das Ampel-Kabinett den Gesetzentwurf schließlich am 6. November verabschiedet – wenige Stunden vor dem Platzen der Koalition. Deutsche Sicherheitsbehörden hatten zuletzt vor vermehrten Sabotageakten hierzulande gewarnt, die vor allem Russland zuzurechnen seien.
NSU-Dokumentationszentrum sei „längst überfällig“
Zugleich werben SPD und Grüne auch um Stimmen der Union und FDP für die Errichtung eines NSU-Dokumentationszentrums. Auch dieser Gesetzentwurf ging erst vor einer Woche durch das Bundes-Rumpfkabinett von SPD und Grünen. Das Zentrum soll in Berlin entstehen und an die Opfer der rechtsextremen Terrorgruppe erinnern.
Mihalic betonte, ein NSU-Dokumentationszentrum sei „mehr als 13 Jahre nach Bekanntwerden der Terrortaten und der schrecklichen Morde längst überfällig“. Die erste Lesung zu dem Gesetz sei „ein erster wichtiger Schritt“. Dabei dürfe es aber nicht bleiben, so Mihalic. „Wir appellieren an FDP und Union, das würdige Gedenken an die Opfer nicht länger zu verschleppen und den Gesetzentwurf gemeinsam mit allen demokratischen Fraktionen noch in dieser Wahlperiode abzuschließen.“
Auch SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese bezeichnet das NSU-Dokumentationszentrum als „wichtigen Beitrag“ zum Gedenken an die Opfer des Rechtsterrors und für die historisch-politische Bildung. „Die Fehler und das Versagen des Staates machen es unbedingt notwendig, das Geschehene zu dokumentieren, sich dauerhaft an die Opfer zu erinnern und ihrer zu gedenken.“ Das Projekt sei ein „breit getragenes Anliegen in unserer Gesellschaft und sollte unbedingt vor der Bundestagswahl beschlossen werden“, betonte Wiese. „Ich kann nur an die Union appellieren, hier keine taktischen Parteispielchen zu spielen und den Weg für dieses wichtige Vorhaben freizumachen.“
Erst am Dienstag hatte jedoch Unions-Fraktionschef und Kanzlerkandidat Friedrich Merz erneut betont, nur noch „absolut notwendigen“ Gesetzen in der Restlegislatur des Bundestags zuzustimmen – und ansonsten keinen mehr, die Auswirkungen auf den Bundeshaushalt haben. Unions-Fraktionsvize Andrea Lindholz hatte explizit zum Kritis-Dachgesetz jüngst der taz gesagt, der Schutz kritischer Infrastrukturen sei „ohne Zweifel“ wichtig. Aber wie dieser Schutz verbessert werden könne, „will sehr gut überlegt und diskutiert sein“. Soll heißen: Einen schnellen Beschluss wird es nicht geben.
Die Union will noch IP-Adressenspeicherung durchsetzen
Die Union setzt dafür für Donnerstag wiederum einen Gesetzentwurf für ein Projekt auf die Tagesordnung, für das auch die SPD-Fraktion und Bundesinnenministerin Nancy Faeser eintreten: die Speicherung von IP-Adressen zur Strafverfolgung. Das Vorhaben war in der Ampel aber an der FDP gescheitert. Thorsten Frei, Parlamentarischer Geschäftsführer der Union, hatte erklärt, die IP-Adressspeicherung stehe „ganz oben auf unserer To-do-Liste“. IP-Adressen seien als digitales Beweismittel gerade bei der Bekämpfung von sexuellem Kindesmissbrauch im Internet „unabdingbar“. Es käme einer Art Vorratsdatenspeicherung gleich.
SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese gab sich zurückhaltend. „Ziel der SPD-Bundestagsfraktion ist eine rechtssichere und pragmatische Lösung und kein erneuter unbrauchbarer Regelungsversuch von CDU und CSU, der zum wiederholten Mal in Karlsruhe scheitert“, sagte Wiese der taz. Es brauche einen Gesetzentwurf für die Speicherung von IP-Adressen, der „sowohl berechtigte Sicherheitsinteressen der Ermittlungsbehörden als auch die Grundrechte Einzelner berücksichtigt“. Die Urteile des Europäischen Gerichtshofs gäben hier „klare Leitplanken“ vor.
In der Grünen-Fraktion wird sich dagegen grundsätzlich kritisch zur IP-Adressenspeicherung geäußert. Auf Länderebene zeigte sich die Partei offener: So sprachen sich in Hessen die Grünen für eine Speicherung für wenige Wochen aus. Wenn „rechtsstaatliche Grundsätze“ eingehalten würde, sei eine befristete Speicherung „sinnvoll“, erklärte die Landtagsfraktion.
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