Leipzig nach dem „Tag-X“: Nächste Lina-E.-Demo verboten
Leipzig verbietet eine für Sonntagabend geplante Demonstration, die sich gegen Polizeigewalt richten sollte. Grund seien die Erfahrungen vom Vortag.
Den verletzten Polizistinnen und Polizisten wünschte Faeser schnelle Genesung. „Ich danke allen Einsatzkräften der Polizei, aber auch der Rettungsdienste herzlich für den schwierigen und gefährlichen Einsatz“, sagte sie. Die sächsische Polizei war von der Bundespolizei und Beamten aus elf Bundesländern unterstützt worden.
Stadt untersagt angemeldete Demo
Nach Auseinandersetzungen zwischen Linksradikalen und der Polizei hat die Stadt Leipzig eine für Sonntagabend angemeldete Demonstration verboten. „Grund dafür sind die Erfahrungen von Samstagabend“, sagte ein Sprecher der Stadt auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur. Bei den Ausschreitungen im Süden Leipzigs waren mehrere Beamte und Demonstrierende verletzt worden. Nach Angaben der Polizei waren knapp 30 Menschen unter anderem wegen des Vorwurfs des schweren Landfriedensbruchs festgenommen worden.
Grundlage für das Verbot der Demonstration ist nach Angaben der Stadt eine für Samstag und Sonntag geltende Allgemeinverfügung. Diese verbietet Versammlungen, die Bezug zum Urteil gegen die Linksextremistin Lina E. nehmen. Die in Leipzig wohnende 28-Jährige und weitere Mitangeklagte wurden am vergangenen Mittwoch in Dresden wegen Gewalttaten verurteilt. Anschließend wurde landesweit zu Solidaritätsdemonstrationen aufgerufen. Der Schwerpunkt lag in Leipzig. Die für Sonntagabend angekündigte Demo sollte sich gegen Polizeigewalt richten.
Die sächsischen Landtagsabgeordneten Juliane Nagel und Marco Böhme (beide Linke) bezeichneten das Verbot als „skandalös“: „Schon gestern wurden Grundrechte außer Kraft gesetzt. Wir appellieren an den Oberbürgermeister und die Polizeiführung, die Stadt Leipzig nicht weiter zur grundrechtsfreien Zone zu machen“, erklärten sie am Sonntag.
SPD-Abgeordneter: Vorgehen der Polizei wirkte eskalierend
Die Linksfraktion im sächsischen Landtag will das Vorgehen der Polizei am Samstag bei einer Demonstration in Leipzig zum Thema im Innenausschuss machen. Dazu werde ihre Fraktion am Montag eine Sondersitzung beantragen, teilte die Abgeordnete Kerstin Köditz am Sonntag auf Twitter mit. „Die Hintergründe der Grundrechtsverletzungen, besonders der Kessel, sind aufklärungsbedürftig.“ Das Innenministerium stehe in der Verantwortung.
Die Polizei hat nach Ansicht des sächsischen SPD-Innenpolitikers Albrecht Pallas in Leipzig selbst zur Eskalation beigetragen. Der Polizeiführung warf der Landtagsabgeordnete eine „provozierende Herangehensweise“ vor. Die Gewalt einiger Demonstranten sei inakzeptabel, betonte er am Sonntag. Rund 1500 Menschen hätten am Samstag aber friedlich ihr Demonstrationsrecht wahrgenommen.
Die Polizei sei etwa beim Abdrängen umstehender Menschen mit unnötiger Härte vorgegangen und habe viele Menschen stundenlang eingekesselt. „Es gipfelte im Abriegeln des gesamten Stadtteils Connewitz nach zwei Barrikadenbränden“, betonte Pallas. „Die Massivität der Polizeipräsenz oder dadurch bedingte massive polizeiliche Reaktion auf Kleinigkeiten hatten eine eskalierende Wirkung, was überwiegend Unbeteiligte traf.“
Pallas ist von Beruf Kriminalbeamter und war nach eigenen Angaben in Leipzig als parlamentarischer Beobachter selbst vor Ort.
Polizei: In Leipzig 50 Beamte verletzt
Bei den Ausschreitungen von Linksradikalen in Leipzig sind nach Angaben der Polizei etwa 50 Polizisten verletzt worden. Zudem habe es auch Verletzte aufseiten der Demonstranten gegeben, sagte Polizeipräsident René Demmler am Sonntag – die genaue Zahl konnte er aber nicht beziffern. Ermittlungen laufen bei der Polizei etwa wegen schweren Landfriedensbruchs und wegen Angriffen auf Polizisten. Es habe fast 30 Festnahmen gegeben, bei denen nun Haftantrag geprüft werde, teilte Demmler mit. Zudem seien zwischen 40 und 50 Personen in Gewahrsam genommen und bis Sonntagmittag wieder entlassen worden.
Die Stadtverwaltung und die Polizei verteidigten ihr Vorgehen. „Wir müssen leider erleben, dass auch bei einer friedfertig angekündigten Demonstration sich Gewalttäter darunter mischen, dass sie instrumentalisiert wird und es im Ergebnis dann zu Gewaltausbrüchen kommt“, sagte Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD). Es sei daher richtig gewesen, zwei andere Demonstrationen zuvor zu untersagen. Er dankte der Polizei für ihre Arbeit. So sei es möglich gewesen, trotz der „fürchterlichen Vorkommnisse“ die Stadt lebensfähig zu halten.
Polizeipräsident Demmler sprach von „viel sinnloser, extremer Gewalt“. Es sei daher erforderlich gewesen, auch durch Stärke zu deeskalieren. Demmler betonte, dass keine Versammlung aufgelöst wurde. Es sei eine Stunde lang mit dem Versammlungsleiter versucht worden, eine stationäre Kundgebung zu erreichen. Bei der Demonstration unter dem Motto „Die Versammlungsfreiheit gilt auch in Leipzig“ mit rund 1.500 Teilnehmern waren am Samstag nach einem friedlichen Beginn Steine, Flaschen und ein Brandsatz auf Polizisten geworfen worden. Die Polizei kesselte rund 1.000 der Demonstranten ein und sprach von „massiven Ausschreitungen“.
Polizeigewerkschaft: Linksextremismus keine Nebensache
Nach den Krawallen in Leipzig hat die rechte Deutsche Polizeigewerkschaft die Politik aufgefordert, Linksextremismus stärker in den Fokus zu nehmen. „So richtig der Kampf gegen Rechtsextremismus ist, darf der Linksextremismus nicht weiter als Nebensache betrachtet werden“, erklärte der Bundesvorsitzende Rainer Wendt am Sonntag. Aus seiner Sicht war das Einsatzkonzept der Polizei in Leipzig erfolgreich und hat Schlimmeres verhindert. „Der Rechtsstaat hat sich trotz tausendfacher Gewalt durchgesetzt.“
Wendt sprach von einer Deeskalation durch Stärke. Das Verbot der geplanten Solidaritätsdemonstration am Samstag sei auch angemessen gewesen. Die Beschwerden aus linken Kreisen seien zynisch und unglaubwürdig, so Wendt.
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