Leihmütter in der Ukraine: Deutschlands exportiertes Dilemma
Schwangere Leihmütter sollen in der Ukraine bleiben, Babys liegen in Luftschutzbunkern. Eine Situation, an der auch Deutschland eine Mitschuld trägt.
![Drei Frauen und eine Vielzahl von Babys in einem Keller Drei Frauen und eine Vielzahl von Babys in einem Keller](https://taz.de/picture/5464137/14/Leihmuetter-Ukraine-1.jpeg)
Kartons voller Windeln und Konservendosen stapeln sich vom Boden bis zur Decke. Auf dem Fußboden sind Schlafsäcke in Tarnmuster aneinandergereiht, an einer Seite des Raumes liegen Gasmasken. Eine Frau führt durch die Räume eines Luftschutzbunkers, vorbei an herumstehenden Menschen und sagt: „Es gibt genug Schlafsäcke und Gasmasken für alle Beteiligten.“ Und weiter: „Die Neugeborenen werden sich hier sehr wohlfühlen“.
Diese skurril wirkenden Szenen sind in einem Video zu sehen, das von BioTextCom, dem größten Dienstleister für Reproduktionsmedizin in der Ukraine, vor ein paar Wochen bei YouTube hochgeladen wurde. Es richtet sich an werdende Eltern aus dem Ausland, die ihr Baby von einer Leihmutter in der Ukraine ausgetragen lassen. Es soll ihnen das Gefühl vermitteln: Ihr Baby ist in guten Händen – komme, was wolle. Das Video erschien drei Tage vor dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine.
Die gezeigte Situation ist mittlerweile Realität. Mindestens 18 Babys befinden sich laut Medienberichten momentan in dem Bunker in einem Vorort von Kyjiw, werden von Krankenpflegerinnen versorgt und warten darauf, von ihren Wunscheltern aus dem Ausland abgeholt zu werden. Aber nicht nur die Neugeborenen sind im Krieg gefangen. Hunderte Frauen in der Ukraine sind momentan schwanger mit einem Kind, das nicht ihres ist. Sie sind als Leihmütter tätig, bekommen also Geld dafür, ein Kind für jemand anderen auszutragen. BioTexCom warnt sie in einem Facebook-Post: Sie sollen trotz des Krieges nicht ins Ausland gehen, denn das könnte ihre Lage erheblich erschweren. Also bleiben sie im Kriegsgebiet. Dass sie das müssen, dafür ist neben anderen Ländern auch Deutschland verantwortlich.
Denn Leihmutterschaft ist in Deutschland verboten. Häufig wird das Verbot damit begründet, dass die Praxis nicht mit der Würde des Menschen vereinbar sei. Konkrete Zahlen dazu, wie viele ungewollt kinderlose Paare deswegen auf Leihmütter im Ausland zurückgreifen, fehlen. Laut Medienberichten reisen 15.000 Paare aus Deutschland jedes Jahr ins Ausland, um eine Leihmutter zu beauftragen, 6.000 von diesen Paare gehen in die Ukraine.
Austragen verboten, austragen-lassen erlaubt
Seitdem mehrere asiatische Länder, wie Indien und Thailand, in den vergangenen Jahren die Gesetzeslage diesbezüglich verschärft haben, ist die Ukraine noch mehr zu einem Hotspot für Leihmutterschaft geworden. Hinzu kommt, dass das Geschäft dort verhältnismäßig günstig ist. 40.000 bis 60.000 Euro müssen Wunscheltern zahlen, in den USA ist es ungefähr das Doppelte. Nach Abzügen für die Gesundheitsversorgung und die Vermittlungsagentur bekommt die Leihmutter das Geld in Raten ausgezahlt, die größte gibt es erst nach der Geburt des Babys.
Die deutsche Gesetzgebung erleichtert es kinderlosen Paaren, Leihmütter im Ausland zu beauftragen. Hierzulande werden nämlich nicht die Wunscheltern, sondern die Vermittler:innen und behandelnden Ärzt:innen bestraft. Aber wenn die Wunscheltern wollen, dass das Kind bei ihnen leben kann, dann muss die Geburt und der anschließende bürokratische Prozess in dem Land stattfinden, wo die Schwangerschaft beauftragt worden ist. Das hat damit zu tun, dass Mutterschaft in Deutschland danach definiert ist, wer das Kind austrägt, nicht aus welcher befruchteten Eizelle es entsteht.
Auch deswegen können die Leihmütter nicht nach Deutschland fliehen. BioTexCom warnt: „Die Geburt des Kindes außerhalb der Ukraine ist nicht legal und wird rechtliche Konsequenzen haben: Die Leihmutter wird als Mutter gelten und der Versuch der Übergabe des Kindes wird als Kinderhandel bezeichnet.“
Verurteilungen wegen Kinderhandels sind zwar eher selten. Aber es gibt noch andere, größere Hindernisse für die schwangeren Frauen, aktuell nach Deutschland zu fliehen: bürokratische Hürden. Der Adoptionsprozess nimmt viel Zeit in Anspruch. Bis er abgeschlossen ist, gilt die Leihmutter als rechtmäßige Mutter des Babys, erhält die letzte Auszahlung für ihren Job noch nicht – und ist gleichzeitig in jeglicher Hinsicht verantwortlich für das Neugeborene.
Sicherheit Schwangerer hat Vorrang
Die internationale Leihmutterschaft und Deutschlands Umgang damit ist nicht erst ein Problem, seitdem Babys und Schwangere in Bunkern sitzen müssen. Der Krieg in der Ukraine wirft nur erneut ein Schlaglicht darauf. Die deutsche Argumentation, dass Leihmutterschaft wegen Frauenrechten und Menschenwürde verboten gehöre, wird unterlaufen durch die Tatsache, dass mittels Schlupflöchern zugelassen wird, die Praxis ins Ausland zu verlagern. Das ist scheinheilig. Ausbeutung bleibt auch dann Ausbeutung, wenn sie in der Ukraine stattfindet.
In der aktuellen Situation sollte die Sicherheit der schwangeren Frauen und der Neugeborenen aus der Ukraine Priorität haben. Ausnahmeregelungen müssen her: beispielsweise ein bürokratisch unaufwendiger und beschleunigter Adoptionsprozess, damit die austragenden Frauen nach Deutschland fliehen können.
Doch auch langfristig muss das Thema angegangen werden. Kommerzielle Reproduktion ist für viele ungewollt kinderlose Menschen die einzige vorstellbare Möglichkeit, ein biologisch eigenes Kind zu haben (wobei in der Ukraine das Beauftragen einer Leihmutter wohlgemerkt nur verheirateten heterosexuellen Paaren gestattet ist). Aber diese Möglichkeit hängt eben meist zusammen mit einem großen sozioökonomischen Gefälle zwischen Wunscheltern und Leihmutter, welches Ausbeutung begünstigt. Umso mehr, wenn das Geschäft mit Menschen aus ärmeren Regionen gemacht wird.
Den moralischen Fragen, die daran hängen, ist nicht aus dem Weg zu gehen. Könnte eine Lösung die altruistische, also unbezahlte Leihmutterschaft sein, wie sie die FDP fordert und wie sie in einigen europäischen Ländern wie Griechenland und den Niederlanden schon Alltag ist? Gibt es ein Recht auf ein genetisch eigenes Kind? Was braucht es, um Ausbeutungsverhältnisse zu verhindern? Wollen wir Menschen mit Gebärmutter wirklich vorschreiben, was sie mit ihrem Körper tun dürfen und was nicht?
Solchen Fragen der reproduktiven Gerechtigkeit muss eine Gesellschaft sich stellen. Sie muss sie in einer Debatte aufwerfen, in der alle Beteiligten zu Wort kommen; muss prüfen, welches Modell die Interessen aller berücksichtigt. Was sie nicht darf, ist, das Dilemma säuberlich outsourcen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
Verlierer der Wahlrechtsreform
Siegerin muss draußen bleiben
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören
Nach der Sicherheitskonferenz
Expressverbindung von München nach Paris