Lehrer-Verein für mehr Umweltbildung: Lernen, die Welt zu verändern
Die „Teachers for Future“ wollen Schüler:innen dabei unterstützen, die Probleme unserer Zeit zu lösen. Schulen müssten sich dafür radikal wandeln.
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Lara ist 17 Jahre alt und geht in die elfte Klasse. Zusammen mit knapp 100 Mitschüler:innen hat sie gerade den Dokumentarfilm „Dear Future Children“ von Franz Böhm gesehen. Darin geht es um drei junge Aktivistinnen aus Uganda, Chile und Hongkong, die für eine bessere Zukunft kämpfen – und sich dabei großen Gefahren aussetzen.
Der Film begleitet die Aktivistinnen von 2019 bis 2020. Pepper, die in Wahrheit anders heißt, geht in Hongkong gegen die Peking-nahe Politik der Regierungschefin Carrie Lam auf die Straße und riskiert dabei jedes Mal, von der Polizei zusammengeschlagen und für Jahre ins Gefängnis gesperrt zu werden.
Rayen aus Santiago protestiert gegen die extreme soziale Ungleichheit in Chile. Bei den Demos steht sie an vorderster Front, mit Gasmaske und Schutzbrille. Denn die Polizei geht mit Tränengas, Gummigeschossen und Wasserwerfern gegen die Demonstrant:innen vor. Hunderte Menschen, so erzählt es Rayen in der Doku, haben bei den Protesten ein Auge verloren, weil die Polizist:innen ihnen ins Gesicht geschossen haben.
Drei junge Aktivistinnen als Vorbilder
Lara, die Schülerin aus Leipzig, kann sich besonders mit Hilda identifizieren, der dritten Aktivistin. Hilda lebt in Uganda und kämpft dort gegen die Plastikverschmutzung und die fatalen Folgen der Klimakrise. Extreme Dürre und Überschwemmungen haben breite Landstriche Ugandas unbewohnbar gemacht – auch Hildas Heimatdorf, das sie deswegen mit elf Jahren verlassen musste.
„Hilda hat einen ganz prägnanten Satz gesagt, der sich tief in mein Gedächtnis eingebrannt hat“, sagt Lara. „Warum lernen oder studieren, wenn die Zukunft ungewiss ist?“ Dann fragt Lara mit ernster Miene: „Warum gehe ich zur Schule, wenn ich nicht weiß, wie die Welt in 20 Jahren aussieht?“
Der Verein Teachers for Future hat sich zur Aufgabe gemacht, Schüler:innen genau das beizubringen: die Zukunft mitzugestalten. „Wenn wir uns all die Missstände und Ungerechtigkeiten auf der Welt anschauen, dann brauchen wir Schulen, wo Schüler:innen lernen, sich gesellschaftlich einzumischen und die Welt zu verändern“, sagt die Vorsitzende Nora Oehmichen. Doch wie genau sieht eine solche Schule aus? Und wie bringt man Schüler:innen bei, die Welt zu verändern?
Nora Oehmichen, „Teachers for Future“
Oehmichen, 49, ist Lehrerin für Französisch, Geschichte und Ethik an einem Gymnasium bei Stuttgart. Im Juni 2021 hat sie den Verein Teachers for Future mit gegründet. Die Gruppe von knapp 30 Lehrer:innen will „Bildung für nachhaltige Entwicklung“, kurz BNE, stärker an Schulen etablieren. BNE ist ein Lernkonzept, das Schüler:innen dazu befähigen soll, die großen Probleme unserer Zeit – Klimakrise, Naturzerstörung, Artensterben, soziale Ungerechtigkeit – zu erkennen und sich dagegen einzusetzen.
„Es geht nicht darum, die Schüler:innen zu motivieren, ihren CO2-Fußabdruck zu verringern und auf Fleisch oder Flugreisen zu verzichten“, erklärt Oehmichen. Sie sollen lernen, wie sie etwas auf struktureller Ebene bewirken können – zum Beispiel, indem sie Petitionen starten, mit dem Bürgermeister sprechen oder Demos anmelden. „Eine Schule, die Schüler:innen wirklich etwas ‚fürs Leben‘ beibringen möchte, muss genau diese Kompetenzen vermitteln“, sagt die Lehrerin.
Dazu müsse Unterricht „komplett neu gedacht“ werden. Schüler:innen bräuchten viel mehr Freiräume, in denen sie sich mit Themen beschäftigen können, die sie für wichtig erachten, sagt Oehmichen, etwa mit Rassismus, Antisemitismus, Sexismus, psychischer Gesundheit oder eben der Klimakrise.
Keine Noten, keine Fächer am „Freiday“
Solche Freiräume könnten Schulen zum Beispiel schaffen, indem sie einen sogenannten „Freiday“ einführten. Der funktioniert so: „Einmal pro Woche werden vier aufeinanderfolgende Schulstunden von Fächern und Noten freigeräumt, in dieser Zeit können sich die Schüler:innen dann den Themen ihrer Wahl widmen.“
Grundsätzlich, sagt Oehmichen, müsse man sich von der Vorstellung festgelegter Lehrpläne lösen. Schüler:innen sollten selber mitbestimmen, was sie lernen. Bei BNE gehe es neben Unterrichtsinhalten aber auch und vor allem um Lehrmethoden. Die wichtigste Methode ist laut Oehmichen Projektarbeit, da Schüler:innen dabei Selbstwirksamkeit und Partizipation erlebten. Darüber hinaus solle Unterricht nicht nur im Klassenzimmer oder Schulgebäude stattfinden, sondern auch an „außerschulen Lernorten“.
Um BNE stärker ins Blickfeld der Schulen zu rücken, hat Oehmichen, die gerade ein Sabbatjahr macht, das Projekt „17/17 – Auf dem Weg zur Schule der Zukunft“ gestartet: Pro Bundesland besucht sie eine Schule und thematisiert dort jeweils eines der 17 Sustainable Development Goals (SDGs), der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen. In Sachsen war Oehmichen beispielsweise an Laras Gymnasium und hat die Doku „Dear Future Children“ gezeigt. Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand das UN-Ziel Nummer 16: Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen.
Die SDGs wurden 2015 von allen UN-Mitgliedstaaten verabschiedet und sollen bis 2030 erreicht werden – von den Industrieländern ebenso wie von den Entwicklungsstaaten. Übergeordnetes Ziel ist es, den Klimawandel aufzuhalten sowie Armut, Hunger und Ungerechtigkeiten zu verringern.
Die Institution Schule müsste sich radikal verändern
Oehmichen vertritt die Ansicht, dass die Mitgliedstaaten die SDGs nur dann erreichen können, wenn sich die Schulen radikal ändern und BNE die Basis des Lernens wird. „Es kann nicht sein, dass sich die Gesellschaft wandelt, die Schulen aber bleiben, wie sie sind“, sagt die Lehrerin.
Schaut man sich die Bildungspläne der Länder an, dann sieht man, dass im Bereich BNE in den vergangenen Jahren bereits einiges passiert ist. Nicht nur die Teachers for Future, auch die Kultusministerien wollen Demokratie- und Klimabildung an Schulen stärken – und machen das zu großen Teilen auch schon.
In Berlin zum Beispiel können Schulen Klimavereinbarungen mit dem Senat vereinbaren oder an einer jährlichen Klimakonferenz teilnehmen, wo Wissenschaftler:innen Workshops geben und gemeinsam mit Schüler:innen Projekte planen. Niedersachsen hat seine Schulen im Sommer 2021 per Erlass dazu verpflichtet, BNE systemisch in Unterricht und Schulkultur zu verankern – und das Modellprojekt „Zukunftsschulen“ gestartet. Dabei werden 65 Schulen fünf Jahre lang bei einem selbst erarbeiteten „Innovationsvorhaben“ mit dem Schwerpunkt BNE begleitet und wissenschaftlich unterstützt.
Auch in anderen Bundesländern ist BNE schon fest im Bildungsplan verankert, etwa in Baden-Württemberg, Bayern, Mecklenburg-Vorpommern oder Sachsen, wo die 17-jährige Lara zur Schule geht. Dort wurden die Lehrpläne zum Schuljahr 2019/2020 im Hinblick auf BNE und politische Bildung stark überarbeitet. Sowohl BNE als auch politische Bildung seien inzwischen „gelebte Bestandteile des Schulalltags“, teilt das sächsische Kultusministerium der taz mit. Auch andere Länder haben in den vergangenen Jahren die politische Bildung gestärkt – unter anderem, um die Bereitschaft zu erhöhen, sich für die Demokratie zu engagieren.
Nicht alle Lehrkräfte unterstützen die neuen Ideen
Fragt man jedoch Maria Kasparek, Laras Ethiklehrerin, wie gut BNE am Reclam-Gymnasium in Leipzig realisiert wird, hört sich das anders an: „BNE ist zwar in vielen Fächern immer mal partiell enthalten, aber da ist noch Luft nach oben.“ Kasparek würde sich wünschen, dass häufiger fachübergreifend unterrichtet und mehr Raum für „große Projekte“ geschaffen werde.
Derzeit diskutieren sie und ihre Kolleg:innen darüber, den „Freiday“ für die Klassenstufe fünf einzuführen. Schulleiterin Petra Seipel befürwortet die Idee. Wie hoch die Chancen für dessen Einführung stehen, könne sie aber noch nicht sagen. Viele Kolleg:innen sähen den Freiday kritisch, weil die Schulstunden einen „ganz anderen Ansatz“ hätten als der „traditionelle Unterricht“.
Nora Oehmichen von Teachers for Future kritisiert, dass BNE – obwohl es in einigen Bundesländern im Lehrplan verankert ist – oftmals nicht oder nicht ausreichend umgesetzt werde: „BNE wird nur an den Schulen realisiert, an denen engagierte Lehrer:innen unterrichten.“ Sie schätzt, dass mehr als die Hälfte aller Lehrer:innen und Schulleitungen in Deutschland noch nie etwas vom Lernkonzept BNE gehört hätten. Daher fordert die Pädagogin die Kultusministerien dazu auf, verpflichtende BNE-Fortbildungen für alle Lehrer:innen einzuführen und BNE im Lehramtstudium zu thematisieren.
„Wir gehen in unserer Freizeit sowieso auf Demos“
Lara und ihre Mitschüler:innen wünschen sich, im Unterricht mehr über „Ungerechtigkeiten unserer Zeit“ zu lernen und darüber, was sie als Schüler:innen dagegen tun können. Probleme wie die Klimakrise oder soziale Ungleichheit sollten aber nicht erst in den höheren Klassen thematisiert werden, sondern schon ab der ersten Klasse. „Wir beschäftigen uns in unserer Freizeit sowieso mit diesen Themen und gehen auf Demos, jüngere Schüler:innen tun das nicht“, sagt eine Klassenkameradin von Lara.
Die Doku „Dear Future Children“ habe sie dazu motiviert, von nun an „noch öfter“ demonstrieren zu gehen. Das seien sie den mutigen Aktivist:innen aus der Doku schuldig. „Wir müssen schließlich keine Angst davor haben, dass uns die Polizei unsere Augen zerschießt.“
Gelegenheit, ihre Vorsätze umzusetzen, hat sie schon diese Woche. Für Freitag haben die Fridays for Future wieder zu einem weltweiten Klimastreik aufgerufen. Lara und ihre Mitschüler:innen haben bereits entschieden, hinzugehen.
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