Laurie Penny über Feminismus & Bücher: „Utopien sind keine guten Storys“

Sie prägte den modernen Feminismus, jetzt schreibt sie auch Kurzgeschichten. Ein Gespräch über die Macht von Science-Fiction und das Vorbild-Sein.

Eine Frau mit kurzen Haaren steht vor einer Backsteinwand

Laurie Penny: „Es geht darum, dass alle Menschen gemeinsam daran arbeiten, eine bessere Welt möglich zu machen.“ Foto: Horst A. Friedrichs

taz: Frau Penny, wenn über Sie geschrieben wird, bekommen Sie oft den Zusatz „eine der wichtigsten Feministinnen unserer Zeit“ verliehen. Würden Sie das unterschreiben?

Laurie Penny: Wirklich? Also ich denke, dass ich nur in Deutschland so wahrgenommen werde. Das ist zwar eine große Ehre. Aber ich glaube auch, dass es gefährlich sein kann, gesagt zu bekommen, dass man etwas Besonderes sei. Vor allem dann, wenn es um Frauenpolitik geht.

Warum gefährlich?

Weil es ein beliebtes Mittel ist, uns Frauen zu schwächen, indem man uns gegeneinander aufbringt. Und das geschieht leicht, wenn man aus unseren Debatten einen Wettbewerb macht. So nach dem Motto: Wer ist die Beste? Glücklicherweise muss ich diesen Kampf gar nicht wirklich führen. Wenn ich zurück nach England gehe oder in die USA, wo ich eine Zeit lang gelebt habe, dann weiß dort niemand, wer ich bin.

Wie erklären Sie sich Ihren Erfolg in Deutschland?

Als ich im letzten Jahr nach Deutschland kam, um mein Sachbuch „Unsagbare Dinge“ zu bewerben, habe ich sofort gemerkt, dass in Deutschland etwas ganz anders war. Fast musste ich mich verhalten wie ein Celebrity. Ich würde sagen, ich war einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

Die Frau: Sie ist 29 Jahre alt, hat in Oxford Englische Literatur studiert. Als feministische Buchautorin, Journalistin und Bloggerin lebt sie in London.

Das Werk: Ihre Texte drehen sich vor allem um soziale Ungerechtigkeit, Popkultur, Gender- und Netzpolitik. Nach fünf Sachbüchern erscheint Anfang März ihr Kurzgeschichtenband „Babys machen und andere Storys“ (Edition Nautilus).

Ist das nicht ein bisschen zu bescheiden?

Finde ich nicht. Das war damals mein Gefühl. Ich ging zu all diesen Events und stellte fest, dass die Menschen im Publikum zwar auch meinetwegen gekommen waren, aber nicht nur. Sie wollten sich auch gegenseitig treffen, um über bestimmte Themen zu sprechen. Das war eine neue Herausforderung für mich, weil ich das Gefühl hatte, diesen Menschen plötzlich auch eine gute Show bieten zu müssen. Ich wollte die Verbindung zwischen ihnen herstellen und einen besonderen Moment schaffen.

Wie haben Sie das gemacht?

An der Uni habe ich Ballett und Pantomime belegt – und war in beidem nicht sonderlich erfolgreich. Aber diese Bühnenfertigkeiten habe ich bei meiner Promotour wieder ausgepackt. Es sollte nicht mehr nur um meine Ideen gehen, sondern jede Veranstaltung sollte ein Erlebnis werden. Vielleicht kann man das alles mit dem Hype um Roxane Gay und Lena Dunham in den USA vergleichen? Es ist niemals eine Person allein, die alle Ideen einer Generation ausspricht. Aber manchmal wird eine Person zu einem Symbol für diese Ideen.

Würden Sie also sagen, dass es in Deutschland an einer feministischen Identifikationsfigur gemangelt hat?

Ich denke, das Thema war in Deutschland lange Zeit von Personen besetzt, die einer anderen Generation von Feministinnen angehören, allen voran Alice Schwarzer. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Die Arbeit dieser Feministinnen war sehr wichtig. Aber es war eben keine junge deutsche Feministin zur Stelle, als mein Buch herauskam. Außerdem vermute ich, dass sich meine Texte in der deutschen Fassung aus irgendeinem Grund einfach sehr gut anhören.

Laurie Penny

Ich bin Anarchistin. Insofern stelle ich mir eine Zukunft vor, in der soziale, ethnische und Gendergleichheit herrschen.

Stimmt es, dass Sie planen, nach Deutschland zu ziehen?

Ich würde wahnsinnig gerne nach Deutschland ziehen! Für den Moment bleibe ich noch ein bisschen in London. Aber ich will bald rüberkommen. Es passiert so viel Aufregendes und Spannendes dort und Berlin ist einfach die internationale Stadt unserer Zeit; das, was London mal vor zehn oder fünfzehn Jahren war. In Berlin werden neue Ideen diskutiert und dort fühlen sich die Menschen frei genug, um eine neue Art der Politik zu machen.

Sie riefen mehrfach die Revolution der faulen Frauen aus. Wann lagen Sie zum letzten Mal faul auf der Couch und haben sich Fussel aus dem Bauchnabel gepult?

Das ist der klassische Fall, in dem ich zu Folgendem rate: Machen Sie das, was ich sage, nicht das, was ich tue. Ich arbeite die ganze Zeit. Aber ich versuche, besser auf mich achtzugeben und zumindest manchmal einen Tag freizunehmen. Letzte Woche habe ich sogar einen Ausflug aufs Land gemacht, wie ein ganz normaler Mensch! Ich denke, wenn man so eine getriebene Perfektionistin ist wie ich, sollte man sich zumindest ein paar Hobbys zulegen, in denen man absolut durchschnittlich ist. Deshalb spiele ich Gitarre. Darin werde ich nie besser als mittelmäßig sein, manche Akkorde fallen mir superschwer. Also spiele ich einfach keine Lieder, in denen diese Akkorde vorkommen. So macht es trotzdem Spaß.

Der erste Satz Ihres jüngsten Sachbuchs „Unsagbare Dinge“ lautete: „Das ist kein Märchen“. Nun bringen Sie einen Band mit Kurzgeschichten heraus, die zum Teil sehr märchenhaft wirken. Macht Ihnen Fiction mehr Spaß als Sachbücher?

Eigentlich nicht. Ich schreibe nun schon so lange journalistische Texte, dass mir das sehr leicht von der Hand geht. Fiction ist eine viel größere Herausforderung. Als Journalistin kommentiere ich ja in erster Linie. Da geht es darum, dass ich meine eigene Stimme finde, meine eigene Position. Fiction funktioniert genau andersherum. Man muss aus seinem eigenen Kopf rauskommen, andere Stimmen und Charaktere entwickeln.

Was reizt Sie daran?

Manche Dinge und Ideen kann man mit fiktionalen Geschichten einfach besser transportieren. Meine Geschichten sind ja eindeutig politisch. Ich möchte Teil sein von einer ganz neuen Bewegung von Schriftstellern, die sich im Netz etabliert hat. Stimmen, die im klassischen Literaturbetrieb gänzlich marginalisiert waren, sind nun im Netz in der Lage, ihre eigenen Gedankenwelten zu erschaffen. Außerdem bin ich einfach ein krasser Nerd. Ich liebe Science-Fiction.

Warum haben Sie keinen Roman geschrieben?

Ich schreibe gerade an einem Roman. Aber das ist ein viel größeres Unterfangen. Ich wollte erst mal herausfinden, ob ich das überhaupt kann. Ich habe immer geschrieben, schon als Kind. Bis ins Teenageralter bin ich auch immer davon ausgegangen, dass ich später Romanautorin werde. Das hat sich alles geändert, als ich unter einer Essstörung litt und deswegen ins Krankenhaus musste. Danach kam ich einfach nicht mehr ins fiktionale Schreiben rein, auch nicht, als ich mich wieder erholt hatte. Als dann einige Jahre später mein Vater sehr plötzlich verstarb, erschien mir die Politik plötzlich für einige Zeit so wahnsinnig irrelevant. Ich hatte keine Lust, mich damit zu befassen. Meine Trauer war zu tief. Also begann ich wieder Geschichten zu schreiben. Und siehe da: Ich konnte es noch. Und ich empfand es als sehr heilsam.

Inwiefern heilsam?

Wenn man Geschichten schreibt, ist man gedanklich freier, viel ungebundener. Ich habe sehr viele Follower . . .

Bei Twitter folgen Ihnen knapp 127.000 NutzerInnen . . .

. . . und die untersuchen jedes Wort meiner journalistischen Beiträge sehr genau. Das geschieht bei Fiction nicht so sehr. Das Schlimmste, was jemand über einen Roman sagen kann ist: Hat mir nicht gefallen.

In einer Ihrer Geschichten baut sich eine Ingenieurin ein mechanisches Baby, um Schmerzen bei der Geburt und eine mögliche postnatale Depression zu vermeiden. Können Roboter wirklich bei der Gleichstellung von Frauen helfen?

Die Anwendung von Wissenschaft und Technik können Genderfragen enorm weiterbringen, vor allem was Biologie und Fortpflanzung angeht. Eine Zukunft, in der Frauen Wissenschaftspolitik mitbestimmen können, wäre von großem Vorteil. Die meisten Menschen sagen ja, das Internet sei die wichtigste Erfindung des 20. Jahrhunderts. Aber mindestens genauso wichtig waren die Veränderungen in der Reproduktionstechnologie, also die Möglichkeit zu verhüten und abzutreiben. Dementsprechend stark sind nach wie vor die Widerstände dagegen, beispielsweise in den USA und in Irland. Und fiktionale Geschichten können bei diesem Thema möglicherweise einen größeren gesellschaftlichen Einfluss entfalten, als wenn man einfach nur seine Meinung sagt.

Sie sind nicht die erste feministische Autorin, die die biologischen Nachteile technisch lösen will.

Nein, natürlich nicht. Ich bin stark von anderen feministischen Science-Fiction-Autorinnen wie zum Beispiel von Marge Piercy beeinflusst. Und die Idee einer künstlichen Gebärmutter, mit deren Hilfe Frauen Kinder nicht mehr selbst zur Welt bringen müssen, hat die Autorin Shulamit Firestone schon 1970 aufgebracht. Das Spannende daran ist aber, dass das bis heute als völlig lächerliche Idee abgetan wird. Science-Fiction kann daran etwas ändern.

Glauben Sie wirklich?

Klar, nehmen Sie zum Beispiel „Star Trek“. Vieles von dem, was man dort sieht, war in den Sechzigerjahren, als die Reihe losging, völlig undenkbar und ist heute längst realisiert. Die ganze Mobiltelefontechnik zum Beispiel. Wieder andere Ideen, wie das Wirtschaftssystem, muten heute noch futuristisch an. Geld gibt es in „Star Trek“ nicht. Alles wird mithilfe von Replikatoren hergestellt. Niemand muss Hunger leiden. Aber darüber sprechen wir nicht.

Auf was wollen Sie hinaus?

Science-Fiction beeinflusst unsere Vorstellungskraft. Bislang betrifft das in erster Linie technische Innovationen. Dass zukünftig Roboter unsere Grundbedürfnisse befriedigen, können sich viele vorstellen. Das haben wir schon oft gelesen und gesehen. Aber eine Welt, in der Frauen nicht mehr mithilfe ihres Körpers Kinder zur Welt bringen müssen oder in der sie zentrale Positionen besetzten, kann sich kaum jemand vorstellen. Das sagt doch sehr viel.

Trotzdem muten Ihre Kurzgeschichten eher pessimistisch an. Mögen Sie Dystopien lieber als Utopien?

Nicht unbedingt. Aber ich mag keine Geschichten mit einfachem Ausgang. Utopien sind oft keine guten Storys, das zeigen auch die historischen Utopien. Eine gute Geschichte braucht Spannung und Hindernisse, die überwunden werden müssen. Das ist schwierig, wenn die Welt schon super ist.

Wir wüssten trotzdem sehr gern, wie Laurie Pennys Utopia aussieht.

Oh Gott! Darüber kann ich stundenlang reden.

Versuchen wir es mit der Kurzversion?

Ich bin Anarchistin. Insofern stelle ich mir eine Zukunft vor, in der soziale, ethnische und Gendergleichheit herrschen. Außerdem ist in dieser Zukunft die Idee des Allgemeinwohls verwirklicht. Das heißt, alle Ressourcen werden geteilt. Denn es ist ja so: Jede Idee, die ein Science-Fiction-Autor entwickelt, spiegelt seine politischen Einstellungen wieder. Und wenn man so wie ich davon überzeugt ist, dass eine Zukunft ohne den Grundsatz des Teilens nicht möglich ist, dann wird das mit einfließen. Noch vereinfachter gesagt, denke ich, dass Utopia die Suche nach Utopia ist.

Wie meinen Sie das?

Es geht nicht darum, eine perfekte Welt zu erreichen. Das ist ohnehin nicht möglich. Es geht darum, dass alle Menschen gemeinsam daran arbeiten, eine bessere Welt möglich zu machen. Im Moment ist die vorherrschende Idee nach wie vor eine kapitalistische Wachstumsvision, obwohl diese sich schon längst als Lüge herausgestellt hat. Trotzdem ist diese Vision die Grundlage unserer Träume. Also müssen wir eine neue Idee entwickeln, die sich davon unterscheidet.

In allen Ihren Kurzgeschichten ist die Hauptfigur weiblich. Und in den allermeisten Fällen geht es um das Verhältnis dieser Protagonistinnen zu ihrem Job. Warum?

Ich interessiere mich sehr für die Frage, inwiefern Arbeit unser Leben beeinflusst. Man kann nicht über Gender- und Machtfragen nachdenken, ohne über dieses Thema nachzudenken. Ich sitze gerade in der Jury für einen Buchpreis und muss daher sehr viele Romane lesen. Ein Trend ist, dass sich viele Autorinnen mit dem Thema Arbeit befassen. Früher sprach man nicht von Problemen im Arbeitsalltag und dem emotionalen Kampf, der damit verbunden ist.

Warum nun auch Sie?

Ich bin eine linke Autorin. Natürlich will ich über Geld und Wirtschaft sprechen. Ich arbeite zwar freischaffend, aber das war nicht immer so, und ich kenne eine Menge Leute, die nicht das Glück haben, einer Arbeit nachzugehen, die sie wirklich glücklich macht. Gleichzeitig bin ich aber der Meinung – und darüber streite ich oft mit meinen politischen Freunden –, dass es beim fiktionalen Schreiben in erster Linie darum geht, eine gute Geschichte zu erzählen, die die Menschen unterhält, statt ihnen die eigene Überzeugung mit aller Gewalt einzutrichtern.

Aber würden Sie sagen, dass gutes Schreiben auch politisch sein muss?

Nein. Allerdings ist Science-Fiction automatisch politisch. Auch schlechte Science-Fiction. Denn man stellt sich ja immer eine Zukunft vor, die Bezug zur Realität nimmt. Und auch wenn jemand über Emotionen und intime Beziehungen schreibt, ist das für mich politisch, einfach weil das Private politisch ist. Der Unterschied ist: Man muss beim Schreiben nicht zwingend eine These oder eine Agenda haben. Vielmehr glaube ich, dass es eher zu schlechtem Schreiben führt, wenn man währenddessen schon absolut sicher ist, was jeder Leser aus dem Werk herauslesen soll.

Tatsächlich? In einer Ihrer Geschichten beschreiben Sie eine Welt, in der Kobolde Wesen zweiter Klasse sind und von den Menschen diskriminiert werden. Das klingt schon ganz schön pädagogisch.

Ich denke nicht, dass Fiction pädagogisch sein sollte. Stattdessen sollte sie es den Menschen ermöglichen, sich selbst eine Meinung zu bilden. Deshalb scheue ich auch einfache Antworten. Diese spezielle Geschichte basiert in vielerlei Hinsicht auf meinen eigenen Erfahrungen. Deshalb geht es in der Geschichte auch um eine wichtige Prüfung in der Schule. Davon musste ich selbst endlos viele schreiben und ich habe eine sehr dezidierte Meinung dazu. Aber meine Meinung ist in diesem Fall nicht zentral. Ich schreibe ja keine Kolumne.

In einer anderen Geschichte erzählen Sie von einem Mann, der mithilfe einer Zeitmaschine in die Zukunft gereist ist. Die Vergangenheit, aus der er kommt, erscheint darin als ein gruseliger Ort. Empfinden Sie das Hier und Jetzt als so schlimm?

In meinen Augen ist die Vergangenheit im Vergleich zur Zukunft immer ein furchteinflößender Ort. Vor hundert Jahren waren Abtreibung und Homosexualität noch illegal. Frauen durften nicht wählen und man konnte an einer einfachen Entzündung sterben. Genauso gibt es eine Menge Dinge, die uns heute normal erscheinen, die die Menschen in ein paar Generationen aber zweifellos ungeheuerlich finden werden. Falls es dann noch Menschen geben wird.

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