piwik no script img

Laufzeitverlängerung bayerischer AKWs„Bayerische Probleme dort lösen“

Jürgen Trittin schaltet sich in die Atomdebatte ein. Laut BUND-Studie könnte eine Laufzeitverlängerung an den nötigen Sicherheitsprüfungen scheitern.

2009 durchlief das Kernkraftwerk Neckarwestheim seine bislang letzte Sicherheitsüberprüfung Foto: Ullrich Gnoth/imago

Berlin taz | Der Ton unter den Mitgliedern der Grünen wird angesichts der Atomdebatte rauer. Der frühere Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) hat jetzt im Spiegel die Haltung seiner Münchner Parteikollegen scharf kritisiert. Sie hatten sich offen gezeigt für einen Streckbetrieb, also eine um einige Monate verlängerte Laufzeit des Atomkraftwerks Isar 2. An Isar 2 ist auch die Stadt München beteiligt.

Trittin sagte dem Spiegel, er rate dazu, „dass dieses bayerische Problem in Bayern gelöst wird“. Bayern könne für Netzstabilität sorgen, indem es Strom spare. Gerichtet an seine Parteikollegin Katrin Göring-Eckardt, die sich ebenfalls offen für einen Streckbetrieb von Isar 2 gezeigt hatte, falls die Versorgung von Krankenhäusern gefährdet ist, sagte er: „Eine Familien- und Sozialpolitikerin sollte wissen, dass es in jedem Krankenhaus, und in den großen Münchener Kliniken sowieso, Notstromaggregate für plötzliche Stromausfälle gibt.“

Der Umweltpolitiker, der Architekt des ersten Atomausstiegs im Jahr 2000 war, sagte mit Blick auf den beginnenden Landtagswahlkampf in Niedersachsen, dort lösten Äußerungen zu längeren Atomlaufzeiten „genervtes Kopfschütteln“ aus. Er ist selbst Mitglied das niedersächsischen Landesverbands der Grünen.

Auch Angela Wolff, BUND-Expertin für Atom- und Energiepolitik, sprach am Mittwoch in einer Pressekonferenz des Umweltverbands davon, dass das bayerische Energieproblem angesichts des zähen Ausbaus der Windkraft im Freistaat „hausgemacht“ sei. Zudem verwies sie darauf, dass der Reaktor Isar 2 bislang zu einem großen Anteil mit Uran aus Russland und dem lange Zeit eng verbandelten Kasachstan beliefert wurde.

Die Meiler müssten schon längst gewartet werden

Oda Becker, Diplom-Physikerin und Expertin für Risiken von Atomanlagen, verwies im Rahmen der Pressekonferenz darauf, dass die Energieversorgungsunternehmen, welche die drei deutschen Reaktoren betreiben, einen Weiterbetrieb davon abhängig machten, dass der Staat als Betreiber einspringt. Das würde bedeuten, dass der Staat sowohl technisch als auch wirtschaftlich die Verantwortung übernimmt. Den Firmen selbst ist das Geschäft mit den alten Meilern offenbar längst zu heikel.

Zudem hält Becker es für fraglich, ob ein Weiterbetrieb aus Sicht der Anlagensicherheit überhaupt zustande kommen könnte. Die Periodische Sicherheitsüberprüfung (PSÜ) der drei noch laufenden Anlagen, die eigentlich alle zehn Jahre erfolgen muss, liegt inzwischen bis zu 13 Jahre zurück. Damit habe man auch das Europarecht bereits „weit gedehnt“.

Die letzten PSÜ seien noch auf Basis eines Regelwerks der frühen 1980er Jahre erfolgt – einer Anleitung also noch aus der Zeit vor Tschernobyl. Seit 2012 gelte ein neues technisches Regelwerk für die PSÜ. Strebe man eine Laufzeitverlängerung an, müssten diese neuen Regeln angewandt werden. Das könne in den Blöcken zu erheblichen Investitionen führen oder gar dazu, dass ein Weiterbetrieb ausscheide. Das große Problem der Debatte liege darin, so Becker, dass „Sicherheit keine objektivierbare Kenngröße“ sei, sondern immer von den Beurteilungskriterien abhänge.

Ähnlich kritisch sieht auch der Präsident des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung, Wolfram König, längere Laufzeiten für die drei verbliebenen Atomkraftwerke. Ihm fehle in der momentanen Debatte ein „zentraler Aspekt“: „Wichtigster Maßstab im Umgang mit der Hochrisikotechnologie Atomkraft ist und bleibt die Sicherheit“ sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Auch er verwies darauf, dass sich angesichts der fehlenden PSÜ der laufenden Meiler im Fall einer angestrebten Laufzeitverlängerung zahlreiche Fragen stellten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
  • „dass dieses bayerische Problem in Bayern gelöst wird“



    wie wahr, wie wahr ... aber das soll dann bitteschön auch für den Atommüll gelten.

    Und bei der Gelegenheit möchte ich kurz daran erinnern, dass die Regierung Merkel der Atomindustrie milliardenschwere Schadenersatzzahlungen vom Staat zugeschustert hat ...

  • Ich erwarte einen oberfaulen Kompromiss.

    Die Dinger werden weiterlaufen.

    — Der Staat wird die Verantwortung übernehmen



    — Betreiberfirmen werden Millionen kassieren.



    — Söder kommt mit seiner Blockadehaltung durch.

    Und wir alle kommen in Geiselhaft, denn bei einem Störfall sind wir die Doofen und dürfen dafür auch noch bezahlen.

    • @Phineas:

      Bei einem Störfall? Weit gefehlt.

      Mit zunehmendem Abbrand steigt der Anteil der Transurane (also der "Bösewichter") in den Brennstäben überproportional an.

      Wenn man Bombenplutonium herstellen will, ist das sicher erwünscht.

      Nicht aber, wenn man die Hinterlassenschaften später als Atommüll entsorgen muss.

      • @Bolzkopf:

        Guter Punkt!

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Man beachte Murphys Gesetzt. Was schiefgehen kann, geht schief.

  • 8G
    82286 (Profil gelöscht)

    Nimmt man den obigen Artikel zum Maßstab, nachdem die Kernkraftwerksbetreiber lieber heute als morgen die Dinger abstellen würden, muß man das politische Agieren solcher "Größen" wie Merz und Söder als zumindest verantwortungslos, wenn nicht sogar kriminell bezeichnen.



    Und auch Frau Katrin Göring-Eckardt hat als GRÜNE Politikerin wohl ihre beste Zeit hinter sich.

  • Es wird nach vermeintlichen Gründen gesucht, warum die Laufzeit nicht verlängert werden kann, um eine Entscheidung solange hinauszuzögern, bis der Zeitpunkt überschritten ist, zu dem die Laufzeitverlängerung spätestens eingeleitet werden müsste. Dann kann man hinterher sagen "wir hätten ja gerne, aber es war leider nicht möglich" und alle Schuld am Energiemangel und seinen katastrophalen Folgen von sich weisen.

    • @Pfennig:

      Die Schuld am Energiemangel haben die von der CDU (und desöfteren hintenrum von der CSU) geführten Regierungen incl. den unter Schröder (SPD) forcierten Ranwanzungen an einen immer mehr totalitär agierenden Obermacker und der defacto-Abhängigkeit eines wichtigen Energieträgers von jenem.



      Die Versorgungssicherheit durch die drei Blöcke (+ der zwokommafünf schon Eingemotteten) ist auch ned gewährleistet oder schauen "wir" bei (in der Vergangenheit gerne vertuschten größeren und kleineren) Störfällen genauso weg wie bei der Tatsache, daß die Dinger schon seit ca. 2009 auf Verschleiß laufen?!?



      Evtl. einfach mal (wenn ich diese Fremdsprache könnte, würde ich zumindest Links ) französischsprachige Artikel durchstöbern und da mal gucken, wie lange deren nicht unerhelblicher Teil in der Wartung ist...

  • Danke!



    Das musste mal gesagt werden.



    Ich bin der Diskussion müde und denke an All die MitstreiterInnen, die jahrelang im AKW Widerstand und gegen die Castortransporte aktiv waren.



    Es wäre ein Sakrileg der Linken, diesen erfolgreichen gesellschaftlichen Kampf abzuwerten und das Ergebnis umzukehren, weil man Angst vor kalten Füßen hat.

    Es ist schon interessant: in einem Nachbarland fürchten Menschen um Ihr Leben und hierzulande, ob man die Bequemlichkeit wirklich um ein Grad einschränken kann oder sogar muss (dass wir was müssen müssten erscheint einigen offenbar skandalös!)

    Die Gefahr eines GAU s wird, insbesondere durch die fehlenden Kontrollen der letzten Jahre, heruntergespielt,



    die Bequemlichkeit ist offenbar höher zu bewerten.



    Die Gefahr eines, sich auf uns ausweitenden militärischen Konflikts wird ignoriert.



    Es ist noch nicht lange her, da sorgten wir uns um Ukrainische AKWs in der Kriegsregion.



    Auch diese Gefahr wird ausgeblendet.



    Vielleicht kann man allmählich zu wesentlichen Fragen und sinnvollen Antworten zurückkehren -



    IHR WARMDUSCHER!

    • @Philippo1000:

      Ihr Wort in Gottes Gehörgang!

      Aus meiner Sicht dürfen wir die Gefahr eines tagelangen Stromausfalls nicht unterschätzen. Bei uns läuft ohne Strom nämlich nichts mehr:



      - keine Heizung



      - kein Kühlschrank



      - nur Dieselloks



      - kein Telefon, kein Internet



      - keine Tankstellen (Pumpen elektrisch betrieben)



      - ...



      Und wenn uns wegen Stromausfall an einem richtigen Frosttag grossflächig die Heizungsrohre kaputtfrieren, sind die Heizungsbauer auf die nächsten 20 bis 30 Jahre ausgelastet...

      Eigentlich war seit dem 24.2. üppig Zeit, alle sicherheitsrelevanten Überprüfungen und Nachrüstungen durchzuführen. Schade, dass da noch nichts passiert ist.



      Ferner sind die Energieversorger nicht die Heilsarmee, sondern Wirtschaftsunternehmen und ihren Eigentümern verpflichtet. Die haben mit ihrem Geld besseres vor, als für ein paar Monate mehr Laufzeit richtig viel Geld in Prüfung und Nachrüstung zu investieren. Die würden vielleicht 3 oder 5 Jahre Weiterbetrieb fordern, damit sich das lohnt, selbstcwenn jetzt technisch alles in bester Ordnung ist. Kurzfristig Geld verbrennen kann sich nur der Staat leisten.

      Und wenn Wladi uns nuklear verseuchen will, ist es doch egal, ob er uns eine konventionelle Granate in ein KKW ballert oder uns gleich eine nuklware schickt. Etwas mehr Gelassenheit in dieser Angelegenheit, bitte. Es ist gefährlich, aber wir können es weder so noch so verheben.

      • @Carsten S.:

        Sie haben durchaus recht - ohne Strom geht nichts. Was aber an der ganzen Debatte zum Kotzen ist: Die Verlängerungsfreunde Argumentieren munter mit Notwendigkeiten, die sie selbst mittels einer Energiepolitik geschaffen haben, die den Fluchtweg eines Hasen im Tempo einer Schnecke zurücklegt. Ein bisschen weniger Verlogenheit von Seiten der CDU wünscht man sich schon.