Mexiko-Bild von Netflix-Produktionen: Klischee und Wirklichkeit zugleich

Ein Land funktioniert und ist doch von Gewalt geprägt: Mexiko. Das thematisiert der Streaming-Anbieter Netflix in Fiktion und dokumentarischen Filmen.

3 Frauen halten Plakate mit Proträts des getöteten Ruben Espinosa

Gedenken an den getöteten Ruben Espinoza in Mexico Stadt 2016 Foto: Zuma/imago

War es die Mafia? War es die Regierung? Ging es um Prostitution und Drogen oder darum, Kritiker eines Politikers auszuschalten? Bien­venido en México – Willkommen im Land der Morde, des Verschwindenlassens und der Feminizide. Auch der neueste Netflix-Dokumentarfilm über Mexiko, „Am helllichten Tag: Mord in Navarte“, beschäftigt sich wieder mit Hinrichtungen, fragwürdigen Staatsanwälten und korrupten Politikern. Und mit verfolgten Journalisten.

Man könnte Netflix und auch uns Korrespondenten vorwerfen, ein Klischee zu schaffen, da es Mexiko oft von seiner schlechtesten Seite zeigt. Schließlich hat das Land Schöneres zu bieten: freundliche Menschen, traumhafte Strände, feines Essen, gutes Kino und spannende Literatur. Urlauber wundern sich manchmal über das Bild, das Journalistinnen und Filmemacher von Mexiko zeichnen.

Doch genau darin liegt das Unverständliche: Das Land scheint zu funktionieren. Es finden demokratische Wahlen statt, die Busse fahren pünktlich und das Strandleben ist von dem auf den Kanaren nur begrenzt zu unterscheiden. Selten erleben Außenstehende, dass hier Krieg herrscht, Gewalt den Alltag bestimmt und Korruption das politische Leben definiert. Auch wenn die Zahlen keine Zweifel lassen: Jeden Tag sterben fast hundert Menschen eines gewaltsamen Todes.

Natürlich inszeniert Netflix mit Glamour-Filmen wie „Narcos: Mexiko“ eine Mafia-Romantik, die mit dem Leiden der Kriminalitätsopfer nichts zu tun hat. Doch zugleich veröffentlicht der Online-Anbieter erstaunlich viele Produktionen, die die furchtbaren Verhältnisse auf den Punkt bringen: Spielfilme wie „Noche de fuego“, der den Frauenalltag in einer Opium anbauenden Gemeinde aufzeigt, oder Dokumentarfilme wie der über die Ermordung der Aktivistin Marisela Escobedo, die die Mörder ihrer Tochter vor Gericht bringen wollte.

Der Autor ist taz-Korrespondent in Mexiko.

Im August veröffentlichte Netflix die lohnenswerte Dokumentation „Der Fall Florence Cassez“ – die Geschichte einer Französin, die mehrere Jahre hinter Gittern saß und nur durch die Intervention der französischen Regierung einer 60-jährigen Haftstrafe entging. Mexikos Regierung brauchte Erfolge gegen die Kriminalität und ging gegen eine Bande vor, von der nie bewiesen wurde, dass es sie je gab.

Die Schranken der Ermittler

Und nun also die Morde in Navarte, einem Viertel in Mexiko-Stadt. Dort wurden 2015 in einer Wohnung die Aktivistin Nadia Vera, der Fotojournalist Rubén Espinosa, die Haushälterin Alejandra Negrete sowie Mile Martín und Yesenia Quiroz ermordet. Espinosa und Vera sind aus dem Bundesstaat Veracruz geflüchtet, weil sie dort von Häschern des Gouverneurs Javier Duarte verfolgt wurden.

Martín und Quiroz waren möglicherweise als Sexarbeiterinnen tätig, was den Strafverfolgern die Rechtfertigung dafür bot, nur hinsichtlich eines Drogenhintergrunds zu ermitteln. Drei Killer wurden verhaftet, die Hintermänner blieben unentdeckt. Obwohl Duarte wegen Geldwäsche und kriminellen Verbindungen verurteilt und Espinosa ständig bedroht wurde, schlossen die Ermittler dessen journalistische Arbeit als Tatmotiv aus.

Es folgte das, was man in Mexiko so gut kennt: Ein Netzwerk um die Verhafteten wurde nicht weiter untersucht, die Anwälte erhielten erst Jahre später wichtige Videomitschnitte der Tatnacht, Akten verschwanden. Espinosas Kolleginnen und Kollegen zweifeln nicht daran, dass er wegen seiner kritischen Fotos getötet wurde.

Der Film zeigt deutlich auf, dass Espinosa und Vera verfolgt wurden, Interviews mit den beiden vor ihrer Ermordung unterstreichen das. Sogar Duarte kommt zu Wort. Und natürlich die Angehörigen. „Ich bin Rubén Espinosa dankbar, denn wenn er an diesem Tag nicht da gewesen wäre, wäre meine Tochter nur ein Fall toter Frauen mehr“, sagt die Mutter von Yesenia Quiroz. Tatsächlich wurden die Morde nur weiter verfolgt, weil Journalisten Druck gemacht haben. Nichts könnte die Verhältnisse Mexikos besser beschreiben. Klischee hin oder her.

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Wolf-Dieter Vogel, Jahrgang 1959, ist Print- und Radiojournalist sowie Autor. Er lebt in Oaxaca, Mexiko. Seine Schwerpunkte: Menschenrechte, Migration und Flucht, Organisierte Kriminalität, Rüstungspolitik, soziale Bewegungen. Für die taz ist er als Korrespondent für Mexiko und Mittelamerika zuständig. Er arbeitet im mexikanischen Journalist*innen-Netzwerk Periodistas de a Pie und Mitglied des Korrespondentennetzwerks Weltreporter.

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