Langzeitfolgen der Corona-Infektion: Herzkrank durch Longcovid
Jeder achte Coronapatient leidet unter Post- oder Longcovid. Mittlerweile werden über 200 Symptome genannt, die auftreten können.
Eigentlich hätte sie bei der diesjährigen EM dabei sein sollen, doch jetzt ist für Steffi Kriegerstein Schluss: Die 29-jährige Kanu-Olympiazweite aus Dresden beendet ihre Karriere. Wegen Long/Postcovid. Die Erkrankung kam im Anschluss an eine Infektion im Dezember 2020 und hat ihr die Rückkehr in den Leistungssport unmöglich gemacht. Bei jeder Belastung bekomme sie Müdigkeit, Schwindel und Kopfschmerzen, so Kriegerstein. Das Herz-Lungen-Volumen sei dramatisch zurückgegangen, ihr Herz regelrecht „geschrumpft“.
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Herzkrank durch Long/Postcovid – für Thomas Vogtländer, dem Vorsitzenden der Deutschen Herzstiftung, ist das keine Überraschung. „Nach den Erfahrungen der letzten zwei Jahre ist das Herz auch über den akuten Infekt hinaus gefährdet, einen Schaden davonzutragen“, so der Kardiologe. Dies belegt eine kürzlich publizierte Studie aus den USA. Demnach haben ehemals Covid-Infizierte nach einem Jahr ein um 70 Prozent erhöhtes Risiko für eine Herzinsuffizienz im Vergleich zu Nichtinfizierten.
Die Forscher von der Washington University in St. Louis warnen, dass man nach einer Infektion unbedingt „die kardiovaskuläre Gesundheit“ im Blick behalten sollte. Was sicherlich gut gemeint ist. Aber in Anbetracht der Komplexität und Ausmaße von Post/Longcovid gibt es noch viele andere Dinge, auf die man eigentlich achten müsste. So viele, dass es in der Praxis kaum umsetzbar ist.
Denn mittlerweile werden im Zusammenhang mit der Erkrankung über 200 Symptome genannt. „Und die können – von Individuum zu Individuum – in unterschiedlichen und phasenweise wechselnden Konstellationen auftreten“, betont Bernhard Schieffer vom Uni-Klinikum in Marburg. Der Kardiologe leitet dort die interdisziplinäre Postcovid-Ambulanz, die derzeit – genauso wie die rund 100 anderen Ambulanzen in Deutschland – einen kaum noch zu bewältigenden Ansturm von Patienten erlebt.
Die Medizin spricht vom Longcovidsyndrom, wenn die Beschwerden länger als 4 Wochen anhalten.
Um Postcovid handelt es sich, wenn die Symptome länger als 12 Wochen anhalten.
Beide werden oft als Long/Postcovid zusammengefasst. Bei Beschwerden über einem halben Jahr wird oft auch vom Chronischen-Covid-Syndrom gesprochen, in Anlehnung an das Chronic Fatigue Syndrom.
Die von ihnen berichteten Symptome reichen von Herzrasen, Kreislaufbeschwerden und Brustschmerzen über Husten und Atemnot bis zum „Brain Fog“, also dem berüchtigten „Nebelhirn“ sowie chronischer Abgeschlagenheit und Erschöpfung.
„Wir sehen derzeit zunehmend Patienten, bei denen es 14 oder sogar 18 Monate nach der Infektion zu Symptomen kommt, die wir vom Chronischen-Fatigue-Syndrom, CFS, kennen“, so Schieffer. „Sie kommen nicht mehr aus dem Bett, fühlen sich dauernd matt erschlagen – und selbst nach längerem Schlaf nicht erholt.“
Laut einer aktuellen Studie aus den Niederlanden wird nach einer Infektion von acht Patienten einer zum Long/Postcovidfall. Über die Ursachen wird unter Wissenschaftlern noch debattiert.
Ein heißer Kandidat ist die Überlastung des Immunsystems. Forscher der Yale School of Medicine haben bei einem „Immun-Profiling“ von Long/Postcovidpatienten nur halb so hohe Cortisolwerte wie bei gesunden Menschen gefunden. „Die Nebennieren mit ihren entzündungshemmenden Hormonen gehen hier offenbar in die Knie“, erläutert Schieffer.
Entzündungen nachweisbar
Es könnte erklären, warum bei Long/Postcovidpatienten so oft das Entzündungsgeschehen aus dem Ruder läuft – und man bei ihnen immer wieder Antikörper auf das Eppstein-Barr-Virus findet. Dieser Erreger taucht gerne im Gefolge von schweren Infekten und einem gestressten Immunsystem auf, und im Zusammenhang mit Chronic Fatigue.
Auch eine Autoimmunreaktion, dass sich also die Immunabwehr – nachhaltig irritiert durch den Kampf mit dem Virus – gegen den eigenen Körper richtet, wird als Hauptursache von Long/Postcovid diskutiert. „In jüngerer Zeit geben aber Untersuchungen per Massenspektrometrie deutliche Hinweise auf Viruspartikel, die sich in den Zellen und Organen gehalten haben“, so Schieffer. Sars-CoV-2 vermag sich also offenbar dauerhaft im Körper festzusetzen. „Doch das muss nicht die Hauptursache für die Beschwerden sein“, betont Schieffer. Außerdem könnte man die Viruspartikel im Rahmen der Routinediagnostik gar nicht messen.
Über die Risikofaktoren von Long/Postcovid wird ebenfalls debattiert. So spielt der Schweregrad der ursprünglichen Infektion offenbar keine Rolle. Wer einen mäßigen Verlauf hatte, kann am Ende genauso Post/Longcovid bekommen wie jemand, der richtig gelitten hat; und dieser kann sogar umgekehrt völlig von der Folgeerkrankung verschont bleiben. Dementsprechend bietet auch die Impfung, die ja vor schweren Infektionsverläufen schützt, keinen zuverlässigen Schutz von Post/Longcovid. In Einzelfällen kann sie, wie man mittlerweile weiß, sogar selbst zu dieser Erkrankung führen.
Im Hinblick auf das Alter ist es paradoxerweise so, dass Long/Postcovid gerade jüngere Menschen im Alter von 15 bis 40 Jahren trifft, obwohl die bei den Risikogruppen für die akute Infektion keine Rolle spielen. Und Frauen sind häufiger betroffen als Männer, das Verhältnis liegt bei 3 zu 1. „Wir kennen aber nicht die Gründe für diesen Unterschied.“, so Schieffer.
Ebenso vielfältig wie das Krankheitsbild sind die mittlerweile angebotenen Therapien für Post/Longcovid. Zu ihnen gehört Vitamin D, dem ein internationales Forscherteam in einer aktuellen Studie bescheinigt, aufgrund seiner immunmodulierenden Eigenschaften bei Long/Postcovid helfen zu können. Und Vitamin C zählt für Karin Kraft, der Leiterin des Naturheilkunde-Lehrstuhls an der Universität Rostock, zu den „geeigneten Behandlungsoptionen“, weil es nicht nur Entzündungen hemmt und die Blutgefäße stabilisiert, sondern sich auch schon in der Therapie von Chronic Fatigue bewährt hat. Insgesamt fehlen zu beiden Vitaminen die klinischen Studien, aber das gilt ohnehin für die meisten Therapievorschläge bei Long/Postcovid, insofern es diese Erkrankung ja noch nicht lange gibt.
Die sogenannte Plasmapherese – ein spezielles Verfahren der Blutwäsche – hat es zwar schon in die interdisziplinären Leitlinien geschafft, mit dem Ziel, Patienten mit einem hohen Autoantikörper-Spiegel zu helfen. „Doch sie funktioniert manchmal nur für drei Wochen, und manchmal auch gar nicht“, warnt Schieffer. Ganz zu schweigen davon, dass die Blutwäsche rund 10.000 Euro kostet, die von den gesetzlichen Krankenkassen nicht erstattet werden.
Deutlich preiswerter sind da schon die Antihistamine. Sie können jenen Long/Postcovidpatienten helfen, die auf dem Boden ihres Entzündungsgeschehens starke Allergien entwickelt haben. Generell empfiehlt Schieffer, sich in der Therapie am individuellen Krankheitsbild zu orientieren, ob also beispielsweise allergische, pneumologische oder kardiologische Symptome dominieren. Dann bestünden durchaus realistische Chancen auf eine Erholung von der Krankheit. „Wir haben in Marburg rund 500 Patienten betreut, und davon haben nahezu alle eine signifikante Besserung erlebt.“ Bis dahin können jedoch Monate vergehen.
„Und wenn man die Patienten in dieser Zeit, wie es leider immer noch vorkommt, als psychiatrische Fälle oder sogar als eingebildete Kranke einstuft“, so Schieffer, „wird sich ihre Genesung noch einmal in die Länge ziehen“.
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