Landtag in Thüringen konstituiert: Eine Fraktion gegen den König
Nach dem Verfassungsurteil hat das Parlament zügig einen Präsidenten gewählt: Thadäus König (CDU). Doch die Sitzung zeigte, für ihn wird es schwer.
König erklärte, nach vorne zum Mikrofon gebeugt: „Es ist mir eine Freude und Ehre, in den kommenden fünf Jahren der Präsident des Thüringer Landtags zu sein.“ Er stehe nicht über den anderen Abgeordneten, sei einer von ihnen, sagte der 42-Jährige. „Aus gegebenem Anlass möchte ich deutlich betonen, der Präsident in diesem Saal muss den Austausch zwischen den streitenden Abgeordneten unparteiisch sicherstellen.“ Beifall kam von CDU, SPD, BSW und der Linken. Die AfD-Fraktion hörte hingegen ungerührt zu.
König erinnerte in seiner Rede auch an die Schrecken der NS-Diktatur, an die mahnenden KZ-Gedenkstätten in Thüringen. „Ihnen gilt unser ehrendes Andenken.“ Applaus von allen Fraktionen, außer der AfD. Als Thüringer sei er außerdem denen dankbar, fährt König fort, die „die SED-Diktatur zum Einsturz gebracht haben“. Auch da applaudiert nur die AfD nicht.
Immer wieder betonte der Landtagspräsident in seiner Antrittsrede, er wolle vermitteln, ein Präsident für alle sein, Respekt vor einander fördern. Ein hoher Anspruch – spätestens seit der turbulenten ersten Sitzung zwei Tage zuvor.
Verfassungsgerichtshof gibt CDU recht
Das erste Zusammentreten der neugewählten Abgeordneten am Donnerstag war von wilden Wortgefechten geprägt. Es ging um Geschäftsordnungsanträge und das Verhalten des Alterspräsidenten Jürgen Treutler (AfD). Als ältester Abgeordneter bekam der 73-Jährige das Amt und leitete die Sitzung. Dabei hielt er eine Rede, ganz im Sinne seiner Partei, entzog Abgeordneten das Wort, und ließ Abstimmungen nicht zu.
Hintergrund des Konflikts: Laut der bis dahin gültigen Geschäftsordnung durfte zunächst nur die größte Fraktion vorschlagen, wer Landtagspräsident:in werden soll. Seit der letzten Landtagswahl am 1. September ist das in Thüringen die AfD.
Allerdings: Die anderen Parteien hatten angekündigt, keine:n Kandidat:in der rechtsextremen Fraktion zu wählen. Stattdessen reichten CDU und BSW einen Antrag ein, um die Geschäftsordnung so zu ändern, dass von Beginn an alle Fraktionen Vorschläge machen können.
Doch Jürgen Treutler ließ es nicht zur Abstimmung kommen. Er wehrte schon vorher einen anderen Antrag ab, der auch die Geschäftsordnung ändern sollte. Das dürfe der Landtag erst, behauptete Treutler mit kräftiger Unterstützung der AfD-Fraktion, nachdem er eine:n Landtagspräsident:in gewählt habe. Die anderen Fraktionen hielten dagegen.
Nach vier Stunden kündigte die CDU an, vor den Thüringer Verfassungsgerichtshof zu ziehen, weil der Alterspräsident die Rechte von Abgeordneten, der Fraktionen und des Parlaments verletzt habe. Am späten Freitagabend gab der Thüringer Verfassungsgerichtshof der CDU inhaltlich in allen Punkten recht.
Zuvor hatte sich Björn Höcke, der Thüringer AfD-Chef, in einem kurzen Video zuversichtlich gezeigt. Seine Partei müsse eigentlich recht bekommen. Doch ob die Richter:innen unparteiisch urteilen würden, daran zweifle er. Einen Tag später, als der Beschluss vorlag, kritisierte Höcke in einem zweiten Video: Der Beschluss des Verfassungsgerichtshofs enthalte Falschbehauptungen und breche mit der Tradition, aber die AfD werde ihn akzeptieren.
Doch trotz der Inszenierung Höckes: überrascht hat es die AfD offenbar nicht, dass die CDU den Verfassungsgerichtshof anrufen würde. In einem kurzen Interview mit dem AfD-nahen Medium Deutschlandkurier gab Alterspräsident Jürgen Treutler an, man wisse ja nie, wie Gerichte entscheiden, „aber es war tatsächlich Strategie, dass die CDU nach Weimar geht.“ Die AfD hatte mal wieder die Opferrolle anvisiert und ausgespielt. Das zeigte sich auch am Tag nach dem Beschluss.
AfD in der Opferrolle
Die Stimmung am Samstagmorgen, als der Thüringer Landtag seine konstituierende Sitzung fortsetzte, war eine andere. Es war ruhiger. Wieder saß Treutler vorne am Tisch der Sitzungsleitung, klingelte zur Eröffnung und las sogleich vor, was der Verfassungsgerichtshof entschieden hatte. Wort für Wort betonend, endete Treutler: „Ich werde mich an diesen Beschluss halten.“
Dann ging es ganz schnell. Treutler benannte Schriftführer:innen, die zählten die Namen der 88 Abgeordneten auf, um festzustellen, ob der Landtag beschlussfähig ist. Fast alle antworteten mit „Ja“ oder „Hier“. Nur Bodo Ramelow (Linke), der bisherige Ministerpräsident, sagte „anwesend“ und ein Abgeordneter war abwesend. Innerhalb von 45 Minuten beschloss der Landtag die neue Wahlordnung, kurz darauf stand die Wahl an.
Wie Mitte September angekündigt, stellte die AfD Wiebke Muhsal auf. Die 38-Jährige hatte bei der Landtagswahl für Aufsehen gesorgt, weil sie im Wahlkreis Saale-Holzland II mit 38,9 Prozent gegen den CDU-Spitzenkandidaten Mario Voigt das Direktmandat gewonnen hat. Aber für die demokratischen Fraktionen im Landtag war die Aufstellung von Muhsal aus anderen Gründen eine Provokation.
Als Muhsal von 2014 bis 2019 das erste Mal Abgeordnete war, betrog sie den Thüringer Landtag und wurde rechtskräftig zu einer Strafe von 8.000 Euro verurteilt. Sie hatte einen Arbeitsvertrag vordatiert und so unrechtmäßig Geld für eine Mitarbeiterin kassiert.
Für die CDU kandidierte Thadäus König. Er wurde 2019 Mitglied des Parlaments und gewann zuletzt das Direktmandat im katholisch geprägten Eichsfeld. Schon vor der konstituierenden Landtagssitzung hatten alle Fraktionen außer der AfD bekundet, für ihn stimmen zu wollen.
Etwa zehn Minuten nach der Wahl gab dann Jürgen Treutler bekannt: Thadäus König hat die Wahl gewonnen. „Nehmen Sie die Wahl an?“, fragte er und König antwortete: „Ja, sehr gerne.“
Als erster gratulierte Bodo Ramelow mit einem Blumenstrauß, dann der Alterspräsident Jürgen Treutler, dann Björn Höcke und Wiebke Muhsal. Erst danach gab Mario Voigt, der CDU-Fraktionsvorsitzende, König die Hand und für den CDU-Geschäftsführer Andreas Bühl gab es eine Umarmung.
Im Plenarsaal bildeten die Abgeordneten eine Schlange, um nacheinander den neuen Landtagspräsidenten zu beglückwünschen. Thorben Braga, parlamentarischer Geschäftsführer der AfD, reihte sich ganz hinten in die Reihe ein und gratulierte als letzter. Die übrige AfD-Fraktion blieb geschlossen sitzen. Warum? Auf taz-Anfrage antwortete Stefan Möller, Co-Vorsitzender der AfD in Thüringen: „Ich kann niemandem gratulieren, der meine Kollegen und mich demütigt und herabwürdigt.“
Im weiteren Verlauf der Sitzung verharrte die AfD-Abgeordneten fast regungslos auf ihren Plätzen. Vielleicht erzählt Jürgen Threutler demnächst beim Deutschlandkurier, welche Strategie dahinter steckte. (Mitarbeit Gareth Joswig)
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