Landschaftsarchitektin über Versiegelung: „Städte als Nationalparks“

Die Landschaftsarchitektin Antje Stokman findet, dass sich das Bauen und die Flächenschonung vereinbaren lassen, sofern man intelligent vorgeht.

Modell des Bunkers mit Bäumen auf dem Dach

Soll eine grüne Oase werden: Modell des Feldstraßenbunkers in Hamburg Foto: Planungsbüro Bunker/dpa

taz: Frau Stokman, muss man den Bau von Einfamilienhäusern verbieten, wenn man dem Flächenfraß Einhalt gebieten will?

Antje Stokman: Grundsätzlich ist die Frage, was man überhaupt mit Einfamilienhäusern meint. Es gibt ja ganz unterschiedliche Typologien und es geht eher um die Frage: Wie kann man flächensparend bauen und trotzdem den Wunsch nach einem eigenen Garten, nach Freiraum, einem eigenen Eingang und baulichen Gestaltungsmöglichkeiten erfüllen?

Aber wir dürften doch über kurz oder lang gar nichts mehr zubauen, wenn der Flächenverbrauch bis 2050 auf null heruntergefahren werden soll, wie es der Klimaschutzplan der Bundesregierung vorsieht.

Deshalb muss es darum gehen, Flächen innerhalb der Stadt, die schon bebaut sind, im Sinne einer Flächenkreislaufwirtschaft zu transformieren – also zu schauen, wie man diese umbauen, umnutzen, die Stadt nach innen weiterbauen kann anstatt nach außen. Aber das ist nicht das, was im Moment passiert: Es ist einfacher, am Stadtrand auf landwirtschaftlich genutzten Flächen zu bauen.

Ist das Wohnen überhaupt der größte Flächenfresser?

Der Flächenverbrauch entsteht nicht ausschließlich durch die Bebauung, sondern insbesondere durch die Erschließungs- und Straßenflächen – je weniger dicht die Bebauung, desto größer der Erschließungsaufwand. Letztendlich brauchen wir neue Modelle des flächensparenden Planens und Bauens als Beitrag zum umweltgerechten Wohnen. Ich bin gerade beteiligt an einem Projekt für die neue Gartenstadt Öjendorf. Da war für uns als Architekten die Herausforderung, wie man zu Reihenhaustypologien kommen kann, die dicht sind, die aber trotzdem mit eigenen Gärten einen Bezug zum Grün herstellen – und diese mit Mehrfamilienhäusern zu mischen, für deren Be­woh­ne­r*in­nen innerhalb des Quartiers auch vielfältige Möglichkeiten des Gärtnerns angeboten werden: Mie­te­r*in­nen- und Gemeinschafts­gär­ten, Pflückgärten, Ackerparzellen, …

Wenn es nach dem Vertrag für Hamburgs Grün geht, den der Nabu mit dem Senat und der Bürgerschaft geschlossen hat, dann müsste für alles, was dort entsteht, irgendwo anders in der Stadt Fläche entsiegelt werden.

Genau. Der Vertrag sieht vor, dass innerhalb des sogenannten Zweiten Grünen Ringes der Anteil an Grünflächen erhalten bleibt. Wenn Flächen überbaut werden, müssen innerhalb der gebauten Stadt neue Freiflächen geschaffen oder vorhandene Freiflächen aufgewertet werden. Aber es gibt natürlich auch Stadtentwicklungsprojekte außerhalb des Zweiten Grünen Ringes. Oberbillwerder zum Beispiel ist ein komplett neuer Stadtteil, der in einem landwirtschaftlich genutzten Gebiet entwickelt wird. Insofern sind wir nicht so weit in Hamburg, dass das Bauen auf der grünen Wiese überhaupt nicht mehr möglich wäre.

Noch mal: Ist es nicht so, dass es eigentlich nicht mehr möglich sein sollte?

Das ist ein Aushandlungsprozess. Irgendwo müssen die Leute ja wohnen und das hat immer damit zu tun, dass Grünflächen verloren gehen. Man muss aber mit den Freiräumen sparsam umgehen. Das geht nur durch eine Verdichtung und Konzentration in den schon bebauten Gebieten. Das heißt auch, man muss Freiräume verdichten, indem man sie qualitativ aufwertet. Das Gleiche gilt für die Gebäude, deren Dächer und Fassaden begrünt werden sollten. Es ergibt keinen Sinn, Gebäude von vornherein gegen das Grün auszuspielen. Die größte Möwenkolonie in ganz Hamburg brütet auf dem Dach einer Logistikfirma. Wir müssen es schaffen, dass die Städte die Nationalparks der Zukunft werden, in denen die Dachflächen als soziale Räume und Lebensräume für Tiere zugänglich und miteinander vernetzt sind. Das ist eine Form von Nutzungsintegration, die wir denken müssen. Bebauung muss dazu dienen, Lücken im Freiraumverbund und im Biotopnetz zu schließen.

Worum geht es eigentlich, wenn wir über Versiegelung sprechen?

Ein Problem, das die Versiegelung mit sich bringt, ist, dass das Regenwasser nicht mehr in den Boden eindringen kann, sondern in die Kanalisation abfließt, und das an anderen Stellen zu Hochwasser führt. Außerdem heizen sich versiegelte Flächen stark auf. Die dunklen Asphaltflächen und Bitumendächer wirken wie thermische Akkus, die die Sonnenenergie speichern und nachts zeitverzögert wieder abgeben. Dadurch sind Innenstädte fünf bis zehn Grad heißer als das Umland. Und natürlich sind versiegelte Flächen auch nicht biodivers. Sie bieten keinen angenehmen Lebensraum für Menschen, Pflanzen- und Tierarten, sondern nur einen Bewegungsraum für Autos und Menschen, die trockenen Fußes irgendwo schnell hin fahren und laufen können

Die Umweltbehörde hat für Logistikhallen im Hamburger Osten grüne Dächer vorgeschrieben. Das beißt sich aber mit der Vorgabe, möglichst überall Solarpanels auf die Dächer zu setzen.

Das beißt sich nicht, weil Solaranlagen sogar besser funktionieren, wenn sie auf Gründächern stehen. Ein Gründach absorbiert und verdunstet Wasser, kühlt so die Anlagen und fördert damit deren Leistungsfähigkeit. Man darf nicht nur in Gegensätzen denken, sondern muss die Dinge intelligent kombinieren, sodass eine Fläche gleichzeitig mehrere Funktionen erfüllt.

Das hört sich so an, als könnte man auf diese Weise sogar Flächen entsiegeln.

Wenn man ein Dach begrünt, ist es keine Entsiegelung, da der Boden ja immer noch durch das Gebäude überbaut ist. Um Versiegelung zu reduzieren, ist es wichtig, dass man davon wegkommt, den Boden durch Asphaltdecken, Schottergärten und Tiefgaragen zu versiegeln. Das betrifft gigantische Flächen, die in dieser Form versiegelt werden. Von oben sieht es zwar grün aus, wenn in einem Innenhof ein paar Bäume stehen, aber wenn sich darunter eine Tiefgarage befindet und der Boden gepflastert ist, kann das Wasser nirgendwo gespeichert werden und die Vegetation bekommt kaum Wasser. Deshalb geht es in den neuen Stadtteilen darum, neue Ideen zu entwickeln, wie wir die Böden wieder frei bekommen, etwa durch oberirdische Mobility-Hubs statt Tiefgaragen, durch Baumrigolen im Straßenraum oder durch wasserdurchlässiges Pflaster.

Ausgefeilte Fassadenbegrünung jenseits von Efeu und Knöterich gibt es noch nicht so lange. Ist es realistisch, das im großen Stil einzusetzen?

47, ist Landschaftsarchitektin und Professorin für Architektur und Landschaft an der Hafencity- Universität Hamburg. Sie befasst sich der klimaangepassten Transformation von Gebäuden, Gewässern und Infrastrukturbauwerken.

Efeu und Wilder Wein lassen sich schwer kontrollieren. Als Selbstklimmer klettern sie direkt an der Fassade und dringen in die Ritzen ein. Die modernen Systeme arbeiten daher mit Schlingpflanzen, die an Seilen emporwachsen mit einem gewissen Abstand zur Fassade, oder mit Pflanzgefäßen an der Fassade. Es ist wichtig, dass die Begrünung auch einen energetischen Mehrwert bringt für das Gebäude – dass sie im Sommer kühlt und im Winter die Sonne auf die Fassade scheinen lässt. Auch ein grünes Dach ist so ein Klimapuffer. Dabei muss man von vorneherein bedenken, wie die Pflanzen mit Wasser versorgt werden können, etwa mit Regenwasser oder aufbereitetem Grauwasser. Im Unterschied zu früher werden diese Systeme jetzt als Teil der Gebäudetechnik mitkonzipiert. Sie müssen zum Teil der Gebäudeinfrastruktur werden und sich auch rechnen. Es gibt viele Modelle, die zeigen, dass sich so etwas lohnt und nicht eine reine Öko-Spinnerei ist.

Braucht es dafür einen geänderten gesetzlichen Rahmen?

Seit einigen Jahren gibt es in Hamburg ein Förderprogramm, bei dem man 30 bis 60 Prozent der Kosten für Dach- und Fassadenbegrünung erstattet bekommt. Wenn man die Fassaden- und Dachbegrünung auf den Lebenszyklus eines Gebäudes berechnete, würde sie sogar eine Ersparnis mit sich bringen. Aber so rechnet die Bauwirtschaft normalerweise nicht. Im Moment gilt es eher noch zu überzeugen, Förderprogramme aufzulegen, Leitfäden zu erstellen, zu motivieren. Aber immer mehr Städte überlagern ihre Stadtentwicklungspläne mit Karten, die zeigen, wo die Stadt viel zu dicht ist, wo es zu wenige Grünflächen gibt und sich die Stadt im Sommer überhitzt. Hier kann dann Fassaden- und Dachbegrünung auch mithilfe des Bauplanungsrechts oder Bauordnungsrechts vorgeschrieben werden.

Mehr über Flächenversiegelung erfahren Sie in der aktuellen Wochenendausgabe der taz nord oder am E-Kiosk.

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