Landgericht Bremen gegen Polizeigewalt: Prügelpolizist erneut verurteilt
Der Polizist Marcel B. schlug vor vier Jahren einen Brasilianer krankenhausreif. Nun bestätigte das Landgericht das Urteil gegen ihn.
Sowohl die Verteidigung als auch die Staatsanwaltschaft hatten dagegen Berufung eingelegt – der Verteidiger forderte einen Freispruch, der Staatsanwalt eine höhere Strafe. Beide Berufungen wies das Landgericht zurück.
Auch für das Landgericht stellte sich der Tatvorgang wie folgt dar: Am frühen Morgen des 21. Mai hatte der Polizist sein Opfer V. de O. in der Sankt-Magnus-Straße in Walle verfolgt, nach eigenen Angaben, weil er ihn für einen Dieb hielt, der zuvor in der Nähe eingebrochen war. V. de O., der auf dem Weg zur Arbeit war, hingegen hielt seinen Verfolger für einen Verrückten und wechselte aus Angst die Straßenseite. Hätte er gewusst, dass es sich um einen Polizisten handelte, wäre er niemals davon gelaufen, hatte er dem Gericht gesagt. In seinem Heimatland wäre dann auf ihn geschossen worden.
Marcel B. stürzte sich von hinten auf ihn, brachte ihn zu Boden und schlug, auf ihm sitzend, auf seinen Kopf ein. Erst als Kolleg*innen am Tatort eintrafen, ließ er von ihm ab. So hatte es V. de O. geschildert, Zeug*innen hatten dies bestätigt. „Er hat die Wahrheit gesagt, daran gibt es keinen Zweifel“, so Richterin Maike Wilkens.
Ganz anders bewertete sie das Verhalten des Angeklagten. Seine Äußerungen seien wenig „nachfühlbar“ gewesen, sein Bedauern habe nicht authentisch gewirkt. „Dass Sie sich nicht fragen, ob Sie etwas falsch gemacht haben, macht uns als Gericht ratlos.“ Schlimmer noch: „Sie haben Ihre Aussagen an die jeweilige Beweislage angepasst.“ So habe Marcel B. erst behauptet, nur einmal zugeschlagen zu haben. Als ein medizinisches Gutachten zu dem Schluss kam, die Schwere der Kopfverletzungen würden auf mindestens zwei Faustschläge hindeuten, konnte sich Marcel B. dann doch an zwei erinnern.
Richterin Maike Wilkens
Zudem habe er die Anzeige gegen V. de O. wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte nicht direkt nach dem Vorfall gestellt, sondern erst nachdem er in Bedrängnis geriet. Und aus dem von Marcel B. zunächst geschilderten angeblichen Angriffs des körperlich weit unterlegenen V. de O.s sei im Laufe der Zeit immer weniger geworden, so Wilkens. „Am Ende fragen wir uns, worin die Widerstandshandlung überhaupt bestanden haben soll.“
Unterstützt hatten Marcel B.s Version zwei Kolleg*innen, die damals am Tatort waren. „Sie wirkten wie 12-Jährige, die man beim Klauen erwischt hat“, erinnerte der Staatsanwalt an die Aussage des Rettungssanitäters, der den Verletzten versorgt hatte. Als sie im jetzt neu aufgerollten Verfahren ihre mutmaßlichen Falschaussagen wiederholen wollten, riet ihnen die Richterin, von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch zu machen, um sich nicht selbst zu belasten. Die mutmaßlichen Falschaussagen können zu weiteren Prozessen führen, deutete Staatsanwalt Björn Rothe an.
Rothe nutzte sein Plädoyer zu einem Kurzreferat über Rechtsstaatlichkeit und Polizeigewalt. Eine solche Tat sei geeignet, das Vertrauen der Bürger*innen in die Polizei und damit in den Rechtsstaat tief zu erschüttern. Deshalb müssten sich alle anderen Polizist*innen deutlich vom kriminellem Verhalten eines Kollegen distanzieren – anstatt ihn in einem „falsch verstandenen Korpsgeist“ zu schützen. Wie schon im Verfahren in erster Instanz, saßen bei der Urteilsverkündigung ein Dutzend Kolleg*innen von Marcel B. im Publikum. Auch an sie richtete Rothe seine Ansprache. „Wer das anders sieht, stellt sich gegen unsere Grundordnung, die Bürger sind keine Feinde, sondern konstituieren den Staat.“
Marcel B. hingegen fehle es an Empathie, der Fähigkeit, sich in das polizeiliche Gegenüber hineinzuversetzen. Daher sei es richtig, dass er seinen Job verliert, wenn das Urteil rechtskräftig wird. Auch das Gericht hält Marcel B. für ungeeignet, seinen Job weiter auszuüben. Die Nebenklagevertreterin Britta Döllen-Korgel erinnerte daran, dass Marcel B. ihren Mandanten verhöhnt hatte, als dieser die Polizei zu Hilfe rief.
V. de O. ist nach einem gestern verlesenen Attest weiter arbeitsunfähig aufgrund einer posttraumatischen Belastungsstörung, leidet an massiven Ängsten und hat sich aus seinem sozialen Leben, „völlig zurückgezogen“, so seine Anwältin. An der Urteilsverkündigung nahm er nicht teil, um ein Wiederauffrischen des traumatischen Erlebnisses zu vermeiden. „Er hat sein Leben, so wie es vorher war, verloren“, stellte die Richterin fest.
Binnen einer Woche kann gegen die Entscheidung Revision eingelegt werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier