Korpsgeist bei der Polizei Bremen: Polizist, loyal, sucht Anwalt

Am zweiten Tag des Berufungsverfahrens um den prügelnden Polizisten Marcel B. werden weitere Zeugen gehört – und manche vor sich selbst beschützt

Eine karge Backsteinwand an einem Gehweg

Tatort Walle: Hier verfolgte und verprügelte Marcel B. 2013 sein Opfer Foto: Nikolai Wolff/Fotoetage

Bremen taz | Eigentlich ist die Polizei dazu da, die BürgerInnen zu schützen. Manchmal jedoch sind es die BürgerInnen, die vor der Polizei beschützt werden müssen – und gelegentlich passiert es auch, dass die Polizei vor sich selbst beschützt werden muss.

Genau das geschah gestern in der Berufungsverhandlung vor dem Landgericht um den Polizeibeamten Marcel B., der im Mai 2013 den unbescholtenen Brasilianer V. de O. nachts verfolgt und dann verprügelt hatte. Im ersten Prozess vor dem Bremer Amtsgericht hatten damals zwei KollegInnen von B. ausgesagt – und zwar eine konstruiert wirkende Geschichte, die den angeblichen „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ durch das Opfer V. de O. belegen sollte. Demnach habe der Brasilianer, auf dem Bauch liegend und damit beschäftigt, seine Arme dem Zugriff des Polizisten zu entziehen, dabei noch an Marcel B.s Jacke gezerrt und ihn damit in Bedrängnis gebracht.

Das konnte sich niemand vorstellen, auch der Richter am Amtsgericht, Hans Ahlers, attestierte den BeamtInnen in seinem Urteil später „falsch verstandenen Korpsgeist“, im Klartext also: eine uneidliche Falschaussage.

Gestern nun sollten beide BeamtInnen erneut als Zeugen gehört werden. Die Polizeioberkommissarin D. lässt sich entschuldigen, eine Mandelentzündung, eitrig. Der zweite Kollege, Polizeioberkommissar André M., wird hereingerufen und von Richterin Wilkens belehrt, das Übliche: Man soll als Zeuge die Wahrheit sagen, tut man es nicht, macht man sich strafbar. Das weiß der Polizist natürlich.

Dem Polizisten droht ebenfalls ein Ermittlungsverfahren

Doch dann greift der Staatsanwalt ein: Er bitte darum, den Zeugen ausführlich zu belehren, also: Ihn über sein Zeugnisverweigerungsrecht aufzuklären und ihm einen anwaltlichen Beistand zur Seite zu stellen. Der Oberkommissar guckt überrascht. Sowohl der Verteidiger von Marcel B., Temba Hoch, als auch die Vertreterin der Nebenklage Britta von Döllen-Korgel schließen sich dem an, aus „Fürsorgepflicht für den Zeugen“ und aus „Fairness“, wie die beiden Anwälte später sagen.

Denn Oberkommissar M. ist in einer schwierigen Lage, auch wenn ihm das offenkundig noch nicht klar ist. Widerruft er seine Aussage vor dem Amtsgericht, droht ihm ein Ermittlungsverfahren, weil er damit zugegeben hätte, vor dem Amtsgericht gelogen zu haben.

Richterin Maike Wilkens

„Ich würde sagen, Sie suchen sich jemanden, der viel Zeit hat“

Bestätigt er aber erneut die abenteuerliche Geschichte, droht ihm ebenfalls ein Ermittlungsverfahren: Denn Rechtsanwältin von Döllen-Korgel hat angekündigt, seine Vereidigung zu beantragen. Sollte er also bei seiner Geschichte bleiben und ihm nachgewiesen werden, dass sie falsch ist, hätte er unter Eid gelogen. „Das ist ein Verbrechen und wird mit nicht unter einem Jahr Freiheitsstrafe bestraft“, sagt Temba Hoch. Und das bedeutet zwangsläufig die Entlassung aus dem Polizeidienst.

Alle im Gericht sind sich einig, dass aus „Fürsorge“ für den Zeugen also ein Anwalt her muss – der ihm im Zweifel raten kann, nicht auszusagen, um sich nicht selbst zu belasten. Der Oberkommissar wird also beauftragt, sich einen Anwalt zu suchen, doch das dürfte nicht ganz einfach werden: „Ich würde sagen, Sie suchen sich jemanden, der viel Zeit hat“, rät ihm Richterin Wilkens. Denn bis zu seiner Vernehmung, die jetzt auf den 19. Mai vertagt ist, muss der Anwalt zunächst Akteneinsicht beantragen und sämtliche Prozessakten gewälzt haben.

Der Oberkommissar ist damit zunächst entlassen – und hat wohl immer noch nicht ganz begriffen, dass er gerade vor sich selbst beschützt wurde. Er steht noch eine Weile unschlüssig im Saal, bevor er einmal unsicher in die Runde winkt und geht.

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