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Lahav Shapira im Prozess gegen Burak Y.Ein wehrhafter Jude, der nicht nur für sich kämpft

Der jüdische Student Lahav Shapira ist an vielen Fronten gegen Judenhass aktiv und zahlt dafür einen hohen Preis. Nun saß er wieder im Gerichtssaal.

Lahav Shapira am 15. Juli im Verwaltungsgericht in Berlin Foto: Soeren Stache/dpa

D as erste Bild, das der Lehramtsstudent Lahav Shapira nach der Gewalttat im Februar 2024 postete, war unmissverständlich: Er liegt im Krankenhaus, das Gesicht geschwollen, verbunden – und er zeigt den Mittelfinger.

Kein Opferbild, sondern Ansage: Nicht mit mir. Ich lasse mich nicht einschüchtern. Shapira hatte sich zuvor an seiner Uni israelsolidarisch positioniert und war daraufhin vor einer Bar von einem Kommilitonen schwer verletzt worden.

Diese Haltung zieht sich durch alles, was er seither tut. Er hat Interviews gegeben, als Nebenkläger gegen seinen Angreifer ausgesagt, die Freie Universität Berlin verklagt. Weil sie ihn – so sein Vorwurf – nicht geschützt hat. Weil sie zugesehen habe, wie Antisemitismus auf dem Campus zur alltäglichen Bedrohung wurde.

An diesem Donnerstag saß er wieder im Gerichtssaal. Wieder als Nebenkläger. Der Angeklagte: Burak Y., in Palästinafarben und mit Kufiya um die Hüfte – ein israelfeindlicher Aktivist der trotzkistischen Gruppe „Klasse gegen Klasse“. Vorgeworfen wurde ihm, Shapira bei einer Besetzung an der FU im Dezember 2023 den Zugang zu einem Hörsaal verweigert zu haben. Am Ende: Schuldspruch wegen Nötigung, 30 Tagessätze Geldstrafe zu je 15 Euro, also insgesamt 450 Euro.

Klar, wer das Opfer ist

Als der Verurteilte das Gerichtsgebäude verließ, warteten draußen seine Unterstützer. Eine Demo der israelfeindlichen Szene, im Vorfeld mehrsprachig mobilisiert. Sie begrüßten ihn mit Applaus, überreichten rote Rosen. Dann skandierten sie „Free Palestine“ und stellten sich zum Gruppenbild auf – mit einer riesigen Palästinafahne, gespannt vor dem Amtsgericht. Es war eine Geste der Solidarität, eine Pose. Und zugleich: Verweigerung, Umkehr.

Denn in dieser Szene ist klar, wer Opfer ist und wer nicht. Burak Y. ist der Held, der Prozess angeblich Teil einer Kampagne. Und Shapira? Laut Y. einer „der medienwirksamsten Israel- und IDF-Verteidiger Deutschlands“, wie dieser auf Instagram schrieb. Also: das pure Böse.

In dieser Weltsicht ist das Urteil nebensächlich. Wird er verurteilt, ist das der Beweis für den repressiven Staat. Wird er freigesprochen, triumphiert seine Wahrheit. Eine Wahrheit, der es nicht um Widersprüche geht. Nur ums Lagerdenken.

Neu ist diese Dynamik nicht. Neu ist, wie wenig sie noch stört. Antisemitismus? Ja, schlimm. Aber auch kompliziert. Und: Was ist mit Gaza? Und Meinungsfreiheit? Und: Das wird man ja wohl noch sagen dürfen?

Klagen, benennen, bleiben

So verschiebt sich der Fokus – weg von der Stimmungsmache gegen ihn, dem Klima an den Universitäten, hin zum Zweifel an der jüdischen Perspektive.

Antisemitismus lebt auch an Unis, auch in linken Räumen

Zur selben Zeit der Prozesse in dieser Woche fand an der FU Berlin eine Veranstaltung statt, die darüber sinnierte, wie man die „Intifada globalisieren“ könne.

Eine Universität, an der sich jüdische Studierende seit dem 7. Oktober nicht mehr sicher fühlen. Shapira sagt, viel schlimmer als der Vorfall selbst seien die Onlinekampagnen gegen ihn gewesen, angeheizt von Burak Y. Eine Diffamierung, die ihn an das Klima erinnerte, in dem ihn jemand „fast umgebracht“ hätte.

Lahav Shapira ist unbequem. Weil er nicht der leidende, leise Jude ist. Weil er klagt, benennt, bleibt. Weil er sich nicht duckt. Und nicht schweigt. Was er tut, ist mehr als ein persönlicher Kampf. Es ist eine Erinnerung. Dass Antisemitismus auch in linken Räumen lebt. An Universitäten. Dass er sich anders kleidet, aber nicht weniger gefährlich ist. Und dass rote Rosen keine Unschuld beweisen.

Ich habe diese Haltung immer bewundert. Schon auf dem Krankenhausfoto. Und heute noch mehr. Weil er nicht nur für sich kämpft. Sondern dafür, dass jüdische Studierende sich nicht ducken, nicht allein stehen müssen. Sondern aufrecht. Wie er.

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Erica Zingher
Autorin und Kolumnistin
Beschäftigt sich mit Antisemitismus, jüdischem Leben, postsowjetischer Migration sowie Osteuropa und Israel. Kolumnistin der "Grauzone" bei tazzwei. Freie Podcasterin und Moderatorin. Axel-Springer-Preis für jungen Journalismus 2021, Kategorie Silber.
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4 Kommentare

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  • nach meiner einschätzung kommen wir gesellschaftlich nicht weiter, wenn wir die begrifflichkeiten nicht trennen. antisemitismus - antiisrael, propalästinensisch, das alles verwischt und vereinfacht.



    natürlich ist der die physische gewalt schrecklich, die shapira widerfahren ist. gewalt ist immer falsch. aber den konflikt zweier personen jetzt zu benutzen, die antisemitismuskeule rauszuholen und die FU zu verklagen, halte ich für überzogen. diskriminierung gibt es leider tagtäglich überall, das muss man irgendwo aushalten und anklagen, wo es geht. eine ganze universität verantwortlich zu machen, ist schon grob übermütig und reitet nur die welle der angeblich judenhasses weltweit. differenzierung? vielleicht richtet sich kritik an der regierung israels? an der staatsführung? antizionismus vielleicht? wieviel antiislamismus müssen die leute ständig aushalten? was an der columbia uni exerziert wurde, wird inm kleinen auch in deutschland von den behörden kopiert. eher skandalös und ein demokratieproblem. während in den usa an den unis jüdische pro-palästina studenten gegängelt werden, beschweren sich zionistische studenten, sie fühlen sich unwohl und unsicher eher ein politisches ding

  • Was ist das für ein (Berliner..) Gericht, das eine antisemitische Gewalttat bestraft wie ein Bagatelldelikt? Was ist das für eine FU, an der ein Antisemit einfach weiterstudieren kann? Wo sind hier eigentlich die "Zivilgesellschaft" und die "Wehrhafte Demokratie" die von der Linken immer skandiert werden? Abgetaucht? Desinteressiert? Oder zu beschäftigt mit dem Organisieren von "Demos gegen Rechts"?

    • @Peter Wenzel:

      Ach, machen Sie sich keine Sorgen: Immerhin können sich die Vertreter*innen von Zivilgesellschaft, linken Gruppierungen und rechten Eiferern offenbar doch auf etwas einigen – beim Thema Antisemitismus herrscht hierzulande gelegentlich erstaunliche Einigkeit. Da braucht es keinen Schulterschluss auf der Straße, die inhaltliche Schnittmenge wird ja schon vor Gericht und auf dem Campus gepflegt.

      • @BrendanB:

        "beim Thema Antisemitismus herrscht hierzulande gelegentlich erstaunliche Einigkeit."

        Ähm: Nein!



        Juden müssen hierzulande in Sicherheit leben können. Unbehelligt von Übergriffen gleich welcher Seite. Somit widerspreche ich Ihnen vollinhaltlich.