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LSVD über Personenstandsrecht„‚Andere‘ suggeriert einen ‚Rest‘“

Lesben, Schwule und Trans* kritisieren den Gesetzentwurf des Innenministeriums zur „Dritten Option“. Markus Ulrich spricht von Fremdbestimmung.

Der Gesetzentwurf: Intergeschlechtliche Menschen sollen unter der Bezeichnung „andere“ registriert werden Foto: ap
Interview von Johanna Kuegler

taz am Wochenende: Herr Ulrich, Horst Seehofer will das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur sogenannten Dritten Option im Personenstandsrecht mit einem – in Ihren Augen unzureichenden – Minimalgesetz umsetzen. Was bedeutet das für Betroffene?

Markus Ulrich: Bei dem Gesetzentwurf geht es um die rechtliche Anerkennung von mehr als zwei Geschlechtern: Intergeschlechtliche Menschen sollen demnach nach medizinischer Diagnose unter der Bezeichnung „andere“ registriert werden. Dieses Verfahren ist jedoch diskriminierend, denn es schließt transgeschlechtliche Menschen aus, die sich nicht als Frau beziehungsweise Mann identifizieren. Das heißt die eigene Identität wird nicht berücksichtigt. Auch die Bezeichnung „andere“ sehen LSVD und Bundesvereinigung Trans* sehr kritisch und haben deswegen einen offenen Brief (PDF) an den Bundesinnenminister verfasst.

Was ist problematisch an der Bezeichnung „andere“?

„Andere“ suggeriert, dass es Männer und Frauen und einen „Rest“ gibt. Es findet eine hierarchische Einordnung statt, die wir ablehnen. Die gleichwertigen Begriffe „weiteres“ oder „divers“, die auch vom Justiz- und Familienministerium empfohlen werden, beinhalten diese Wertung nicht. Wir wünschen uns von Seite dieser Ministerien auch mehr Einflussnahme auf das traditionell eher konservative Innenministerium.

Welche Problematiken sehen Sie generell durch medizinische Diagnosen in diesem und vergleichbaren Fällen?

Die Medizin bleibt die Instanz, die über das Geschlecht von Menschen entscheidet. Deren Beurteilung stellt jedoch eine Fremdbestimmung dar und verletzt die Menschenrechte. Die Medizin ist verantwortlich für eine lange Geschichte an Menschenrechtsverletzungen, da sie Inter- und Transgeschlechtlichkeit als Krankheiten definiert und behandelt hat, teilweise bis heute. Allein die eigene geschlechtliche Selbstidentifikation sollte eine Rolle spielen und jeder der die Dritte Option nutzen möchte, sollte dies tun können.

Welche Länder sind Vorbilder in der EU bezüglich ähnlicher Gesetze?

Vorreiter sind zum Beispiel Schweden, Dänemark und Malta. Menschen, denen bei der Geburt ein Geschlecht zugewiesen wurde, das sie falsch oder unzureichend benennt, haben die Möglichkeit in einem einfachen Antragsverfahren den Geschlechtseintrag zu ändern und auf Basis von Selbstbestimmung ihr eigentliches Geschlecht rechtlich anerkannt zu bekommen.

Im Interview: Markus Ulrich

ist 36 Jahre alt und Pressesprecher des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD-Bundesverbandes)

Wie würde denn eine angemessene Umsetzung des Gesetztes nach Meinung des LSVD und der Bundesvereinigung Trans* aussehen?

Die geforderte medizinische Diagnose der Intergeschlechtlichkeit greift zu kurz. Der dritte Geschlechtsantrag muss allen, die das wollen, auf Antrag offen stehen. Mit einer einfachen Antragslösung wie etwa in Dänemark und Schweden besteht die Problematik, der Fremdbestimmung durch Gutachten und Gerichte nicht. Auch kann im jetzigen Entwurf die Registrierung erst mit 14 Jahren geändert werden, dass werden einige als zu spät empfinden. Per Antrag bleibt die eigene Einordnung dagegen flexibel und kann auch wieder geändert werden. Das Urteil des BVerfG ist historisch und sollte nicht durch den jetzigen Gesetzesentwurf verwässert werden.

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22 Kommentare

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  • Wieso sollte z.B. ein Junge/ Mann als solcher keine Kleider tragen, sich schminken, Hochsteckfrisuren haben und die Nägel lackieren?

    Wieso sollte eine Frau als solche nicht laut, ruppig und bullig sein, sich nicht die Beine rasieren, Anzüge tragen, etc. Beide könnten hetero-, homo-, oder bisexuell sein. So what? Ich habe oft das Gefühl, dass es darum geht, dass hier Leute, die partout nicht in Gendernormen passen ihren Körper der sozial geschaffenen Norm anpassen wollen/müssen/sollen. Ein weiteres Indiz hierfür wäre vielleicht, dass mittlerweile auch und gerade in einigen sehr konservativen Gesellschaften die Transition recht akzeptiert und etabliert ist, um Menschen, bei denen Biologie und Vorlieben/ Verhalten/ Intreressen nicht in die sehr strikten und repressiven Geschlechterrollen passen, wieder "auf Linie" zu bringen. So wird etwa im Iran Homosexuellen die Transition als Alternative zur drakonischen Bestrafung angeboten und dann sogar vom Staat mitbezahlt. Hauptsache, optische Erscheinung und Verhalten stimmen wieder überein. Viele (nicht alle!) Transsexuelle bei uns reproduzieren überholt geglaubte Genderrollen in Bezug auf Kleidung, Verhalten und mediales Auftreten bis ins Extrem. Einige reden davon, schon immer ein "weibliches" resp. "männliches" Gehirn gehabt zu haben. Dabei gibt es bis heute keinen echten wissenschaftlichen Beweis, dass so etwas überhaupt existiert. Der Konflikt zwischen Geschlechtsorganen und Verhalten ist viel mehr sozial konstruiert, nicht natürlich. Denn so klar die biologische Einordnung über 3G-Sex vorgenommen werden kann, so fließend und flexibel sind die Grenzen bei allem, was darüber hinausgeht. Schon die sekundären Geschlechtsorgane treten weniger dimorph auf als die primären - verhältnismäßig viele Männer haben Brüste, verhältnismäßig viele Frauen keine oder sehr kleine - ein Unterschied liegt jedoch meist in der Funktionsfähigkeit. Noch undeutlicher ist es mit Stimme, Größe, Körperbehaarung, und so weiter..

  • Dass "anders/andere" diskriminierend ist, kann ich gut verstehen. Auch ich fände "weitere' oder "divers" besser. Dass die Medizin z.T. übergriffig ist und gegen Menschenrechte verstößt, ja, das ist so, in diesem Bereich und in anderen. "Eindeutigkeits"-OPs bei Intersexuellen fallen definitiv darunter, denn die Betroffenen sind oft gesund, nur eben anders und nicht eindeutig zuzuordnen. Soweit volle Zustimmung. Ansonsten bleibe ich dabei: NEIN, Geschlecht ist KEINE reine Befindlichkeit, sondern ein biologisch-medizinischer Fakt, dazu gehören auch Intersexuelle als Variation. Transsexualität ist noch mal etwas ganz anderes als Intersexualität. Ob man das als Krankheit bezeichnen muss ist sicher zu verneinen, aber die Problemstellung ist eine andere. 99% aller Menschen lassen sich anhand von 3G-Sex (Chromosomen, Gonaden, Hormone) ganz eindeutig einem Geschlecht zuordnen. Das zu tun macht Sinn, da es vor allem ab der Pubertät zum Teil kleine, zum Teil aber auch massive Unterschiede in medizinisch relevanten Bereichen und in der Reproduktion gibt. Das zu leugnen wäre Fake News und hätte katastrophale Folgen z.B. für die sexuelle Aufklärung etc.. Das Problem, das ich mit dieser Sicht habe bzw. wo ich persönlich mit den entsprechenden AktivistInnen* über Kreuz liege, ist glaube ich, dass diese Mann/ Frau/Inter nicht als wertungsfreie biologische Gegebenheit betrachten, sondern Sex und Gender (aus meiner Sicht) vertauschen, die Biologie leugnen möchten und Gender-Stereotype verfestigen, indem sie das "Geschlecht" daran festmachen, wie man sich verhält, welche Kleidung man trägt, ob man sich schminkt, etc. Für mich ist gerade das eine überholte Definition von Geschlecht, gegen die der Feminismus eigentlich schon lange kämpft. Denn dadurch entsteht ggf. ein Konflikt zw. biologischem Geschlecht und persönlichen Präferenzen. Meine Utopie wäre: biologisches Geschlecht zur Kenntnis nehmen wo es notwendig ist, aber daraus 0 soziale Verhaltensregeln/ Erwartungen ableiten.

    • @Takjak:

      "...indem sie das "Geschlecht" daran festmachen, wie man sich verhält, welche Kleidung man trägt, ob man sich schminkt, etc."

      Leute, die hier eine Geschlechtsumwandlung mittels plastischer Chirurgie und Hormonen wollen, müssen eine ganze Weile ihr, hm, Wunschgeschlecht mittels Kleidung und Kosmetik im Alltag präsentieren, damit die, äh, beweisen, daß sie es ernst meinen.

       

      Weiß nicht, ob cis-Mensch die deswegen quasi "Verräter" schimpfen soll. Hat was davon, daß Schwulen nach der Einführung der Ehe für alle vorgehalten wurde, übelst reaktionär zu sein, weil die ihre Hochzeitsfeier mit jedem Kitsch und Klischee vollpacken, der den jeweiligen Dienstleistern die Augen ob des Geldes dafür glänzen lassen.

  • “Die Medizin bleibt die Instanz, die über das Geschlecht von Menschen entscheidet. Deren Beurteilung stellt jedoch eine Fremdbestimmung dar und verletzt die Menschenrechte.”

     

    Was für ein Unsinn. Es heißt niemand darf auf Basis seines Geschlechtes diskriminiert werden. Das Geschlecht ist aber etwas biologisches und kein soziales Konstrukt. Seit den späten 1990ern ist diese (wirre) These vom sozialen Geschlecht abgehakt, doch das anzuerkennen weigern sich Aktivisten standhaft.

    Bei einer 99,75% Korrelation zwischen biologischem und empfundenem Geschlecht kann man kaum von einem Konstrukt sprechen. Nur jede 400. Person ist Transsexuell.

     

    “Die Medizin ist verantwortlich für eine lange Geschichte an Menschenrechtsverletzungen, da sie Inter- und Transgeschlechtlichkeit als Krankheiten definiert und behandelt hat ...”

     

    Es ist auch sinnvoll das zu tun, denn wenn etwas keine Krankheit ist dann gibt es auch keinen Grund aus dem die Krankenkasse die Kosten für entsprechende Operationen übernehmen sollten.

     

    “Mit einer einfachen Antragslösung wie etwa in Dänemark und Schweden besteht die Problematik, der Fremdbestimmung durch Gutachten und Gerichte nicht.”

     

    Eine solche Lösung sollte es auf keinen Fall geben. Es kann nicht angehen das ein Gesetz auf Basis eines sozialkonstruktivistischen, nachweislich falschem, Weltbild erlassen wird.

  • Warum nicht in dem Zuge gleich das Personenstandsrecht ändern und "Geschlecht" als Merkmal streichen?

    Wo ist das relevant?

    • @Hugo:

      Arbeitsschutz, Sport...

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        "Der Personenstand umfasst in Deutschland Daten über Geburt, Geschlecht, Eheschließung, Begründung einer Lebenspartnerschaft und Tod sowie damit in Verbindung stehende familien- und namensrechtliche Tatsachen (§ 1 Abs. 1 PStG)."

        (wikipedia)

        Mensch kann sein Kind Peter/Petra nennen, ohne das das erkennbare Geschlecht in der Geburtsurkunde steht. Letztendlich spielt der Doktor immer enemenemu ohne genetische Geschlechtsbestimmung. Also kann mensch das auch konsequenterweise weglassen und keine*r muß sich diskriminiert fühlen...

        • @Hugo:

          Da es zweideutige Namen gibt und das Geschlecht für viele Dinge erforderlich ist, klappt eine Abschaffung des Personenstandes so nicht.

          • @warum_denkt_keiner_nach?:

            Fällt aus wegen ist nicht ist mir da als Argument zu einfach ;).

            • @Hugo:

              Ausfallen muss es ja nicht. Aber es Bedarf einer großen Reform in vielen Bereichen. Das wird oft übersehen.

              • @warum_denkt_keiner_nach?:

                Das weiß auch der LSVD und die Bundesvereinigung Trans*, deswegen streiten die auch "nur" um die Bezeichnung, sowas wird dann schnell mal für 20+ Jahre festgetackert gesetzlich.

  • Wer ist denn am Ende intersexuell? Welche medizinischen Sachverhalte sollen denn dafür oder dagegen sprechen? Wer entscheidet? Für die wenigen Hermaphroditen mit beiden äußeren (!!) Geschlechtsmerkmalen ist das Gesetz wohl nicht gemacht, welche manche sich durchaus als Mann oder Frau verstehen ... wenn mein Genom nun durch Zufall in einigen Zellen XX und in anderen XY ist, werden ich dann zwangsentschlechtlicht?

  • Also wenn wir jetzt wirklich um die Vorzüge von "weitere" gegenüber "andere" streiten sollen, und es ohnehin um "flexible" Lösungen auf Antragsbasis gehen soll, dann lassen wir die Zuordnung doch gleich ganz.

  • 8G
    82732 (Profil gelöscht)

    Zum Begrifflichen:

    Wird nicht seit Jahren dafür gestritten, das ein "anders sein" völlig OK ist und nicht diskriminiert wird!?!?

     

    Und jetzt ist da der Terminus 'Andere' vorgeschlagen und da ist das auf einmal nicht OK??

  • Ich glaube das Grundproblem in Deutschland ist das „Standesrecht“(???). Schon eine Namensänderung ist in Deutschland sehr aufwändig, was das für Auswirkungen auf die rechtliche Geschlechtsdefinition hat, kann nur Aufwendig sein. Dementsprechend sind Ärzte in diesem Hintergrund Ansprechpartner Nummer eins. Wo ich mich verwehre ist eine Darstellung, die die Ärzteschaft in ein so Negatives Licht setzen. Die meisten Ärzte in meinem Umfeld haben da eher eine prakmatisch progressive Einstellung: „Leben und leben lassen“ und Verantwortung für sein Handeln übernehmen.

    • @Andi S:

      Das stimmt. Die meisten Ärzte sind in Ordnung.

       

      Bei der ganzen Diskussion wird übrigens auch gern übersehen, dass es in D eine menge Gesetze und sonstige Regelungen gibt, bei denen das Geschlecht eine Rolle spielt. Wenn man etwas dazwischen einführt, sind also eine Menge Dinge zu regeln.

  • 9G
    97796 (Profil gelöscht)

    Wieviel Trans* gibt es denn in Deutschland?

  • Wieso ist der Pressesprecher des Lesben- und Schwulenverbandes Ansprechpartner zu den Themen Trans und Inter? Man interviewt doch auch nicht den Sprecher der Autoindustrie als Fachmann für's Fahrradfahren.

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Da sich der LSVD auch für Trans- und Intermenschen einsetzt. Mir ist keine Bundesweite Trans- und Intermenschen Vereinigung bekannt. Unter anderem auch weil sie sich meist dem doch sehr kleinen LSVD Verband angeschlossen haben. Da viele auch Lesben und Schwule sind.

       

      Also kurzum: Die Interessen der Communities überlappen sich viel mehr als bei Fahrrädern und Autos (Dämlicher Vergleich). Und sie haben nicht den Luxus von soviel Lobbypower wie die Autoindustrie, der ADAC oder gar auch nur des AVD.

       

      Eine Spaltung ist dadurch nicht sehr sinnig und würde die Interessenvertretung noch weiter marginalisieren.

       

      Warum denken sie nicht nach? Und recherschieren vielleicht vorher bevor sie eine Frage stellen die sich mit einer google Anfrage "lsvd" beantworten lässt?

      • @Sascha:

        "Da sich der LSVD auch für Trans- und Intermenschen einsetzt."

         

        Besser gesagt, für zuständig erklärt hat. Es besteht aber ein gewaltiger Unterschied zwischen der geschlechtlichen Orientierung und der Geschlechtsidentität. Trotzdem werden gern alle, die irgendwie "anders" sind, in einen Topf geworfen.

        • @warum_denkt_keiner_nach?:

          "Trotzdem werden gern alle, die irgendwie "anders" sind, in einen Topf geworfen."

          Beantwortet des Deine Frage ned?

          Im Übrigen wird dreimal die "Bundesvereinigung Trans*" erwähnt.

          • @Hugo:

            Warum redet man dann nicht mit einem Vertreter der "Bundesvereinigung Trans*"?

             

            Und natürlich ist es nicht gut, wenn Menschen in einen Topf geworfen werden.