Kulturtechnik des Abwischens: Barbaren mit Bremsstreifen
Warum wir am Klopapier festhalten, anstatt uns – von östlicher Weisheit inspiriert – sanft den Anus wässern und föhnen zu lassen.
Wer zuverlässig Menschen treffen will, die ihre kulturelle Selbstgewissheit infrage gestellt sehen, der sollte auf eine Sanitärausstellung gehen. Dort haben seit einigen Jahren die sogenannten Dusch-WCs ihren festen Platz. Umschwirrt werden sie von Leuten, die sich mit steinernem Gesicht vorstellen, wie das wohl ist: sich den Hintern nicht mit Papier abzuwischen, sondern von einer Wasserdüse abspritzen und anschließend föhnen zu lassen wie das Auto in einer Waschanlage.
Der Siegeszug dieser Toilettenautomaten durch unsere Badezimmer werde zwangsläufig irgendwann beginnen, das behaupten zumindest die Hersteller seit Jahren. Sie haben vernünftige Gründe auf ihrer Seite: Alte Menschen blieben so länger unabhängig, auch ohne Pflegepersonal, das ihnen beim Toilettengang hilft. Davon abgesehen ist warmes Wasser an den zarten Stellen, wenn man sich erst mal dran gewöhnt hat, durchaus was Angenehmes.
Außerdem können uns die Wälder nicht auf alle Zeit am Allerwertesten vorbeigehen: Im Augenblick spülen wir ganze Landstriche an Tropenholz im Klo runter, weil Eukalyptusfaser aus Brasilien so supersamtig und soft ist, dass sich immer weniger Menschen zu Recyclingtoilettenpapier durchringen können. Umweltschutzorganisationen kritisieren das seit Jahren. Dusch-WCs verbrauchen zwar auch Energie, aber viel weniger, als für den Transport von Holz und die Produktion von Toilettenpapier nötig ist.
Der Umsatz mit den Bidettoiletten zieht allmählich an, der Markt wächst, aber bislang auf niedrigem Niveau. Nur ein bis zwei Prozent der deutschen Haushalte haben sie installiert. Damit sie sich durchsetzen, brauche es einen Kulturwandel, sagt Margit Harsch vom Sanitärhersteller Geberit. „Es ist fast so, als müssten die Leute ein zweites Mal stubenrein werden.“ So ein Kulturwandel im Intimbereich ist offenbar eine komplizierte Angelegenheit.
Toiletten sind Zugänge zur Unterwelt
Stellen wir zunächst einmal fest, was jedem klar ist, der schon einmal im Urlaub in ein von Fliegen umschwirrtes Loch gestarrt hat: Toiletten sind buchstäblich Zugänge zur Unterwelt. Nur ein Keramiküberbau als zivilisatorische Errungenschaft trennt uns von ihr. Ohne ihn hätten wir, die es anders nicht gewohnt sind, Angst, dass etwas von dort unten in unsere Wohnung, vielleicht sogar in unseren entblößten Körper eindringt.
Die Toilette steht damit wie ein Türwächter an der Schwelle zwischen Möbelstück und Gebrauchsgegenstand, Bewusstem und Unbewusstem. Das macht sie als Kulturobjekt so interessant. Die künstlerische Moderne begann, daran sei hier nur kurz erinnert, mit einem handelsüblichen Urinal. Marcel Duchamp reichte es 1917 für die Jahresausstellung der New Yorker Society of Independent Artists ein. Er nannte das Werk „Fountain“.
Die Grenzen, deren Aufhebung Kunst und Gesellschaft umtreibt, sind heute andere geworden. Sie verlaufen nicht mehr in erster Linie zwischen künstlerischer und profaner Wirklichkeit, sondern zwischen den verschiedenen Kultursphären. Auch das Dusch-WC ist ein Kulturhybrid, ein Globalisierungsphänomen par excellence.
Sein Epizentrum hat es in Japan, wo bereits mehr als die Hälfte aller Haushalte mit einem „Toto“ ausgestattet sind. So lautet der Name des Marktführers, der oft synonym mit dem Produkt benutzt wird. Die Japaner haben kein Problem mit Hightech in der Toilette, im Gegenteil, sie sind auf ihre fortschrittliche Hygienekultur so stolz, dass Toto im südjapanischen Kitakyūshū sogar ein eigenes Museum eingerichtet hat.
Es erzählt die Entwicklungsgeschichte der Badezimmer- und Küchenkultur. Auf deren halber Strecke befindet sich das, was wir Europäer unter normalen Toiletten verstehen. Dort stehen sie bereits im Museum. Trotzdem werden Dusch-WCs in Japan als „westliche“ Toiletten bezeichnet, nämlich in Abgrenzung zu den Stehklos, die Toto vor etwa hundert Jahren allmählich mit „Water Closets“ abzulösen begann und die sich dort vereinzelt auch heute noch finden.
Das westliche WC ist klassische Moderne pur
Anders als hierzulande aber ging die technische Entwicklung der Toilette weiter, das Wasser blieb nicht mehr nur in der Schüssel. Ab den achtziger Jahren begannen sich die heutigen Hightechmodelle durchzusetzen – und mit ihr die Postmoderne in der Toilettenkultur.
Der Philosoph Jürgen Habermas schreibt über die Moderne, ihr Gestus liege gegenüber einem aus Traditionen gefügten Weltbild in einer „Aufwertung des Transitorischen, des Flüchtigen, des Ephemeren, in der Feier des Dynamismus“, in der sich aber auch „die Sehnsucht nach einer unbefleckten, innehaltenden Gegenwart“ ausspreche.
In diesem Sinne ist das westliche WC klassische Moderne pur: Das Alte, Verdorbene wird umstandslos und mit viel Power weggespült. Die japanischen Modelle von Toto hingegen sind schon einen Schritt weiter. Sie laden ein, sich erst mal hinzusetzen und es sich auf der beheizten Brille gemütlich zu machen. Klopapier findet man dort zwar meist immer noch, aber nicht mehr unbedingt zur Reinigung, sondern zum Nachtupfen, falls einem das mit dem Föhn für den Hintern zu lange dauert.
Fremde Hightechhygiene als Provokation
Als Europäer kommt man sich vor wie an Bord einer Raumstation: Die japanischen Hightechtoiletten sind massiv und mächtig, richtige Throne mit unzähligen Bedienflächen. Sie saugen Gerüche dort ab, wo sie entstehen, auf Wunsch übertönt Musik unziemliche Geräusche. Der Toilettengang wird zum „ganz persönlichen Spa-Moment“, bei dem die Wunder der Technik einem mollig warm am Anus herumsprenkeln.
So spotten wir im Westen darüber. Zumindest vorläufig. Denn vielleicht tun wir das nur deshalb, weil wir fremde Hightechhygiene als Provokation empfinden. Unser westliches WC, auf dem thronend wir über Menschen die Nase rümpfen, die sich in Löcher entleeren, kommt nun, mit fernöstlicher Technologie aufgemotzt, als kultureller Reimport zu uns zurück.
Darin liegt eine Kränkung des europäischen Selbstverständnisses als Nabel der Welt, die man nicht unterschätzen sollte. Als sich die G7 in Schloss Elmau trafen, wo zuvor Dusch-WCs installiert worden waren, hat der japanische Premierminister Abe bei einer Tischrunde angeblich sinngemäß gesagt: Jetzt habt ihr hier endlich auch mal anständige Toiletten. Die Anekdote wird in Japan erzählt. Sie beweist – ob sie nun stimmt oder nicht –, dass die zivilisatorischen Maßstäbe inzwischen anderswo gesetzt werden. Plötzlich sind wir die ungewaschenen Barbaren mit den Bremsstreifen in den Unterhosen.
Warum mit dem Papiertuch?
Das merken wir in anderen Bereichen sowieso auf Schritt und Tritt, aber bei der Frage, wie man sich nach dem Toilettengang wäscht, erwischt uns diese Erkenntnis mit heruntergelassenen Hosen. Irgendwas tut sich da unter unseren Hintern, wenn die Reinigungsdüse ausfährt, irgendwas Hochmodernes, Fremdes, wir verlieren die Kontrolle, also kneifen wir.
Die arabische Kultur, vor der hierzulande so viele Menschen Angst haben, wäscht sich auf der Toilette schon immer mit Wasser – und ja, natürlich ist das untenrum viel hygienischer. Hätten wir Fäkalien irgendwo anders am Körper kleben als dort, wo sie austreten, würden wir sie schließlich auch nicht nur mit einem Papiertuch abwischen.
Es wäre also höchste Zeit, sich einfach mal darauf einzulassen. Dann ist allen gedient: Die Wälder können stehen bleiben, anstatt dass wir sie abholzen, quer durch die Welt transportieren, mit viel Strom, Wasser und chemischen Bleichstoffen verarbeiten und anschließend im Klo runterspülen; die Abwasserentsorger freuen sich, denn die Toilettenfeuchttücher sammeln sich dort unten nicht mehr zu riesigen Klumpen und verstopfen die Kanalisation; und wenn wir mal richtig alt sind, freuen wir uns, dass unsere Kinder uns nicht den Hintern abwischen müssen, wenn bis dahin die Rentenkasse und das Pflegesystem endgültig zusammengebrochen sind.
Also, warum lassen wir uns, bis es so weit ist, nicht ein bisschen den Allerwertesten mit warmem Wasser massieren?
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