Kulturlandschaft Thüringen: Zeugnisse von Zeit und Verfall
Das Schwarzatal in Thüringen ist mehr als eine Sommerfrische. Schloss Schwarzburg soll zum Zentrum für Demokratie und Geschichte werden.
Etwa sechzig Kilometer von Erfurt entfernt erstreckt sich das malerische Schwarzatal. Umgeben von moosbewachsenem Schiefergestein und Nadelwald, die Ufer der Schwarza säumend, reihen sich Fachwerkhäuser aneinander – einige DDR-Bausünden sind ebenfalls zu entdecken. Einst erfreute sich das Tal großer Beliebtheit, als Kur- und Erholungsort für gestresste GroßstädterInnen. „Sommerfrische“ genannt, fand dieser „erholungsaufenthalt der städter auf dem lande zur sommerzeit“ bereits im Wörterbuch der Brüder Grimm Erwähnung.
Vom Glanz vergangener Tage – deren Hochzeit vom späten 19. Jahrhundert bis zur Wende reichte – ist nur mehr wenig zu sehen, viele der einst prächtigen Sommerfrische-Häuser liegen heute verlassen da. Und doch, die pittoreske Landschaft des Schwarzatals lässt erahnen, warum es einst, bevor offene Grenzen und Billigflüge das Fernweh heilten, so viele StädterInnen hierher zog.
In der DDR habe die Region oft mehr BesucherInnen als EinwohnerInnen gehabt, weiß Gerd Eberhardt, Mitarbeiter im Fröbel-Museum in Bad Blankenburg. Der Namensgeber des Museums ist eines der Aushängeschilder der Region: 1840 gründete Friedrich Fröbel hier den ersten Kindergarten. Ein Zeitgenosse Fröbels wusste schon früh um die Schönheit dieses Fleckchen Erde. In einem Brief an Charlotte von Stein 1781, lobt Goethe den „fürtreffliche[n] Weeg der Schwarze nach, durch ein tiefes Thal zwischen Fels und Wald Wänden“.
Der Reichspräsident in den Ferien
Zwischen diesen Felsen und Waldwänden verläuft heute die Eisenbahnstrecke, deren Bau zum touristischen Aufschwung der Gegend führte. An ihr entlang reihen sich Orte mit klangvollen Namen wie Obstfelderschmiede, Meuselbach-Schwarzmühle und Katzhütte.
In die Geschichte eingegangen ist vor allem einer von ihnen: Schwarzburg, benannt nach dem Schloss, das als verfallenes Wahrzeichen auf einem Hügel thronend nun zum zentralen Denkort für Demokratie werden soll. Den Anlass hierfür gibt ein Ereignis, das ziemlich genau 100 Jahre zurückliegt: die Unterzeichnung der Weimarer Verfassung durch den damaligen Reichspräsidenten Friedrich Ebert.
Während seines Ferienaufenthaltes mit der Familie speiste er im „Weißen Hirsch“, schlenderte die Schlosspromenade entlang, genoss die Aussicht und legte am 11. August 1919 mit seiner Unterschrift den Grundstein für ein demokratisches Deutschland. Die genaue Stätte dieser denkwürdigen Unterzeichnung ist nicht dokumentiert – der Repräsentationsbau des Ortes, Schloss Schwarzburg, war es jedenfalls nicht.
Förderverein Schloss Schwarzburg
Hier lebten nach wie vor der ehemalige Fürst Günther Victor von Schwarzburg-Rudolstadt, der als letzter Bundesfürst dem Thron entsagte, und seine Frau Anna Luise. Obwohl kein direkter Zusammenhang zwischen Schloss Schwarzburg und der Weimarer Verfassung besteht, möchte man das Schloss künftig als Raum für Diskussionen und auch Streitereien nutzen, so beschreibt es Michael Baum, Vorsitzender des Fördervereins Schloss Schwarzburg auf einer Aufnahme, die durch die Schlossbaustelle führt. Über die Erhaltung von Demokratie und deren Gestaltung solle hier zukünftig nachgedacht und diskutiert werden.
Der Weg bis dahin ist ein weiter: Von der ehemaligen Pracht des Fürstensitzes ist nicht mehr viel übrig. Nachdem die Nationalsozialisten 1940 das gesamte Schloss für den Bau eines Reichsgästehauses entkernten, stand es die letzten Jahrzehnte leer. An den Wänden lassen sich noch Ornamente erahnen, in wenigen Räumen ist Stuck aus verschiedenen Epochen erhalten geblieben. Verewigungen jugendlicher BesucherInnen, die es in der Zeit nach Kriegsende heimlich auf die offengelassene Baustelle trieb, zieren zudem die Wände.
Die meisten dieser Zeugnisse von Zeit und Verfall sollen bei der Sanierung bestehen bleiben. Statt das gesamte Schlossensemble zu rekonstruieren, wie es in Berlin zu großen Teilen gerade mit dem Stadtschloss geschieht, soll hier der noch vorhandene barocke Bestand konserviert und baulich nur so weit ergänzt werden, dass eine Nutzung wieder möglich wird.
Künstlerresidenzen
Bei einem Ideenwettbewerb der Thüringer Schlösser und Gärten 2012 setzte sich der Entwurf des Architektenbüros Tectum durch, der mit den Schlüsselbegriffen Kontinuität, Hinzufügung und Palimpsest neue Ideenansätze für die Gestaltung und Nutzung des Schlossgebäudes bringt. So sollen im Dachgeschoss Arbeitsräume für Künstlerresidenzen entstehen, vergleichbar mit denen in der Villa Massimo in Rom oder dem brandenburgischem Schloss Wiepersdorf.
Die Hoffnung ist, dadurch das Schwarzatal wieder zu einem Ort öffentlichen Interesses zu machen. „Wir möchten Ansätze finden, aus denen heraus es sich für Menschen lohnt, in einer Region zu bleiben, in sie zu Besuch zu kommen, und wenn sie nur zur Sommerfrische kommen“, sagt Martina Doehler-Behzadi, Geschäftsführerin der Internationalen Bauausstellung (IBA), die den Audiowalk gemeinsam mit der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten durch die aktuelle Schlossbaustelle mitorganisiert.
Zukunftswerkstatt Schwarzatal
Die Sommerfrische im Schwarzatal wiederzubeleben, ist Ziel der IBA Thüringen und ihrer Partner. Einer davon ist der Verein Zukunftswerkstatt Schwarzatal – Mitinitiator des „Tags der Sommerfrische“, der am 25. August zum fünften Mal in Folge der Gegend neues Leben einhauchte. Neben Diskussionen, Führungen und organisierten Wanderungen galt die eigentliche Aufmerksamkeit den geöffneten, größtenteils leer stehenden Sommerfrische-Häusern. Die wunderschönen Fachwerkgebäude mit Holzbalkonen sind im Schwarzatal noch beinahe in jedem Dorf zu entdecken.
Einige von ihnen – wie das Haus Bräutigam – wurden in der DDR mit der sogenannten „Sauerkrautplatte“ notdürftig gedämmt. Das sich darunter befindende Fachwerk haben Jessica Christoph und ihre Kollegen – allesamt Architekten der Bauhaus-Uni Weimar – an einer Stelle wieder freigelegt.
Stadt- statt Landflucht
Mit Kind und Kegel sind sie an diesem Wochenende angereist, um Interessierten ihr Projekt vorzustellen. Statt ein Haus auf dem Land nur mehr für Urlaubszwecke zu nutzen, möchten sie hier versuchen, Arbeit und Freizeit zu kombinieren. Flexibles Arbeiten in wildromantischer Idylle – Stadt- statt Landflucht sozusagen.
Die Gruppe um Jessica Christoph und ihrem Lebensgefährten Henning Michelsen fällt auf an diesem Tag der Sommerfrische – sie bringen frischen Wind und neue Hoffnung ins Tal. Denn seit der Wende ist von den Glanzzeiten des einstigen FDGB-Tourismus nichts mehr zu spüren. Die Jungen verlassen das Tal, die Alten werden immer älter und fühlen sich abgehängt.
Räume für den Dialog
Das mag auch eine Erklärung für die Wahl- und Umfrageergebnisse im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt sein, dem das Schwarzatal zugehört. Bei der Europawahl im Mai belegte die AfD hier mit 27,6 Prozent den ersten Platz. Was das für die Landtagswahl am 27. Oktober bedeutet, lässt sich nur erahnen. Bei der aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa für das gesamte Bundesland erreicht die AfD mit 21 Prozent immerhin Platz drei, nach der Linken (26 Prozent) und der CDU (24 Prozent).
Statt darüber hinwegzusehen, gibt man sich im Schwarzatal Mühe, in einen Dialog miteinander zu treten – Räume wie der Denkort der Demokratie auf Schloss Schwarzburg sollen dabei helfen. Für die Menschen hier bleibt der ehemalige Fürstensitz das Sinnbild einer glanzvolleren Zeit, an deren Erfolg sich vielleicht nicht direkt anknüpfen lässt, deren Erinnerungen aber Inspiration für Neues geben mögen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge