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Kulturbetrieb mit HygienekonzeptSchizophrenes Leben

Nach dem Erscheinen meines Romans mache ich Lesungen unter Corona-Bedingungen. Ich sehe ein, dass dies so sein muss. Aber die Verzweiflung wächst.

Strenge Abstands-Vorgaben bei Kulturveranstaltungen: Stühle im Landestheater Salzburg Foto: dpa

I ch hatte in letzter Zeit ein paar Lesungen. Ein neues Buch ist erschienen, es ist leider keine gute Zeit für Bücher, weil es schwer ist, Lesungen zu organisieren. In größeren Räumen und mit finanzieller Hilfe ist es eben gerade so möglich. Denn die Vorgaben sind streng.

Einen Meter fünfzig müssen die Menschen auseinander sitzen. Wenn sie aufstehen und herumlaufen, auf die Toilette etwa, müssen sie einen MNS aufsetzen, ebenso, wenn sie kommen. Sie sollen Abstand halten und durch den MNS sprechen. Nur so dürfen Veranstalter*innen überhaupt eine Veranstaltung durchführen.

Für kleinere Läden, Buchläden etwa, die in der Vergangenheit immer engagiert Lesungen veranstaltet haben und da schon ihr Herzblut unentgeltlich in die Organisation gesteckt haben, ist es oft nicht mehr handhabbar. In ihren Läden ist nicht genug Platz, um ein Hygiene­konzept umzusetzen. Deshalb gibt es nur wenige Lesungen, kaum jemand geht auf Lesereise. Bei den meisten Autor*innen sind die meisten Lesungen abgesagt. Ähnlich schwierig gestaltet es sich für den ganzen Kulturbereich.

Aber dann habe ich doch Lesungen, in größeren Räumen, mit wenigen Menschen, die ich nicht nah an mich heranlassen darf. Mit denen ich durch den MNS hindurch ein kurzes Gespräch führe. Ein Buch signiere. Denn ich sehe ein, dass dies so sein muss. Damit solche Veranstaltungen nicht zum Corona-Hotspot werden.

Wie eine Welle brandet Hass in mir auf – und so ein Gefühl soll man wirklich nicht füttern
Bild: Lou Probsthayn
Katrin Seddig

ist Schrift­stellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Sicherheitszone“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.

Ich halte Abstand, ich schüttele keine Hände, drücke niemanden an mich, lasse überhaupt so gut wie niemanden an mich heran und fühle bei aller leisen Verzweiflung, die dies in mir auslöst, auch Dankbarkeit, überhaupt lesen zu können. Jemand hat es möglich gemacht, jemand bezahlt mich, jemand zeigt Interesse, kommt und hört sich mich an. Dafür bin ich dankbar.

Aber die Verzweiflung wächst, wenn es so weitergeht, denke ich, und das wird es ja. Wir wollen im November unsere Lesebühne wieder aufmachen, wir sind zu viert und werden nur sehr wenige Menschen in unseren Raum lassen dürfen. Wir haben schon vorher mit dieser Veranstaltung nur sehr wenig Geld verdient, dann werden wir hoffentlich noch den Techniker bezahlen können.

Wir sind nicht alleine. Künstler*innen zeigen immer noch viel Engagement, sie machen Veranstaltungen, weil sie sie machen wollen, auch wenn sie kaum oder nichts mehr daran verdienen. Wir wollen niemanden anstecken, wir wollen kein Hotspot sein und nicht egoistisch. Auch wenn es uns unseren Verdienst kostet, vielleicht unsere Existenz.

Ich habe also eine trotz allem sehr schöne und mich beschwingende Lesung in Planten un Blomen im Musikpavillon. Es ist so ein letzter Sommer- oder eigentlich schon früher Herbstabend. Das Schöne und das Schmerzende liegen eng beisammen, auch in mir. Und so gehe ich in dieser Stimmung zu Fuß nach Hause, am Fernsehturm vorbei, auf dem Fußweg, der zur Sternschanze führt, und da findet doch zwischen den Blättern und Stämmen glatt eine Party statt. Satte Bässe, Leute mit Getränken in der Hand. Interessiert sehe ich rüber, sie stehen eng beisammen und trinken Bier. Niemand trägt eine Maske.

Ich laufe weiter, am Bahnhof vorbei, unter der Brücke hindurch, dann durch die Susannenstraße. Hier gibt es kein Virus mehr. Hier muss ich, die sich eben noch im disziplinierten, erzwungenen Abstand von Freunden und Interessierten befand, mich an einer Menge unmaskierter Menschen vorbeidrücken, durch sie hindurchdrängeln, niemand trägt auf der Straße einen MNS, natürlich nicht, und die Masse atmet mir gewaltig in mein maskiertes Gesicht. Die Kneipen und Restaurants sind voll. In Räumen, in die wir im Kulturbetrieb allenfalls fünf Leute setzen dürften, sitzen wenigstens fünfzig.

Für einen Moment fühlt es sich gut an. Es ist das normale, das pralle, sich drängelnde, kreischende, alberne, großspurige, betrunkene, jugendlich unbeschwerte Leben. Aber wie eine Welle brandet Hass in mir auf – und so ein Gefühl soll man wirklich nicht füttern. So ein Gefühl ist nicht nützlich und zerstört dich. Warum muss das Leben immer so schizophren sein?

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2 Kommentare

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  • Kann "das Leben" schizophren sein? Die Gesellschaft ist voller Widersprüche, so viel steht fest. Und sie verkraftet auch ein kleines bisschen Unvernunft, selbst in der Pandemie. Aber keiner weiß, wie viel sie davon verträgt. Nach fest kommt ab. Den Anflug von Hass kann ich nachvollziehen. Mit Gerechtigkeit hat das alles wenig zu tun. Die Vorstellung "vor dem Virus sind alle Menschen gleich" ist leider falsch.

    Nächste Woche besuche ich zum ersten Mal seit Februar ein Konzert -- wie hab ich das vermisst! -- wenn es bis dahin keinen erneuten Lockdown gibt.

  • Warum das Leben immer so schizophren sein muss? Nun ja. Vermutlich, weil sich Vernunft nicht erzwingen lässt. Sie lebt von der Freiheit - oder sie geht ein. Das kapiert nur leider nicht jeder.