Kürzungen bei Axel Springer: Allein ist schlecht streiten
Nach dem Sparprogramm bei Axel Springer bleiben weniger Leute für viele Kanäle. Betriebswirtschaftlich ergibt das Sinn, journalistisch nicht.
Wie viele Reporter*innen sind nötig, um von einem Fußballspiel zu berichten? Das wird jetzt kein Flachwitz, sondern ist eine Frage, die sich der Axel-Springer-Verlag in diesem Jahr gestellt hat. Die Antwort: Weniger als bisher. Das Berliner Medienhaus legt nämlich die Sportredaktionen von Welt und Bild zusammen. Das ist einer von vielen Punkten eines Sparprogramms, das der Verlag Anfang der Woche seinen Mitarbeitenden vorgestellt hat. Und man könnte ihn als den radikalsten bezeichnen.
Denn zwar mag dieser Schritt aus Sicht einer Unternehmensberater*in sinnvoll sein – Sportberichterstattung kostet viel Geld, und Tore sind Tore, richtig? –, aber für Springer bedeutet er, dass zum ersten Mal die einst penible Trennung der Marken Bild und Welt in der Redaktion aufgehoben wird.
Springer arbeitet mit diesen Marken nach außen von jeher sorgsam, Anspruch und Ansprache unterscheiden sich klar: Die Welt-Medien im kühlen Blau sollen für die Entscheider und die politisch interessierten Konservativen mit höherer Bildung sein. Die Welt ist die wesentlich kleinere, aber seriösere Marke, die Zeitung, die Verlegerin Friede Springer „liebt“, wie sie der Süddeutschen Zeitung verraten hat.
Die roten Bild-Medien dagegen sind die Erfolgstitel, die Massenmedien, der schillernde Boulevard. Trotz Auflagenverlusten ist die Bild mit Abstand die meistverkaufte Tageszeitung in Deutschland und bild.de eins der reichweitenstärksten Zeitungsportale im deutschen Netz. Deswegen soll auch diese Marke durch neue Kanäle ergänzt werden – ein Bild-Videokanal wird dazukommen –, während Blau kleiner wird. Es verschwinden die Nebenausgabe Welt kompakt (bekannt aus Flughäfen und Hotellobbys) und die Regionalausgabe Welt Hamburg. Klar, beim Umbau zum Digitalverlag sind kleinteilige Printausgaben wirtschaftlicher Ballast.
Einstieg in den Kürzungswettlauf
Weil der Axel-Springer-Verlag am digitalen Markt profitabel bleiben will, hat er sich kürzlich von dem US-Investor KKR von der Börse freikaufen lassen und will nun zweierlei. Erstens intensiv in die nichtjournalistische Sparte investieren, also in Anzeigen- und Vermarktungsplattformen, in den Bereich mit Aussicht auf Wachstum also. Und zweitens die journalistische Sparte digital umbauen und gleichzeitig stark zusammenkürzen: 50 Millionen Euro sollen hier in drei Jahren eingespart werden, damit am anderen Ende das Doppelte investiert werden kann.
Damit steigt nun auch Springer in einen Kürzungswettlauf ein, der anderswo schon lange begonnen hat. Wer sich die Zeitungsauslagen am Kiosk oder die Angebote im Netz betrachtet, bekommt zwar den Eindruck, dass in Deutschland journalistisch alles beim Alten ist: etliche Titel, überregional wie regional, Boulevard wie Qualität. Dahinter stehen aber immer kleiner werdende Verlage und Redaktionen.
Die größten Lokalverlage, Madsack, DuMont und Funke, beliefern ihre diversen Blätter längst zentral mit überregionalen Inhalten – Madsack und DuMont unterhalten seit vergangenem Jahr sogar eine gemeinsame Zentralredaktion in Berlin. Beim Berliner Verlag, gerade gekauft von einem Berliner Unternehmerpaar, schreiben seit 2016 dieselben Redakteur*innen für die Marken Berliner Zeitung und Berliner Kurier – ungeachtet der Tatsache, dass Erstere Qualitätsjournalismus verspricht und Letztere Boulevard, also zwei grundverschiedene Herangehensweisen an Journalismus.
Womit wir wieder bei Springer wären. Nicht nur die Trennung zwischen Qualität und Boulevard verschwindet dort, auch innerhalb der roten Gruppe wird rationalisiert: bei Bild, bild.de, Bild am Sonntag und der Berliner lokalen B.Z. Keine der Marken wird verschwinden, aber es wird weniger Inhalte geben, vor allem weniger verschiedene Inhalte zum selben Thema. Bild und BamS „rücken zusammen“, wie es euphemistisch heißt.
Die Redaktionen von Bild und B.Z. konzentrieren sich aufs Überregionale beziehungsweise aufs Lokale und beliefern sich dann gegenseitig mit dem jeweils anderen. Bisher arbeiteten die Redaktionen unabhängig voneinander, die B.Z. machte sogar zeitweise Eindruck mit eigener überregionaler Themensetzung auf ihrer Seite eins und stellte damit die große Schwester in den Schatten.
Redaktioneller Einheitsbrei
Und hier kommen wir zum journalistischen Problem, das beim Zusammenkürzen von Redaktionen allerorten entsteht, neben dem sozialen Problem, dass Mitarbeitende auf der Strecke bleiben: Vielfalt und Konkurrenz, auch innerhalb der Verlagshäuser, beleben den Journalismus. Wenn Redaktionen zeitgleich an ähnlichen Themen arbeiten, führt das unweigerlich zu dem Bedürfnis, einander zu toppen: mit der schnelleren Exklusivnachricht, dem besseren Dreh, dem witzigeren Titel. Das gilt auch dann, wenn letztlich derselbe Arbeitgeber dahintersteht.
Journalismus kann eine mühselige Angelegenheit sein, es geht immer alles noch schneller, noch genauer, noch hintergründiger, wenn man denn bereit ist, die Zeit zu investieren. Klicks hingegen gibt es meistens schon für die krasse, schnell vom Schreibtisch aus hingeschriebene These. Der Drang, einem Thema doch noch einmal genauer nachzugehen – doch noch einmal zu telefonieren oder Dokumente zu wälzen – entsteht letztlich durch den Ehrgeiz, schneller und besser sein zu wollen als die anderen.
Ganz abgesehen davon, dass Journalist*innen fast alle ihre Spezis haben, ihre üblich-verdächtigen Kontakte in Politik, Wirtschaft oder Zivilgesellschaft, die ihnen Informationen oder Zitate liefern und Interviews geben, kommt es dabei nicht selten zu einer problematischen Co-Abhängigkeit beider Seiten.
Und gleichermaßen haben Journalist*innen ihre Antispezis, mit denen sie es sich verscherzt haben oder mit denen sie einfach nie warm geworden sind. Kurzum, wo immer weniger Journalist*innen an einem Themenbereich arbeiten, werden die Geschichten einförmiger und einseitiger. Und das passiert bereits, wo Redaktionen zusammengelegt und verkleinert werden und wo Redakteur*innen lieber das Minimum recherchieren, weil sie ihren Text nachher noch für eine weitere Ausgabe und einen weiteren Onlinekanal umschreiben müssen.
Bei Bild kommt erschwerend hinzu: Wenn nach und nach immer mehr Redaktionen in der Bild aufgehen, wird der Springer-Journalismus allmählich, aber sicher zur Julian-Reichelt-Show werden. Noch vor wenigen Jahren hatte jede Springer-Marke eine starke Persönlichkeit an der Spitze. Mittlerweile sind Bild und bild.de unter dem Goldene-Kartoffel-Preisträger Reichelt vereint, Bild am Sonntag dürfte demnächst folgen. Streiten könnte Reichelt dann nur noch mit Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt. Vielleicht über Fußball.
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