Kritische Rohstoffe: Die EU ruft nach dem Bergbau
Ohne Metalle keine Transformation. Europa muss fast alle importieren. Deshalb will die EU nun auf Recycling und heimische Rohstoffe setzen.
„Wir hoffen, dass wir im Laufe des Jahres 2026 mit der Zinn-Förderung anfangen können“, sagt Thomas Bünger, Geschäftsführer der Saxore Bergbau GmbH mit Sitz in Freiberg, eins von 35 Unternehmen der Bergbaubranche, die sich im Rahmen des neuen „Berggeschreis“ in Sachsen niedergelassen haben.
Mit der Förderung von Lithium, Gallium oder Silber begonnen hat allerdings noch keines. Experten gehen nicht davon aus, dass im Erzgebirge in den nächsten zehn Jahren Dutzende Bergwerke eröffnet werden. Zwei bis drei Projekte könnten eine Genehmigung erhalten, und die Freiberger Saxore ist in den Verfahren schon weiter fortgeschritten als andere. Sie will mehrere Metalle fördern, darunter Zinn, Antimon, Indium, Gallium, Silber.
Einige dieser Stoffe führt die EU auf ihrer Liste „kritischer Metalle“; sie werden für die Transformation der Wirtschaft dringend benötigt, für Photovoltaik, Turbinen, Batterien, und ihre sichere und günstige Versorgung auf dem Weltmarkt ist nicht gewährleistet. Das Problem ist nicht neu, doch der Angriff Russlands auf die Ukraine und das neue Selbstverständnis Chinas haben es verschärft.
Kurzer Prozess geplant
Die EU reagiert darauf mit dem „Critical Raw Materials Act“. Am Dienstag verhandeln Parlament, Kommission und Rat der Europäischen Union darüber, wie dieses „Gesetz über kritische Rohstoffe“ genau formuliert sein soll. Weil das Thema drängt, könnte das Vorhaben ungewöhnlich schnell vorangehen: Bis Ende des Jahres soll verhandelt werden, im Frühjahr könnte das Gesetz verabschiedet werden. Die Folgen währen weitreichend.
Trilogverfahren finden klassischerweise hinter verschlossenen Türen statt, der genaue Verhandlungsstand ist unbekannt. Im Kern geht es um mehr heimischen Bergbau, mehr Recycling und stabilere Lieferpartnerschaften mit sicheren Herkunftsländern. Die EU will Zielvorgaben machen, wie viele der „kritischen Rohstoffe“ aus Recycling und wie viele aus europäischem Bergbau stammen müssen. 34 „kritische Stoffe“ führt sie auf ihrer Liste, von Antimon über seltene Erden bis zu Vanadium.
„Das Bewusstsein dafür ist groß, dass wir in Sachen kritische Rohstoffe mehr europäischen Bergbau brauchen“, sagt Nicola Beer. Die FDP-Politikerin führt die Trilogverhandlungen für das EU-Parlament. Hierbei gelte es, Genehmigungsverfahren zu straffen und Projekte schneller zu genehmigen. Es gehe nicht darum, die Umweltstandards zu senken oder die Mitsprache der Bürgerinnen und Bürger einzuschränken, betont sie, „die Beschleunigung bewirken wir durch Bündelung“. Sie stellt sich einen „One Stop Shop“ vor – eine einzige Stelle, an der alle Verfahren eines strategischen Bergbauprojekts von der Umweltverträglichkeitsprüfung bis zur Bauplanung und Verkehrsanbindung zusammenlaufen.
Sieben lange Jahre
„Es ist gut, dass sich Europa jetzt um das Thema kümmert“, sagt Bünger. Vor allem die 2-Jahres-Frist, die diskutiert wird, hält er für notwendig. Seit dem Jahr 2011 arbeitet die Saxore an dem Projekt. 2019 erteilte das zuständige Sächsische Oberbergamt aus Freiberg ihr eine Aufsuchungsgenehmigung. Das heißt, die 20-Mann-Firma durfte in dem benannten Gebiet nach Zinn suchen. Die noch im selben Jahr erteilte Gewinnungsberechtigung erlaubte dem Unternehmen, die Anträge für die weiteren Genehmigungsverfahren zu stellen – das Raumordnungsverfahren, die Umweltverträglichkeitsprüfung oder das Planfeststellungsverfahren. Die Dauer aller Genehmigungsverfahren ist schwer vorhersehbar, Bünge hofft auf insgesamt sieben Jahre.
Bernhard Cramer kennt die Vorwürfe, die Verwaltungen arbeiteten zu bürokratisch und zu langsam. Er leitet das Sächsische Oberbergamt in Freiberg, bei dem alle Genehmigungsverfahren über sächsische Bergbauprojekte zusammenlaufen. „Unsere Verfahren dauern, weil die Unternehmen bei uns umfangreiche Unterlagen und Planungen vorlegen müssen, damit wir rechtssichere Entscheidungen treffen können“, sagt er. Die aufwändigen und langen Verfahren seien nötig, damit im Vorfeld möglichst alle Konflikte gelöst werden könnten, die ein Bergwerk für Umwelt und Bevölkerung bedeuten könnte.
Für das Zinnbergwerk in Breitenbrunn bedeutet das etwa, dass der zu erwartende Verkehr berechnet werden muss. Das Ergebnis der Verkehrsstudie gefiel den Breitenbrunnern allerdings gar nicht: Täglich zwischen 8 und 18 Uhr sollen bis zu zehn Lkws pro Stunde über die Staatsstraße im Erzgebirgstal fahren, und das für die nächsten 10, vielleicht 25 Jahre. Diese Belastung sei zu groß, finden die Anwohner.
Komplexe Genehmigungsverfahren
Also hat die Saxore eine weitere Verkehrsstudie in Auftrag gegeben, die nun ermitteln soll, wie der Verkehr „noch effizienter organisiert werden könnte“, so Bünger. Ist es nicht richtig, vor solch großen Projekten Zeit in die Planung zu stecken, um Fehler und Belastungen im Vorfeld so klein wie möglich zu planen oder gar auszuräumen? „Um die Firma Saxore GmbH zu betreiben, brauchen Sie im Monat 100.000 Euro“, sagt Bünger trocken, „sie können die Investoren nicht ewig hinhalten“,
Ferdinand Pavel, Ernst & Young
Im vergangenen Jahr hat die Unternehmensberatung Ernst & Young im Auftrag der Bundesregierung die Genehmigungsverfahren im Rohstoffsektor untersucht. Ergebnis in der Kurzfassung: Die Verfahren werden komplexer, es gibt mehr Initiativen zur Rohstoffgewinnung – doch „in den Behörden gibt es keinen Personalaufbau, es gibt immer weniger Kompetenz vor allem in den unteren Genehmigungsbehörden, aber auch in den Bergämtern“, sagt Studienautor Ferdinand Pavel von Ernst & Young. „Dabei sind die Gesetze und Vorschriften nicht das Problem, sondern Teil der Lösung“, sagt Pavel. Zwar sei etwa die bei Unternehmen berüchtigte UVP – die Umweltverträglichkeitsprüfung – eine hohe Hürde. „Aber wenn man da einmal drübergesprungen ist, dann hat man auch Ansprüche und Rechtssicherheit“, so Pavel. Zunächst „fundamental erscheinende Gegensätze zwischen Bergbau und Naturschutz lassen sich auflösen“, sagt der Ökonom, „es gibt etwa Konzepte wie ‚Natur auf Zeit‘, bei dem Lebensräume als Ausgleich geschaffen werden“.
Die Einwände der Breitenbrunner allerdings lassen sich kaum auflösen: Sie halten generell nichts von dem Projekt. „Die Firma hat ihren Sitz nicht vor Ort“, sagt der parteilose Ortsbürgermeister Lars Dsaak, „wir hätten also die Belastungen, bekämen aber nicht einmal Gewerbesteuern.“ Es sei nicht einmal sichergestellt, dass die geförderten Metalle am Ende in Europa blieben – „hinterher werden sie nach China verkauft“, befürchtet Dsaak. Er vermisst echte Beteiligungsverfahren.
Zwar habe sich die Saxore einige Male mit seinem Amtsvorgänger getroffen und das Projekt auch im Gemeinderat vorgestellt.„Aber mehr als eine Stellungnahme abgeben können wir nicht“, sagt Dsaak. Auf die rund 100 Arbeitsplätze, die im Bergwerk entstehen sollen, lege man in der Gemeinde keinen großen Wert: „Wir haben hier Fachkräftemangel.“ Inzwischen gründet sich im Breitenbrunner Ortsteil Rittersgrün eine Bürgerinitiative gegen das Projekt. „Natürlich hat der Bergbau hier Tradition“, sagt Dsaak, „aber wir haben hier jetzt ganz auf Tourismus gesetzt, und unsere Natur ist uns heilig.“ Und überhaupt: Es sei so viel Zinn im Umlauf, den Bedarf könne man aus Recycling decken.
Man benötige beides, sagt Unternehmensberater Pavel, Recycling und mehr Bergbau. Irgendjemand werde in den sauren Apfel beißen müssen. „Es wird Leute geben, die werden von ihrem Schlafzimmer aus Windmühlen sehen und andere haben Bergbau vor der Tür. Dabei muss es gerecht und transparent zugehen, dafür helfen gleiche Regeln, am besten auf europäischer Ebene.“
Es sei doch so, sagt Bergamtschef Cramer: Weltweit glaubhaft für Klimaschutz und die Transformation der Wirtschaft eintreten, das könne Europa nur dann, wenn es die dafür notwendigen Rohstoffe auch in Europa gewinnen würde. „Wir leben hier in einer der reichsten Regionen der Erde und nutzen die Rohstoffe aus ärmeren Ländern, das geht nicht.“
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