Kritik an neuer Pflegereform: Dumping per Tarifvertrag
Die Pflegereform sei missbrauchsanfällig, sagt Verdi und fordert Nachbesserungen. Gerade falsche Gewerkschaften müssten gebremst werden.
Aber Gewerkschaften und Opposition übten am Mittwoch Kritik an dem Gesetz. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi forderte Nachbesserungen. „Es gibt im Gesetzentwurf keinen Mechanismus, der Gefälligkeitstarifverträge zwischen Pseudogewerkschaften und Pflegeanbietern, die weiterhin keine faire Löhne zahlen wollen, ausschließt“, sagte Vorstandsmitglied Sylvia Bühler.
Auch mit solchen Tarifverträgen seien dann die Voraussetzungen für einen Versorgungsvertrag erfüllt. Andere Arbeitgeber könnten dann ebenfalls solche Dumpingtarifverträge bei der Bezahlung abschließen, argumentierte Bühler. Das alles sei sehr missbrauchsanfällig und müsse abgestellt werden.
Deshalb solle in dem Gesetz ausschließlich auf relevante Flächentarifverträge Bezug genommen werden. „Wir brauchen ein Gesetz, das wasserdicht ist gegen die absehbaren Versuche vor allem der kommerziellen Pflegeanbieter, Schutzwirkungen für die Beschäftigten zu umgehen.“
Auch vom DGB kam Kritik. „Die vorgesehene Kostenerstattung von Pflegeleistungen bei Tarifbindung bringt den meisten Beschäftigten nichts, solange nicht bundesweit ein guter allgemeinverbindlicher Tarifvertrag gilt“, sagte Vorstandsmitglied Anja Piel. „Eine Tarifbindung ohne diesen Tarifvertrag ist aber ein zahnloser Tiger und zementiert allenfalls das große Lohngefälle zwischen Ost und West, Süd und Nord.“ Die nächste Bundesregierung müsse eine Pflegereform anstoßen, die diesen Namen verdiene.
Was wird aus den Menschen?
Die Opposition sah die Reform ebenfalls skeptisch. „Spahns Paket reicht nicht, um Pflege attraktiver zu machen“, sagte Linkspartei-Chefin Janine Wissler. „Der kleine Fortschritt bei den Tarifverträgen bedeutet noch keine umfassende Aufwertung des Berufs. Damit wird sich auch am Pflegenotstand nichts ändern.“
Spahns Reform könne nicht verhindern, dass die Kosten auf die Pflegebedürftigen und die Beitragszahlerinnen abgewälzt würden, weil er die unzureichende Pflegeversicherung nicht angehen wolle. „Die beschlossenen Zuschläge werden nicht reichen, um Pflegebedürftige vor steigenden Kosten zu schützen.“
Kordula Schulz-Asche, die Pflegeexpertin der Grünen-Bundestagsfraktion, sagte, dass sich der Reformbedarf der Pflegeversicherung in den zurückliegenden Jahren angehäuft habe und schwer auf den Schultern der Pflegebedürftigen und ihren Familien laste. „Was die jetzige Bundesregierung als Änderungsanträge zu einem Aller-Welt-Gesetz vorlegt, ist keine Pflegereform und lässt die Schuldenuhr bei den pflegebedürftigen Menschen immer schneller ticken.“
Alles deute darauf hin, dass die Regierung nicht in der Lage sei, die Probleme in der Pflege zu lösen. Stattdessen stellten ihre Versäumnisse die künftige Regierung vor eine horrende Herausforderung. „Wir wollen die Eigenanteile sofort senken und dauerhaft deckeln, um die pflegebedürftigen Menschen und ihre Familien zu entlasten“, sagte Schulz-Asche.
Die pflegepolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Nicole Westig, bezeichnete die Reform als „Stückwerk“. Sie thematisiere beispielsweise die mehr als zwei Drittel der Pflegebedürftigen, die zu Hause gepflegt würden, überhaupt nicht. „Die pflegenden Angehörigen brauchen dringend mehr Entlastung“, betonte Westig.
„Die Große Koalition muss außerdem klären, dass flächendeckende Tarifverträge rechtssicher und verfassungskonform sind.“ Auch bei den steigenden Eigenanteilen für stationäre Einrichtungen greife die Reform zu kurz. Wer einerseits höhere Löhne für Pflegekräfte und andererseits geringere Eigenanteile verspreche, müsse sagen, wie er das solide finanzieren wolle.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Klimakiller Landwirtschaft
Immer weniger Schweine und Rinder in Deutschland