Kritik an Lösung für 49-Euro-Ticket: Autobahn statt Nahverkehr
Umweltverbände finden es falsch, dass für das 49-Euro-Tickets langfristig nicht genug Geld da ist. Der Bund investiere an der falschen Stelle.
Jetzt aber werde sich schon in wenigen Monaten wieder die Frage stellen, wer die Kosten für die beliebte Fahrkarte tragen muss. Mehr als zehn Millionen Menschen haben das 49-Euro-Ticket, mit dem sie in ganz Deutschland den Nahverkehr nutzen können, inzwischen abonniert. Auch eine Million Neukunden begrüßten die Verkehrsbetriebe.
Ganz schön viele. Da war der Druck auf Kanzler Olaf Scholz (SPD) und die Ministerpräsident:innen der Bundesländer groß, die Zukunft des Fahrscheins bei ihrem Gipfel Anfang der Woche zu sichern. Weil das Deutschlandticket erst im Mai 2023 auf den Markt kam, wurde das Budget – 3 Milliarden Euro – für dieses Jahr nicht aufgebraucht. Übrig bleiben laut einer Schätzung der Verkehrsunternehmen 2023 rund 700 Millionen Euro.
Dieses Restgeld wollen Scholz und die Länderchef:innen ins nächste Jahr mitnehmen. 3 Milliarden sind ohnehin für 2024 schon fix, Bund und Länder zahlen je 1,5 Milliarden Euro für das Ticket. Die Landesverkehrsminister:innen sollen nun ein Konzept für die weitere Finanzierung und die Entwicklung des Ticketpreises erarbeiten. Das könne auch „eine Erhöhung beinhalten“, hieß es in dem Beschluss von Kanzler und Ministerpräsident:innen.
„Ein Nicht-Beschluss!“
Das hieße, die Kund:innen vor den Kopf zu stoßen. „Dieser Beschluss zum Deutschlandticket ist ein Nicht-Beschluss: Nichts ist gelöst“, kommentiert Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) auf Anfrage der taz. „Der Ball wird wieder an die VerkehrsministerInnen zurück gespielt.“ Seit der Einführung des Tickets hätten sich die Landesressortchef:innen für eine 50-50-Kostenverteilung und die Übernahme zusätzlich entstehender Kosten durch Bund und Länder eingesetzt – „leider erfolglos!“, so Hermann.
Die Verkehrsunternehmen schätzen, dass das Deutschlandticket und hohe Energiepreise 2024 Mehrkosten von rund 1,1 Milliarden Euro verursachen. Abzüglich des Rests aus 2023 blieben etwa 400 Millionen Euro übrig, die aufgetrieben werden müssten. Bund und Länder wollen genaue Zahlen ausrechnen lassen. „Solange wir nicht wissen, ob das Deutschlandticket Verluste produziert, müssen wir die Finanzierungsdebatte beenden und mehr Leute für das Ticket gewinnen“, etwa mit einem bundesweit einheitlichen Semesterticket, meint Isabel Cademartori, verkehrspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion.
Das Problem: Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) hat dem Vorschlag für ein Semesterticket von rund 29 Euro im Monat bisher nicht zugestimmt – obwohl es den Ländern zufolge in einem solidarischen Modell keine Mehrkosten verursachen würde. „Schwierig ist auch, dass wir immer noch kein bundesweites Sozialticket haben“, merkt Kaas-Elias vom ökologischen Verkehrsclub VCD an. Für viele Menschen, zum Beispiel für Bürgergeldempfänger:innen, seien 49 Euro im Monat zu viel.
Auch Minister Wissing will „den Ticketpreis niedrig und attraktiv halten“. Zum Beispiel: mit mehr Werbung für das Ticket, um Kund:innen zu gewinnen und so die Einnahmen zu steigern. Oder: mit einer Entschlackungskur für die Strukturen in den Verkehrsverbünden, die das Ticket vertreiben.
Sparen bei klimaschädlicher Infrastruktur
Clara Thompson, Mobilitätsexpertin bei Greenpeace, sieht an anderer Stelle Einsparmöglichkeiten: „Im Deutschlandpakt ist vorgesehen, klimaschädliche Infrastruktur beschleunigt auszubauen und zu finanzieren.“ Der „Pakt für Planungsbeschleunigung“ war ebenfalls Thema beim Treffen zwischen Scholz und den Ministerpräsident:innen. Er soll mehr Tempo bei Infrastrukturprojekten – etwa im Verkehr, im Wohnungsbau oder im Energiesystem – möglich machen. Bund und Länder einigten sich in einem 28 Seiten starken Papier auf mehr als hundert Maßnahmen, zum Beispiel für den schnellen Ausbau von Schienenwegen, aber auch für vom Bund geplante Autobahnstrecken.
Jetzt schlagen Umweltverbände Alarm, nicht nur wegen der Straßenprojekte. „Vorhaben drohen nach reiner politischer Opportunität, nicht nach wissenschaftlichem Konsens umgesetzt zu werden“, mahnt Magnus Wessel, BUND-Leiter im Bereich Naturschutzpolitik. Laut dem Pakt können demnächst Umweltverträglichkeitsprüfungen oder Erörterungstermine vor Ort wegfallen. Wessel fordert stattdessen: klare Prioritäten bei den geplanten Projekten, mehr Personal in den Behörden und die Zusammenführung von Daten, zum Beispiel über die in einem Baugebiet lebenden Arten.
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