Krise der Demokratie: Verlust an Tiefenschärfe
Beim Ruf gegen rechts findet man sich selbst meist ziemlich gut. Nur: Was soll „Haltung zeigen“ für die Demokratie eigentlich heißen?
A lle wollen jetzt glänzen für die Demokratie, „zusammenstehen“, „ein klares Zeichen setzen“. In Zeitungen werben Anzeigen für „Zusammenland“, gesprenkelt mit Logos von stramm undemokratisch organisierten Firmen von Siemens über Telekom bis Microsoft, Sandoz und Weleda. Auch der autobiografisch angebräunte Freie Wähler Hubert Aiwanger sieht in seiner Partei „das starke Bollwerk der Demokratie“.
Und die SPD hat mit Demokratieretten endlich wieder ein Thema, während Generalsekretär Kevin Kühnert bei Maybrit Illner erfolgreich vermeidet, auch nur einen Fitzel Verantwortung für die umfragig aufgeblähte AfD beim Regierungshandeln der Ampel zu orten. „Farbe bekennen“ ist die neue Mode, von Kameras umwirbelt.
Die Schönen und Berühmten auf der Berlinale machen eine – ehrlich gesagt: eher peinliche – Telefontaschenlampen-Menschenkette um sich selbst und skandieren „Es lebe die Demokratie!“ Filmschaffende stammeln politisch Korrektes in öffentlich-rechtliche Mikrofone und es gibt – Merchandising ist schneller als jeder Gedanke – die passenden Buttons „Berlinale gegen Rechtsextremismus“ (rotlila).
Aber zu wem reden all die tapfer Zusammenstehenden? Wen wollen sie überzeugen? Politiker, die sich als Belehrer missverstehen, loben den „Aufstand der Anständigen“ fürs „mutige Engagement“. Das Wohlige daran wirkt wie Kurzurlaub von den Ambivalenzen und Dilemmata im Umgang mit der AfD. Der Preis ist ein schmerzlicher Verlust von Tiefenschärfe. Wie bei „Gemeinsam gegen Corona“ oder „Stand with Ukraine“ wirkt das demonstrative Unterhaken zuerst rührend, dann befremdlich, und bald ziemlich nervig, weil wohlfeil, unterkomplex und einfallslos.
Der Verdacht drängt sich auf, dass es darum geht, der eigenen Standfestigkeit zu applaudieren, sich an der eigenen Besorgtheit zu beschwipsen, während man beständig wiederholt, wie wichtig „Haltung zeigen“, ist, „gegen rechts“. Und keiner sagt dazu, was genau damit gemeint sein könnte. Oder was man womöglich übersieht im Kampf für die Demokratie.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl