Kriegsverbrechen des IS im Irak: Frauen als Beute
Versklavt und zwangsverheiratet: Nach Gefangennahme teilt der IS Jesidinnen unter seinen Kämpfern auf. Unter Berufung auf den Koran.
BERLIN taz | Es ist ein Dokument der Anmaßung. In einer Onlinepropagandaschrift brüstet sich die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) damit, dass sie gefangene Frauen und Kinder aus der Minderheit der Jesiden versklavt und an ihre Kämpfer verkauft. Das deckt sich mit einem aktuellen Bericht der Organisation Human Rights Watch, die Zeugen im Nordirak befragt hat und Fälle von Zwangsverheiratung und Zwangskonversion dokumentiert hat.
Als die IS-Milizen vor zwei Monaten in die traditionell von Jesiden besiedelte Region um die nordirakische Stadt Sindschar vorgerückt waren, trieben sie Zehntausende Angehörige der Minderheit in die Flucht. Die Flüchtlinge berichteten später von willkürlichen Ermordungen ihrer Angehörigen, aber auch von Verschleppungen von Frauen und Kindern.
Laut Human Rights Watch hält der IS noch immer Hunderte Jesiden gefangen. Junge Frauen und Kinder seien systematisch von ihren Familien getrennt, die Mädchen für 1.000 US-Dollar an IS-Kämpfer verkauft oder in Massenhochzeiten mit diesen zwangsverheiratet worden. Die Männer und Jungen müssten sich zum Islam bekennen und würden dann als Dschihadisten rekrutiert. Auch Christen, Schiiten und Turkmenen verschiedener muslimischer Konfessionen würden gefangen gehalten.
Nun geben Propagandisten des IS diese Praxis offen zu: „Nach der Gefangennahme wurden die jesidischen Frauen und Kinder gemäß der Scharia unter den Kämpfern aufgeteilt“, heißt es in der jüngsten Ausgabe ihres englischsprachigen Magazins Dabiq. Diese Versklavung sei eine Tradition aus der Zeit des Propheten, die der IS nun wieder zu beleben trachte. Das Propagandapapier vermeidet zwar den Begriff „Vergewaltigung“, sondern spricht von „Kriegsbeute“, „Versklavung“ und „Konkubinen“. Es ist aber unschwer zu verstehen, welches Schicksal den Frauen zugedacht ist.
Vulgärtheologische Argumente
Unter Berufung auf Koranzitate und „Hadithe“ genannte Überlieferungen aus der Zeit des Propheten versuchen die Autoren, ihre Verbrechen mit vulgärtheologischen Argumenten zu rechtfertigen. Die Jesiden, die seit Jahrhunderten in der Region leben, seien heidnische „Teufelsanbeter“, deren pure Existenz ein Frevel sei, und daher anders zu behandeln als Juden und Christen, die als Anhänger von Buchreligionen von Muslimen unter bestimmten Bedingungen toleriert werden könnten.
Diese Argumentation betrachtet der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, als Affront: Der Islam sei vor 1.400 Jahren angetreten, die Sklaverei auszumerzen, die es damals in der arabischen Welt gegeben habe. Das sei die Sichtweise der Mehrheit der muslimischen Gelehrten weltweit. „Solche Positionen sind nicht nur rückständig, sondern religiös nicht haltbar“, ärgert sich Mazyek. Sklaverei sei ein Verbrechen, Punkt.
Dabiq ist eine Hochglanzpostille aus dem Umfeld des IS, die sich, auf einschlägigen Dschihadisten-Websites und über Twitter verbreitet, an ein englischsprachiges Publikum weltweit richtet. Der Name bezieht sich auf einen Ort nahe von Aleppo, der Schauplatz einer historischen Schlacht zwischen Mameluken und Osmanen war und für die Dschihadisten die Symbolstätte eines mythischen Endkampfs ist.
Angst machen
„Eine Publikation aus dem Inneren des IS“, nennt der Journalist Yassin Musharbash, Terror-Experte der Zeit, das Propagandaorgan, aber „eher offiziös als offiziell“. Dabiq illustriere und propagiere die Ideologie des selbst ernannten „Kalifats“ und sei „sehr eng dran an der Führung des IS“, meint der Experte Guido Steinberg. „Nicht überraschend“ findet er die religiöse Argumentation. Ein Ziel solle man aber nicht übersehen: „Es geht auch darum, uns Angst zu machen“, so Steinberg.
Im Gebirge bei Sindschar sollen sich immer noch fast Zehntausende von Jesiden aufhalten, die dringend humanitäre Hilfe wie Zelte und Decken bräuchten. Der IS habe letzte Woche drei kurdische Dörfer überrannt, die eine Flucht in den Norden Syriens ermöglicht hätten, den die syrische Kurdenpartei PYD kontrolliert, berichtet die kurdisch-nordirakische Nachrichtenagentur Rudaw unter Berufung auf einen General der kurdischen Peschmerga.
Anfang August waren rund 80.000 überwiegend jesidische Bewohner in die Berge geflohen, nachdem die Dschihadistenmiliz die Region um Sindschar überrannt hatten. Mithilfe von US-Luftschlägen und kurdischen Kämpfern konnten sie gerettet werden. Viele leben seitdem im kurdischen Autonomiegebiet im Nordirak als Flüchtlinge.
Vergewaltigung als Waffe
Vergewaltigung wird systematisch als Waffe eingesetzt, auf allen Kontinenten und in allen Konflikten – als Machtmittel und mit dem Willen, politische Gegner oder ganze ethnische oder religiöse Gruppen zu demütigen oder gar auszulöschen. Allein im Bürgerkrieg im Kongo sollen seit 1996 eine halbe Million Frauen vergewaltigt worden sein, schätzen Menschenrechtsorganisationen. Gerade die Aussicht, in Rebellengruppen straflos Frauen und Mädchen vergewaltigen zu können, motiviere viele Männer, sich solchen Milizen anzuschließen, sagt Monika Hauser von medica mondiale.
In den Flüchtlingslagern des Libanon, Jordaniens und der Türkei wird von Frauen berichtet, die vor dem syrischen Bürgerkrieg geflohen sind und nun abtreiben lassen wollen, weil sie vergewaltigt wurden – ob durch Soldaten, regierungstreue Milizen oder Rebellen. In der Region steht das reine Überleben im Vordergrund, therapeutische Angebote oder gar Frauenzentren für Vergewaltigungsopfer gibt es kaum. Stattdessen ist ein informeller Heiratsmarkt entstanden, wo sich Witwen und andere Frauen aus Syrien und dem Irak an einheimische Männer oder aus dem Arabischen Golf wenden.
Erst im Juni 2104 fand in London eine globale Konferenz unter dem Titel „End Sexual Violence in Conflict“ statt. An diesem bislang größten Treffen zum Thema nahmen unter anderem der britischen Außenminister William Hague und die Schauspielerin Angelina Jolie teil. Ziel ist es, die Strafverfolgung bei systematischer sexueller Gewalt zu erleichtern und die Betroffenen besser zu schützen. Teilnehmerinnen und Teilnehmer hoben hervor, es sei besonders wichtig, dass die Opfer nicht als von der Gesellschaft Ausgestoßene behandelt werden – sondern als tapfere Überlebende.
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