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Krieg in der UkraineSorge nach Beschuss von AKW

Einer von drei laufenden Reaktoren soll laut ukrainischer Energiebehörde vom Netz genommen worden sein. Es drohe der Austritt von radioaktiven Substanzen.

4. August 2022: Russischer Soldat vor dem ukrainischen AKW in Saporisch­schja Foto: Alexander Ermochenko/reuters

Kiew taz | Nach dem Beschuss des größten europäischen Atomkraftwerkes, des AKW Saporischschja in Enerhodar, herrscht bei der Internationalen Atomenergiebehörde IAEO Panik. Zeitnah will die Organisation eine Delegation in das Kraftwerk entsenden. Ob das klappen wird, ist indes fraglich. Die Organisation bemüht sich schon seit Monaten um Zutritt. Bisher ist die ukrainische Atomenergiebehörde Energoatom gegen einen derartigen Besuch gewesen, weil sie fürchtet, dass ein derartiger Besuch die Besetzung des AKWs durch Russland legitimiere.

Am 5. August hatten russische Truppen laut Energoatom das AKW zweimal angegriffen. Dabei sei auch eine Hochspannungsleitung zerstört worden. Außerdem habe die russische Armee das Kernkraftwerk mit Mehrfachraketen angegriffen, die in der Nähe eines Reaktors eingeschlagen seien.

Einen von drei laufenden Reaktoren habe man wegen der zerstörten Hochspannungsleitung vom Netz nehmen müssen, berichtet Energoatom. Zudem seien bei diesen Angriffen eine Stickstoff-Sauerstoff-Station und ein Nebengebäude schwer beschädigt worden, es bestehe weiterhin die Gefahr des Austritts von radioaktiven Substanzen und auch die Feuergefahr sei hoch.

Bei Energoatom meint man zu wissen, warum sich die russischen Streitkräfte zu so einem Angriff entschieden hätten, obwohl sie selbst Kontrolle über das Kraftwerk haben. In einer von Energoatom auf Te­le­gram veröffentlichten Erklärung heißt es: „Dieser Akt von Nuklearterrorismus im AKW Saporischschja, der Artilleriebeschuss, zielt darauf ab, die Infrastruktur des Kraftwerks zu zerstören, alle Stromleitungen zu beschädigen, über die das ukrainische Stromnetz versorgt wird, und die Stromversorgung im Süden des Landes zum Zusammenbruch zu bringen“, berichtet republicworld.com. Russland hingegen wirft der Ukraine den Beschuss des AKWs vor, berichtet BBC.

Russland soll Minen um AKW gelegt haben

Am Freitag berichtet Ukrinform unter Berufung auf die ukrainische Aufklärung, dass Russland das Territorium des AKWs vermint habe. Die Russen hätten das AKW Saporischschja zu einer Militärbasis gemacht, erklärte Petro Kotin, Chef von Energoatom. 500 russische Soldaten und 50 Einheiten Militärtechnik stünden dort. Direkt zwischen den Reaktoren hätten sie Raketenwerfer aufgestellt, zitiert das Portal Fakty.com.ua den Chef von Energoatom.

Der gewählte Bürgermeister von Enerhodar, wo sich das AKW Saporischschja befindet, Dmitro Orlow, berichtet von einem unheimlichen Druck, dem die ukrainischen Mitarbeiter des AKWs ausgesetzt seien. So hätten die russischen Soldaten alle Schutzräume für sich in Beschlag genommen. Im Fall einer Katastrophe seien die ukrainischen Mitarbeiter schutzlos.

Immer mehr Bewohner der Stadt Enerhodar verlassen diese. Doch wer rauswolle, müsse fünf bis sechs Tage an den russischen Checkpoints warten. Inzwischen habe die Hälfte der 50.000 Bewohner die Stadt verlassen, so Bürgermeister Orlow laut BBC.

Die Atomexpertin Olga Kosharna, ehemalige Mitarbeiterin der staatlichen Regulierungsbehörde, kritisiert auf ihrer Facebook-Seite die harte Haltung von Energieminister Herman Halusch­tschenko und Ener­go­atom-Präsident Kotin gegen eine IAEO-Mission nach Enerhodar: „Ihre Erklärungen gegenüber den Medien über die Gründe für die Ablehnung einer solchen Mission im Kraftwerk Saporischschja haben meiner Meinung nach die Beziehungen der Ukraine mit der IAEO dramatisch verschlechtert.“

Möglicherweise wird das AKW Saporischschja noch eine Weile in den Schlagzeilen bleiben. Wie es dann weitergehe, könnten auch viele Beobachter nicht sagen, meldet die BBC unter Berufung auf das amerikanische Institute for the Study of War. Schließlich werde ein ukrainischer Gegenangriff nicht nur die Ostküste, sondern auch die Region Saporischschja treffen.

Und das beim Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrat der Ukraine angesiedelte Zentrum für die Verhinderung von Desinformation, so berichtet Radio Liberty, geht davon aus, dass das AKW Saporischschja beim Gegenangriff des ukrainischen Militärs eine Rolle spielen wird. Genau deswegen würden die russischen Truppen ihre „atomare Erpressung fortführen“.

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7 Kommentare

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  • einmal ganz zynisch gesprochen, ist das für Russland nicht die optimale Lösung? Keine Atombombe, aber ein explodierendes AKW.



    Die Schuld wird natürlich abgestritten, aber unter der Hand weiß jeder was los ist und das Russland zum äußersten bereit ist.



    Ich hoffe, das bleibt nur eine düstere Angstphantasie......

  • IN EUROPA KEIN HIROSHIMA!



    //



    Ich hatte nächtens 'nen Albtraum,



    Den Inhalt glauben konnt ich kaum:



    Es ging dies' Mal nicht um das Klima



    Schreckens-Inhalt war Hiroshima.



    Vaporisiert war'n in Minuten



    Zig Tausende, ohne zu bluten:



    Verdampft, also atomisiert,



    Im wahrsten Sinne massakriert.



    Nicht alle waren sofort tot



    Ein Schrecken sich dort lange bot:



    Jahrzehnte noch verstarben sie



    An Strahlenfolge Leukämie.



    Die Bombe war doch ziemlich klein,



    Reaktor-GAU könnt' größer sein:



    Auch wenn ich das vermeiden will



    Ich träumt' vom "Giga-Tschernobyl".



    Verwüstung und ein Trümmerfeld,



    Das Japan in den Schatten stellt.



    Als Erstes blühte dort im Raum



    Nach der Hölle der Ginkgo-Baum.



    Heilig ist er in der Kultur



    Nicht seiner Blätter wegen nur.



    Durch 'Little Boy' die Erde bebte



    Er war's, der Hölle überlebte,



    An eines Tempels Fuß



    Bedeckt von reichlich Ruß.



    Durch seine Bio-Resistenz



    Ward er Symbol für Resilienz.



    Mein abgeleiteter Appell:



    Jetzt mit Tempo, heißt ultraschnell



    Beenden Kampf um die Kraftwerke!



    Im Traum sah ich unendlich Särge.



    Eines ich tu bereits hier kund:



    Gingko-Baum steht auch in Dortmund.



    //



    Martin Rees, IPPNW Dortmund

  • Ich verstehe nicht, dass man unter diesen Umständen die Reaktorblöcke nicht abschaltet.

    • @Francesco:

      1) Weil "man" die nicht abschalten kann, das kann nur die Belegschaft des besetzten AKW. Und diese ist gegenüber den russischen Besatzern, milde ausgedrückt "weisungsgebunden".

      2) Fällt dann in der gesamten Südukraine der Strom aus. (Und auch die Besatzer brauchen Strom).

      • @Barbara Falk:

        Welches Interesse hat denn Russland am Weiterbetrieb? Der Strom wird doch in die Ukraine geliefert.

    • @Francesco:

      auch dann sind sie ja noch gefährlich. Was natürlich kein Argument für den Weiterbetrieb ist.

    • @Francesco:

      Wichtig ist es hierbei, die radioaktiven Kernbrennstäbe sicher abzutransportieren und zu lagern. Oder sie für andere AKWs zu verwenden.



      Dann werden aber garantiert die Raketen aus russischer Seite fliegen. Macht es sich doch toll, nen Konvoi anzugreifen, um Bereiche nahe Kiew oder Lwiw zu verstrahlen.

      Hinzu müsste der Kernreaktor selbst irgendwie dekontaminiert werden, was Jahre dauern wird und bis dahin sicherlich die ein oder andere Rakete eingeschlagen und radioaktives Material verbreitet hat.